Foto: Klier Hair Group

22.05.2023

„Ein Weiter-so-wie-bisher ist auch für uns nicht möglich“

Die Klier Hair Group feiert 75. Geburtstag. Im Rahmen des Wella Destination Events 2023 sprachen wir mit den Geschwistern Bettina Klier-Zühlsdorff, Aufsichtsratsvorsitzende, und Michael Klier, Vorsitzender der Geschäftsführung, über die bewegte Firmengeschichte.

TOP HAIR: Im Jahr 1948 eröffnete Elfriede Klier, Ihre Großmutter, ihren ersten Friseursalon – und legte damit den Grundstein für die heutige Klier Hair Group. Für eine Frau war der Schritt in die Selbstständigkeit damals eher ungewöhnlich…
Bettina Klier-Zühlsdorff:
Ja, vor allem für eine Frau dieser Generation. Unsere Großmutter wurde in die Zeit des 1. Weltkriegs geboren. Und in eine Zeit, in der Frauen nicht wirklich selbstständig waren. Unserer Großmutter war es vergönnt, einen Vater zu haben, der seinen vier Töchtern eine Berufsausbildung ermöglicht hat. Die hat sie absolviert, lernte unseren Großvater kennen und hat Kinder bekommen. 1942 wurde sie Witwe und wusste: Sie muss ihr Leben gestalten. Mit drei kleinen Kindern hat sie nach Kriegsende angefangen, die Meisterschule zu besuchen, hat im September 1948 ihren ersten Salon, inmitten von Trümmern, quasi im eigenen Wohnzimmer eröffnet. Und 1954, als sie mit ihren Kindern in den Westen nach Wolfsburg gegangen war, eröffnete sie dort den „Salon der Dame“ und bildete auch aus.

TOP HAIR: Hat die Großmutter auch die Expansion vorangetrieben?
Bettina Klier-Zühlsdorff:
Nein, das waren unser Vater und unser Onkel. Es war meiner Großmutter ganz wichtig, dass die drei Kinder sehr schnell sehr selbstständig geworden sind, denn sie wusste, sie haben nur sie und wenn ihr etwas zustößt, müssen sie auf eigenen Füßen stehen. Alle drei haben eine Friseurausbildung und die Söhne sogar Wanderjahre gemacht. Unser Vater und unser Onkel eröffneten dann bald ihren ersten Salon. Ganz klassisch, wie es glaube ich viele Unternehmen in unserer Branche machen, begannen sie zunächst mit der regionalen Filialisierung – Wolfsburg, Braunschweig und Gifhorn. Der erste überregionale Sprung war dann in den 80ern Richtung Essen und Bad Homburg.

Elfriede Klier und der Salon von 1958 >< Foto: Klier Hair Group

TOP HAIR: Ging mit diesem Sprung schon eine Grundausrichtung zum Filialisten einher?
Michael Klier:
Grundsätzlich war bei den beiden schon immer eine starke Dynamik vorhanden. Im Morgen zu leben, stärker als im Hier und Jetzt. Gestalten, verändern wollen. Stillstand hat die beiden immer unruhig gemacht. Das war eine Grundwesensart. Deshalb haben ihnen die vier, fünf Filialen rund um Wolfsburg nicht gereicht. Sie waren eineiige Zwillinge und konnten sich die Tätigkeiten gut aufteilen, besser als ein Einzelunternehmer. Das war wirklich eine doppelte Kraft und auch eine doppelte Identität. Die beiden haben immer gleich gedacht, sie mussten sich nicht abstimmen. Das war ein unglaublicher Vorteil.
Bettina Klier-Zühlsdorff: Und Anfang der 80er hat sich einiges verändert. Es gab eine Expansion der Warenhäuser und natürlich die Entwicklung der Shoppingcenter.
Michael Klier: Unsere Salons waren richtig große Einheiten, ein Salon hatte rund 40 Mitarbeiter und bis zu 250 qm-Flächen. Das gehörte zum Aufschwung der Konsumlandschaft, den Friseur nicht nur im klassischen Straßengeschäft wahrzunehmen, sondern auf einmal auch an stärker frequentierten Einkaufsmöglichkeiten.

TOP HAIR: Haben Sie damals auch ins Ausland expandiert?
Bettina Klier-Zühlsdorff:
Ja, unser erstes Land war Österreich im Jahr 1987, dann kamen Tschechien und die Slowakei, kurzfristig Polen und Ungarn dazu. Jetzt sind wir mit unseren Salons neben Deutschland noch in der Slowakei und Tschechien vertreten. Unser erstes Auslandskind Österreich haben wir aufgrund eines bedeutenden Einschnitts leider verloren, ebenso wie Ungarn und Polen.

TOP HAIR: Sie sprechen den Einschnitt an. Wie kam es dazu?
Bettina Klier-Zühlsdorff:
Für uns und unser Unternehmen war der Tod unseres Onkels Joachim 2015 sehr einschneidend. Er ist unerwartet gestorben. Das macht etwas mit der Balance einer Familie. Zumal unser Vater und unser Onkel ja eineiige Zwillinge waren und sich ohne große Absprachen blind verstanden. Für uns als Familie war dies eine schwierige Veränderung und ein wichtiger Prozess.

TOP HAIR: Im Dezember 2020 mussten Sie ein Schutzschirmverfahren eröffnen. Hinterließ auch hier der Verlust des Onkels Spuren?
Michael Klier:
Es gab verschiedene Umbrüche in diesen Jahren. Zum Tod des Onkels kamen die Warenhausschließungen, dann Corona mit den Lockdowns, rückläufige Frequenzen der Kunden. In der kurzen Abfolge und in der Summe haben diese Dinge für wirtschaftlich unruhige Zeiten gesorgt. Im Wesentlichen waren aber Corona und die folgende Konsumzurückhaltung sowie hohe Fixkosten das große Problem. Soforthilfen gab es zum Beispiel für Unternehmen mit großen Filialstrukturen nicht, bis heute ist das Thema der Mieten gerichtlich nicht geklärt. So hat sich das zu einem hohen 7-stelligen Betrag summiert, der in dieser Geschwindigkeit schnell alle finanziellen Reserven hat schmelzen lassen. Wir sind froh, dass wir das Schutzschirmverfahren in einer kurzen Zeit beenden konnten und damit für alle Mitarbeitende schnell Klarheit herrschte. Dieser Zeitraum hat nur sieben Monate gedauert, das ist für ein Verfahren dieser Größe sehr schnell. Eine solche Neustrukturierung in so kurzer Zeit auf die Beine zu stellen und damit eine Perspektive und Zukunftsfähigkeit zu erarbeiten, das war schon eine herausragende Leistung von der gesamten Mannschaft.
Bettina Klier-Zühlsdorff: Wir konnten in diesem Schutzschirmverfahren gestalten und unternehmerische Verantwortung zeigen. Wir mussten 500 Standorte schließen, konnten den  betroffenen Mitarbeitenden aber in der Regel Stellen in anderen Salons anbieten.

TOP HAIR: Was haben Sie durch diesen Prozess gelernt, wie haben Sie sich verändert?
Michael Klier:
Es gab Phasen als Unternehmer, in denen wir verzweifelt waren, wo wir dachten, es gibt keinen Weg hinaus. Aber es gibt immer einen Weg und man darf niemals den Mut verlieren und muss weiter nach Lösungen suchen. Jeder im Team war in den unterschiedlichsten Phasen auch mal erschöpft, aber wir haben uns gegenseitig unterstützt und dadurch für jede noch so verworrene Situation Lösungen gefunden.

TOP HAIR: Sie haben gegenüber Ihren Mitarbeitern offensiv kommuniziert. Wie waren die Reaktionen?
Michael Klier:
Wir haben niemandem ein A für ein U vorgemacht, auch wenn es schlechte Nachrichten waren – wir konnten sie erklären. Und Klarheit ist etwas, was für jeden unheimlich wichtig ist, um sich neu orientieren zu können. Wir haben von den Mitarbeitenden in den Filialen viel positives Feedback bekommen. Alle haben gesagt, es geht nach vorne. Das hat mich sehr berührt!
Bettina Klier-Zühlsdorff: Unsere Führungsteams haben in der Zeit Grandioses geleistet. Sie haben diese schwierigen Gespräche im zweiten Lockdown führen müssen. Wertschätzend und auf Augenhöhe, das wurde auch von den Mitarbeitenden gespiegelt. Sie wussten: Hier passiert alles, was unter diesen Umständen möglich ist. Es war ein harter Weg. Es ging zwar um die Wahrung des großen Ganzen, aber wissend, dass man Menschen rechts und links nicht mehr halten kann. Das sind Momente, die extrem belastend sind, auf die man nie stolz ist. Wenn ich heute in den Rückspiegel schaue und mich frage, hätten wir etwas besser machen können, kann ich sagen: Nein. Wir haben rechtzeitig gehandelt und unser Möglichstes getan.

TOP HAIR: In unserem letzten Interview sagten Sie: „Wir wollen in die starken Marken, in neue Serviceangebote, Personalentwicklung und Digitalisierung investieren.“ Haben Sie das umgesetzt?
Michael Klier:
Uns war klar: Ein Weiter-so-wie-bisher ist in dem veränderten Markt auch für uns nicht möglich. An dieser Stelle nur so viel: Wir haben uns auf einzelne Marken fokussiert und haben diese auf Basis verschiedener Marktforschungsergebnisse neu ausgerichtet. Zudem haben wir viele Projekte im Bereich Digitalisierung gestartet, sei es etwas ganz Profanes wie die elektronische Zeiterfassung. Das klingt nicht sehr sexy, hat aber auch wieder etwas mit transparenten Prozessen und Verlässlichkeit zu tun. Es ist die Grundlage für ein einheitliches und klares Miteinander. Im Bereich Recruiting haben wir unsere Arbeitgebermarke neu erarbeitet und übersetzen sie in konkrete Kampagnen.

TOP HAIR: In Richtung Social Media?
Bettina Klier-Zühlsdorff:
Ja genau, aber ganz selektiv in die einzelnen Kanäle hinein. Welche Marke passt zu welchem Kanal und wie muss die Zielperson angesprochen werden. Also ein Du oder ein Sie, Mitarbeiter- oder Kundensuche.
Michael Klier: Auf Basis dieser Recruitingkampagne führen wir auch eine neue Recruitingsoftware und eine Talentsoftware ein. Als flächenorganisiertes Unternehmen brauchen wir einheitliche digitale Prozesse, damit jeder Bewerber dasselbe erlebt und nach gleichen Standards Mitarbeiterentwicklungsgespräche geführt werden. Aus diesen sollen sich ganz individuelle Entwicklungs- und Lernpfade ergeben – mithilfe unterschiedlicher Kanäle, also offline, online, in Tutorials und so weiter.

TOP HAIR: Hier spielt wahrscheinlich auch die Partnerschaft mit Wella eine Rolle?
Michael Klier:
Definitiv. Für die Thematik Markenrepositionierung haben wir gemeinsam viele Marktdaten ausgetauscht und uns bei der Marktforschung abgestimmt, um die Kundengruppen zu identifizieren und alles aus den Daten herauszuholen. Wella hat ein umfassendes Knowhow bei der Analyse und Verarbeitung solcher Informationen. Aber auch bei der Suche nach passenden Partnern hat uns Wella unterstützt und uns mit Kolleginnen und Kollegen zusammengebracht, die die Neustrukturierung von Dienstleistungsangeboten, sicher in anderem Umfeld, aber mit einer ähnlichen Idee schon umgesetzt haben.

TOP HAIR: Wohin geht es bei Klier in Richtung Ausbildung?
Michael Klier:
Wir beschäftigen in fast allen Filialen Meister und haben damit die Grundvoraussetzungen für die Ausbildung bei uns geschaffen. Unser Ziel ist, in jeder der 750 Salonfilialen einen Azubi im 1. Lehrjahr einzustellen. Sie kennen die Zahlen besser als wir: Nur noch rund 15 Prozent der Betriebe in der Friseurbranche bilden aus. Es ist uns wichtig, uns in der Ausbildung zu engagieren. Wir messen uns an unserem Versprechen, dass alle Auszubildenden bei uns – egal an welchem Standort – den gleichen sehr guten Ausbildungsstandard erleben, wohlwissend, dass jeder Ausbilder natürlich anders ist. Aber mit zentralen Workshops und einem engagierten Team überregionaler Talent Coaches gewährleisten wir einheitliche Standards.

Überdies haben wir ein herausragendes Weiterbildungsangebot und da kommt wieder die Partnerschaft mit Wella zum Tragen. Pro Jahr geben wir über 2.500 Mitarbeitenden die Möglichkeit, in den Studios von Wella eine individuelle Weiterbildung wahrzunehmen. Hinzu kommen dann noch unsere internen Workshops und Seminare. Wir stehen weiterhin ganz klar zu unserer Verpflichtung, die Aus- und Weiterbildung in der Friseurbranche voranzutreiben. Dazu gehört, bei steigenden Löhnen und steigenden Preisen das fachliche Niveau aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Das ist auch die Anforderung an die Branche in der Zukunft. Man kann nicht zwangsläufig mehr Services anbieten, das ist auch gar nicht die Notwendigkeit. Aber wir müssen als Branche daran arbeiten, dass die Kundschaft bei uns eine Handwerkskunst erlebt, bei der sie sagt: ‚Für dieses Erlebnis, im Handwerklichen und im Sozialen, komme ich zum Friseur.‘

TOP HAIR: Das heißt zusammengefasst, wir dürfen von Klier künftig Stabilität erwarten?
Michael Klier:
Ich glaube, es ist schwierig, in unruhigen Zeiten von Stabilität zu sprechen. Wir wünschen uns das auch. Dass all die Anstrengungen, die wir unternommen haben, nicht umsonst waren, dass wir Stabilität und Kontinuität weiter vorantreiben können und die Weiterentwicklung des Unternehmens und des Marktes mitgestalten können. Wir sind davon überzeugt, dass wir die Grundlagen dafür geschafften haben. Aber wir haben in den letzten Jahren gelernt: Nicht alles liegt in unserer Hand.
Bettina Klier-Zühlsdorff: Davorhaben wir Respekt. Dennoch wissen wir eins: Wir haben über 5.000 Mitarbeitende, deren Leidenschaft es ist, unsere Kundinnen und Kunden zum Strahlen bringen. Das ist, trotz Unsicherheit in der Branche und in der gesamten Wirtschaft, unglaublich viel Stabilität. Es gab schon immer Umbrüche und es ist die Verantwortung eines Unternehmers, sich auf das veränderte Umfeld einzustellen und darauf zu reagieren. Eine Haltung zu haben und damit auch wieder Sicherheit zu stiften. Das ist unsere Aufgabe. Und nein, wir sind nicht am Ende, wir stehen wie immer mittendrin. Da standen wir vor zehn Jahren, vor 20 Jahren und wir werden auch übermorgen noch mittendrin stehen.
Michael Klier: Solange wir geöffnet haben, man nicht wieder die Türen schließt, sind wir zutiefst davon überzeugt, dass wir mit der Energie, die in unserem Unternehmen steckt, und durch die vielen kreativen Menschen in den unterschiedlichsten Positionen, für jede Herausforderung, die vor uns liegt, eine Lösung finden werden.

Die Klier Hair Group GmbH bietet professionelle Friseurdienstleistungen sowie Produkte. Mit rund 800 Salons und Shops,  5.000 Mitarbeitenden in Deutschland sowie Filialen in der Slowakei und Tschechien ist das Familienunternehmen  größter Friseurfilialist Europas. Zur Klier Hair Group gehören verschieden ausgerichtete Salonmarken,unter anderem KLIER, Super Cut und HairExpress.