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01.04.2022

Berufsunfähigkeit: Wann zahlt die Versicherung?

Ein Friseur ist arbeitsunfähig, doch seine Versicherung will nicht zahlen. Wie der Fall vor Gericht verhandelt wurde, erläutert unser Rechtsexperte Sven Kobbelt.

Was ist passiert?

Ein langes Arbeitsleben geht an niemandem spurlos vorbei. Und so hatte auch der Friseurkollege nach vielen Jahren Arbeit im eigenen Salon mit Problemen an den Armen zu kämpfen, die schließlich sogar zu einer Arbeitsunfähigkeit führten. Für einen Selbstständigen der blanke Horror. Zum Glück hatte er eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen, bei der er nun eine Berufsunfähigkeitsrente beantragte. Doch die Versicherung winkt ab: Berufsunfähigkeit nur wegen Problemen mit den Armen? Da müsse er eben den Salon anders organisieren, notfalls die Rezeptionistin rauswerfen und das Telefon übernehmen. Nicht ganz die Antwort, die der Friseur erwartet hatte. Immerhin kamen Kunden ausdrücklich zu ihm. Und er sei Friseurmeister – nicht Telefonist. Doch die Versicherung bleibt stur. Also landet die Angelegenheit vor Gericht.

Was sagt das Gericht?

Das OLG Dresden stellt zunächst fest, dass der Kläger tatsächlich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, seinen Beruf auszuüben. Dann befasst es sich mit dem Einwand der Versicherung, der Kläger hätte einfach seinen Betrieb umorganisieren müssen. Eine solche Umorganisation war dem Friseur nach Auffassung des Gerichts nicht zumutbar. Denn zu rund 76 Prozent habe er handwerklich gearbeitet, nur der Rest sei „Verwaltung“ gewesen. Wenn nun durch eine Umorganisation die handwerkliche Tätigkeit völlig entfalle, sei von der eigentlichen Berufsausübung nichts mehr übrig. Und das sei dann nicht mehr Umorganisation, sondern eine andere Berufsausübung. Daher entscheidet das OLG, dass die Versicherung die Berufsunfähigkeitsrente auszahlen muss. Eine Umorganisation, die einer Rente entgegenstünde, ist dem Kläger nicht zumutbar.

(OLG Dresden, Az: 4 U 1585/21)

Was bedeutet das für Sie?

Eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist für jeden Selbstständigen (und auch Arbeitnehmer) unerlässlich. Wenn die Versorgung unmittelbar von der eigenen Tätigkeit abhängt und das Sicherungsnetz der Sozialversicherungen nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung steht, muss der Katastrophenfall des Ausfalls der eigenen Tätigkeit abgesichert sein. Vor Abschluss der Versicherung müssen aber die Bedingungen gründlich geprüft werden. Über Anwälte sagt man, sie säßen am Schreibtisch oder lägen im Grab. Das in etwa ist in einigen Versicherungsbedingungen auch die Definition der Berufsunfähigkeit. Die Fälle des Versicherungseintritts sind eng gefasst oder an viele Voraussetzungen geknüpft, wie im obigen Fall die Möglichkeit der Umorganisation. Eine solche Versicherung ist im Ernstfall dann keine Hilfe.

Einige Lebensversicherungen bieten Verträge an, bei denen die Leistung nicht nur im Todesfall, sondern auch im Fall einer ernsthaften Erkrankung (z. B. Tumor) ausgezahlt wird. Eine solche Erkrankung muss nicht zwingend zur Berufsunfähigkeit im Sinne der Berufsunfähigkeitsversicherung führen, sodass eine Lebensversicherung mit dieser Regelung eine sinnvolle Ergänzung sein kann. Ob Lebensversicherungen derzeit wirtschaftlich sinnvoll sind, ist die andere Frage.

Sven Kobbelt ist Rechtsanwalt und Experte für mittelständische Unternehmen.