Foto: Melanie Fredel

18.02.2021

Corona: Wo war die Friseur-Lobby?

Zentralverband Friseurhandwerk und Industrieverband im Gespräch mit TOP HAIR

Der Lockdown ist bis zum 7. März verlängert worden. Friseure hingegen dürfen am 1. März öffnen. Viele Initiativen aus der Branche - von der Videobotschaft bis zur Klagewelle, von der Online-Petition bis zum gemeinschaftlichen „Licht an“-Lassen – haben den Blick der Öffentlichkeit auf die Nöte der Friseure gelenkt. Doch wo war der Industrieverband? Wo der ZV und die Landesinnungsverbände? Gab es hinter den Kulissen Abstimmung zwischen diesen Verbänden? Und: Was haben sie bewirkt?

Wir haben nachgefragt: bei Birgit Huber, Sprecherin des „Fachausschusses Friseurprodukte“ im IKW, und Jörg Müller, Hauptgeschäftsführer des ZV Friseurhandwerk.
 

TOP HAIR: Ihr Kernziel im „Fachausschuss Friseurprodukte“ ist die „Stärkung des Friseurs“. Was haben Sie in der Corona-Krise dafür getan?
Birgit Huber:
Bereits im ersten Lockdown haben wir mit der Kampagne #friseuregegencorona gemeinsam mit dem ZV verschiedene Aktivitäten auf allen sozialen Netzwerken gestartet, um den Menschen die Friseure als Hygienebotschafter nahezubringen. Mit Imagefilmen, Beiträgen auf Instagram, Facebook etc. haben wir vor allem die Publikumspresse, und damit die breite Öffentlichkeit erreicht, um auf die Bedeutung der Friseure aufmerksam zu machen. Unsere Umfragen und Studien zum Verbraucherverhalten in der Pandemie sind eine wichtige Grundlage für die Gespräche mit der Politik, die der Zentralverband und die Handwerksorganisationen führen.
 

TOP HAIR: Fließt da auch Geld? Denn so eine Studie oder Imagefilme kosten ja etwas.
Birgit Huber:
Ja, natürlich. Die im Fachausschuss beteiligten Firmen und der IKW tragen die Kosten für die Erstellung dieser Materialien.
 

TOP HAIR: Herr Müller, Gespräche mit der Politik - Wie läuft das? Wie bekommen Sie da Zugang?
Jörg Müller:
Wir sind breit aufgestellt. Das Gesamthandwerk, die Handwerkskammern, der ZV mit den Innungen – wir stimmen uns ab, wie wir auf die Politiker und Ministerien zugehen. Alle unsere Vorstandsmitglieder haben regelmäßig Gespräche mit Spitzenpolitikern und Bundestagsabgeordneten. Damit haben wir viel erreicht. Das spricht aber nicht nur für unsere Lobbyarbeit, sondern für die Wertigkeit des Berufs. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks dagegen richtet sich zentral an die Bundesregierung. So führt der Vorsitzende, Herr Wollseifer, direkt die Gespräche mit der Bundeskanzlerin und trägt dabei auch unsere Anliegen vor.
 

TOP HAIR: Gerade in der Pandemie spielt auch die Berufsgenossenschaft mit ihren Arbeitsschutzstandards eine große Rolle. Wie funktioniert hier die Abstimmung?
Jörg Müller:
ZV-Vertreter sitzen in den entsprechenden Gremien bei der Berufsgenossenschaft. Das ist eine von großem Vertrauen geprägte Zusammenarbeit. Dieses Vertrauen geht zurück bis in die 90er-Jahre zum Thema Hautschutzaktion, an der auch der IKW beteiligt war. Bei der BGW bringen wir unsere Position, die Bedürfnisse der Friseurbranche ein, und das zeigt auch seine Wirkung. Man muss natürlich sehen, gerade, wenn es jetzt um die 10 qm-Regel geht, die bei den Friseuren für Aufregung sorgt, dass man hier nicht losgelöst von rechtlichen Rahmenbedingungen ist. Das ist eine konkrete Vorgabe des Bundesarbeits- und Sozialministeriums und alle Berufsgenossenschaften sind verpflichtet, das umzusetzen. Da haben wir nur geringen Handlungsspielraum. Entscheidend ist die Auslegung der Vorgabe.
 

TOP HAIR: Wäre da nicht mehr drin gewesen, auch in Sachen schneller Re-Start, wenn die Industrie die Forderungen des ZV mit ihrer geballten Macht offensiv unterstützt hätte?
Birgit Huber:
Nein, das denke ich nicht. Friseure waren im ersten Lockdown die ersten, die öffnen durften und im zweiten sind sie es wieder. Und bitte bedenken Sie auch, dass Friseure die letzte Branche waren, die zum 2. Lockdown geschlossen wurde. Man muss das auch vor dem Hintergrund der Pandemie sehen. Ich glaube, mehr wäre nicht drin gewesen.
 

TOP HAIR: Wie sieht es mit den Hilfen aus, um den Lockdown abzufedern. Die sind von der Politik vollmundig versprochen worden, aber noch ist kaum etwas davongekommen. Hat der ZV da zu wenig erreicht?
Jörg Müller:
Da sind wir leider in guter Gesellschaft. Auch in der Gastronomie sind Hilfsgelder unzureichend geflossen, man begründet das mit Systemproblemen. Man muss aber sehen, dass zum Beispiel bei der Überbrückungshilfe III die Senkung von 40 auf 30 Prozent Umsatzverlust als Voraussetzung für den Antrag eine Leistung des Handwerks war. Dennoch: Die Hilfen sind unzureichend, das stimmt. Beim Themenbereich Unternehmerlohn versperrt sich die Politik nachhaltig. Aber ich rate jedem: Nehmen Sie jede Hilfe in Anspruch, KfW-Kredite und auch die Grundsicherung, wenn es notwendig ist! Da sollte man nicht zu stolz dafür sein.
 

TOP HAIR: Ist es nicht denkbar, dass die Industrie den Friseuren direkt hilft, finanziell?
Birgit Huber:
Der IKW kann das als Verband nicht, das müssen die einzelnen Firmen selbst entscheiden. Im Arbeitskreis ist das kein Thema.
 

TOP HAIR: Viele Friseure haben in den letzten Wochen selbst die Initiative ergriffen: Briefe, Klagen, Petitionen, emotionale Videoappelle. Wie haben Sie diese Aktionen erlebt?
Jörg Müller:
Wir haben Verständnis für die Emotionalität in den sozialen Netzwerken. Manchmal bedauere ich jedoch, dass die Branche sich nicht gemeinschaftlicher einsetzt, mit kühlerem Kopf und die Diskussionen vereinheitlicht. Sicherlich ist es gut, wenn Forderungen von allen Seiten kommen. Doch man muss schauen, dass man den Bogen nicht überspannt. Es ist wichtig, zentrale Punkte durchzusetzen, wenige Ziele, glaubhaft und mit möglichst vielen Verbündeten. Hier sind wir auch dankbar für die Unterstützung in der Industrie. Ein Unternehmen gibt zum Beispiel unsere Musterbriefe an die Politiker über den Außendienst an die Friseure weiter. Das hilft, unsere Botschaft zu kanalisieren und zu verbreiten. So kann man Politik auch von der Basis her beeinflussen. Konstruktiv die Kritik in politische Aktion umzulenken, wie beispielsweise Forderungen nach Finanzhilfen oder auch die Kritik an gestylten Fußballern in einem Brief an den DFB, ist wichtig, sonst bleibt sie gefangen in Facebook.
 

TOP HAIR: Aber auch bei der Industrie zerfiel das Engagement in Einzelaktionen …
Birgit Huber:
Es wäre sicher sinnvoll, Aktivitäten künftig mehr zusammenzuführen, aber hier können wir als Verband den Firmen keine Vorschriften machen. Man muss aber auch sagen: Unabhängig von allen Aktivitäten in Richtung Politik helfen die Firmen ihren Partnersalons auch ganz praktisch: durch Schulungen und Trainings im Lockdown oder bei der Beantragung von Hilfen.
Jörg Müller: Und sie unterstützen die Arbeit des ZV, indem sie sagen: Wir stehen hinter euch. Das ist sehr wichtig und ermutigend für uns.
Birgit Huber: Das Schöne ist: Es geht doch viel gemeinsam. Es war z.B. auch der Wunsch der Industrie, die Aktion „Licht an“ zu unterstützen. Ich hoffe, wir haben für die Zukunft daraus gelernt, dass noch mehr möglich ist.
 

TOP HAIR: Haben Sie den Eindruck, dass die gemeinsame Lobbyarbeit von IKW und Zentralverband in der Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen wird?
Birgit Huber:
Mir ist wichtig, dass man versteht, wie komplex dieses ganze politische Umfeld ist. Dass man nicht einfach hingehen kann und sagen: „So, Frau Merkel, hier sind wir. Und jetzt machen wir mal die Friseure auf.“ Das funktioniert nur über beharrliche kontinuierliche Arbeit. Wenn der Zentralverband nicht über Jahre und Jahrzehnte, auch in Kooperation mit uns und der BGW, an der Politik drangeblieben wäre, hätte er jetzt nicht so viel erreicht. Mich ärgert es, wenn Leute sagen: „Friseure haben eben keine Lobby“. Der Zentralverband macht gute Arbeit, deswegen kooperieren wir auch mit ihm, und diese Kooperation ist uns wichtig. Vielleicht sollten wir das wirklich besser bekanntmachen …
 

TOP HAIR: Was plant der „Fachausschuss Friseurprodukte“ nun für den Re-Start?
Birgit Huber:
Wir realisieren ein Video zusammen mit der Berufsgenossenschaft, in dem wir über die neuen Standards informieren. Es wird Flyer geben, und wir werden breit informieren. Wichtig ist für mich vor allem, dass Friseure nicht ein drittes Mal schließen müssen. Es geht darum, das positive Image, das die Branche jetzt erreicht hat, aufrechtzuerhalten. Dabei werden wir den ZV unterstützen. Zum Beispiel, indem wir weitere öffentlichkeitswirksame Kampagnen starten zu #friseuregegencorona.
 

TOP HAIR: Was hat diese Aktion konkret gebracht?
Birgit Huber:
Ich glaube, dass sie mitgeholfen hat, dass die Friseure erst am 17. Dezember zumachen mussten.
Jörg Müller: Das glaube ich auch. Die Kampagne hat große Akzeptanz in der Politik hervorgerufen. Es war unsere Hauptargumentation für den Re-Start. Sichere Dienstleistung in der Pandemie gibt es nur beim Friseur. Und: Schwarzarbeit ist vor allem unter Pandemiebedingungen unverantwortbar. Das ist angekommen in der Politik.
 

TOP HAIR: Dass Friseure am 1. März wieder öffnen können, ist sicher das Ergebnis von Anstrengungen der gesamten Branche. Darauf kann man stolz sein, oder?
Jörg Müller:
Ich glaube, die Friseure können allesamt stolz darauf sein, was für eine Relevanz sie in der Bevölkerung haben. Das ist das Eine. Doch Friseur ist nicht nur „schöne Haare“, es ist ein großer Wirtschaftssektor. Das ist auch bei der Politik angekommen, dass wir in Sachen Ausbildung, und Dienstleistung ein wichtiger Faktor sind. Friseure werden weiter enorm an Bedeutung und Profil gewinnen. Und das wird sich auch in den Servicepreisen widerspiegeln. Das ist meine Vision.

TOP HAIR: Wie werden Sie die Zeit bis zum Re-Start nutzen?
Jörg Müller:
Wir werden alle Kraft darauf lenken, dass effektiv und schnell Hilfen kommen. Es ist wichtig, dass die Liquidität der Betriebe gesichert ist, dass viele Familiensalons überleben, dass die Guten in der Branche weitermachen können. Denn wir brauchen die Guten zum Überleben und Voranbringen der gesamten Branche.
 

Was ist der "Fachausschuss Friseurprodukte"?

Der "Fachausschuss Friseurprodukte" besteht seit 2009 unter dem Dach des Industrieverbands Körperpflege- und Waschmittel (IKW). Dieser Arbeitskreis setzt sich zusammen aus Vertretern der Firmen Wild Beauty, Wella, L’Oréal Professionelle Produkte, Glynt, Schwarzkopf Professional, Kao und Singer Kosmetik und Birgit Huber, Bereichsleiterin Schönheitspflege beim IKW. Das Gremium sieht die Stärkung des Friseurs als seine Aufgabe. Erreichen möchten die Mitglieder das zum Beispiel durch öffentlichkeitswirksame Initiativen und Kampagnen, für die oftmals Umfragen zum Verbraucherverhalten als Basis dienen.