Foto: Amazon

28.04.2021

Datenkrake Amazon im Friseurmarkt

Eine Einschätzung von Diplom-Ökonom und Branchenkenner Ralf Osinski

Amazon eröffnet in London einen Friseursalon! Die altehrwürdige BBC berichtete, ebenso der ebenso altehrwürdige Guardian. Die TOP HAIR bringt am 22. April 2021 einen Beitrag. Amazon ist im Friseurhandwerk in Deutschland ein Reizwort. Und der erste Reflex ist sofort die Frage, ob jetzt eine neue Friseurkette an den Start geht. Amazon wiegelt ab, es sei nur EIN Testsalon. Aber was soll da denn jetzt "getestet" werden? Amazon ist für "Kommerzialität" bekannt!
 

Entwarnung!

Ein wenig rentables, aufwendiges Friseurgeschäft wird sich Amazon sicher nicht ans Bein binden. Eher geht es darum herauszufinden, wie sich eine weitere Möglichkeit nutzen lässt das eigene Geschäftsmodell zu vermarkten. So wie aktuell der vordergründige Versuch, dem Einzelhandel in Coronazeiten bei der Entwicklung des Onlinegeschäfts behilflich zu sein. Blauäugig, wer hier Uneigennützigkeit unterstellt. Es gilt: "Amazon first!"

Mal die Friseurbrille absetzen!
 

Um die Absichten von Amazon zu ergründen muss erst einmal die "Friseurbrille" abgesetzt werden. Amazon denkt international. Nationales "Klein-Klein", das sind (lästige) Rahmenbedingungen. Grundsätzlich geht es Amazon um’s neue "Kapital", um’s "Datengold". Immer!

Kundendaten: Man wolle, so John Boumphrey von Amazon, die (Friseur)kunden besser verstehen, mehr über sie wissen. Klingt erst mal nett und harmlos.
Industriepartner:
Man wolle Geschäftsmodelle und Ideen mit Partnern aus der Industrie entwickeln. Wie schön! Möglichst viele Industriepartner also.
Bezahlsystem: Amazon arbeitet mit/an einem eigenen Bezahlsystem, das in den USA schon in (eigenen) Supermärkten im Einsatz ist. Das soll natürlich in Serie gehen und die Händlerbindung verstärken. Auch im Testsalon wird es, logisch, eingesetzt. Noch mehr Daten!
Futter für Algorithmen: Tech-Konzerne saugen staubsaugergleich Daten ihrer  Nutzer auf und ab. So auch im Testsalon in London.
Anmelden: Per App meldet sich der Kunden im Salon an und es geht los mit dem Datenabsaugen!
Messungen: Per Kamera und Sensoren wird das Kundenverhalten - Alexa lässt grüßen - dokumentiert und dient als Futter für Algorithmen, deren genauer Aufbau natürlich Geschäftsgeheimnis ist. Auf Dauer baut sich ein "Kundenprofil" auf und mit diesem Wissen werden Folgekäufe, Nachkäufe, Wiederkäufe und Neukäufe möglichst zielgenau angeschoben. Big Data lässt grüßen!
Kaufdaten: Schließlich werden auch die Kaufdaten gespeichert. Sie entstehen z.B. durch das Abscannen von Produkten die der Kunde/die Kundin aus einem Regal herausnimmt, beim Kassieren usw. Der Amazon-Salonkunde wird später mit zielgenauen Kauferinnerungen, "passenden" und neuen Produktideen usw. versorgt. Es kann unterstellt werden, dass die schlauen Algorithmen auch die übrigen, bei Amazon bereits gespeicherten Daten vom Kunden nutzen werden. Schließlich will Amazon die Kunden "noch besser verstehen".
 

Industriepartner: Amazon mit L'Oréal


Die Mitarbeiter für den Testsalon stellt der Salon Neville Hair & Beauty, London. Schaut man sich die Homepagean, dann wird rasch klar, dass es sich um einen "L‘Oréal-Salon" handelt. Damit hat man schon mal die Richtung. Amazon hat, nach dem was man aus den Statements herauslesen kann, offenbar Haarkosmetikfirmen, Lieferanten für Friseurbedarf usw. im Radar. Das passt gut,  weil das Thema: kostenintensiver Direktvertrieb bei stetig zerbröselnder Salongrößenstruktur heiß diskutiert  wird. Da könnte Amazon den "Retter" geben. Bessere  Margen als bei der Belieferung von Großhändlern wäre  z.B. ein gutes Lockmittel für einen Deal mit Amazon!
 

Kleinstsalons los, näher am Friseurkunden


Via Amazon könnten Zulieferfirmen die Kosten für die Belieferung von Kleinsalons kräftig senken. L‘Oréal hat den Vertrieb von Matrix an den Großhandel weitergereicht. Das ging schon mal in diese Richtung und dieser Weg ist ausbaufähig. Neue Möglichkeiten inklusive. Auch Versandhandel und Online-Shops, die Kleinsalons, Grau-/Schwarzarbeiter, Endverbraucher beliefern kämen unter Druck, wenn Amazon stärker einsteigt. Und ganz nebenbei eröffnet sich für Zulieferfirmen die Möglichkeit via Amazon näher an den Endverbraucher zu rücken. Eine direkte Endkundenansprache via Amazon! Der Friseur spielt Produktkäufe ein. Dann übernimmt Amazon.

Nutzen für die "Akteure": Amazon. Klar DER  Profiteur! Mehr Kundendaten, mehr Futter für Kundenprofile erzeugende und schärfende Algorithmen. Mehr Möglichkeiten, das eigene Geschäftsmodell weiterzuentwickeln (z.B. Bezahlsystem, Folgeumsatz) und mit Geschäfts- und Privatkunden zusätzliche Umsätze und Gewinne zu generieren.
Industrie: Gewinner! Es eröffnet sich die Möglichkeit via Amazon das wachsende Problem der kostenintensiven Belieferung von immer kleiner werdenden Salons zu lösen. Und mehr Nähe zum Kunden mit der Chance via Amazon von Endverbraucherkäufen zu profitieren.
Friseurhandwerk: Klar der Verlierer! Nicht nur weil Umsätze auf Amazon übertragen werden. Auch, weil sich Amazon, wie immer, in diesem Fall Zugriff auf die Kundendaten sichern wird. Datengold! Für ein paar Spielereien auf dem Fire-Tablet soll der Friseur seine Seele und Umsatz an Amazon und mit Amazon kooperierende Zulieferfirmen verkaufen. Zur "Durchgangsstation" und als Datenlieferant abgestuft und "benutzt".
 

Perspektiven!


Konzerne wie Amazon, L‘Oréal u.a. denken international. Das sich abzeichnende, mögliche "Geschäftsmodell" ist also keines für einen einzelnen Markt. Onlineverkäufe gewinnen, nicht nur wegen Corona, an Bedeutung. Mit kleineren Verkaufsplattformen, wie z.B. Hitmeister, Rakuten, Etsy, könnten alternative Modelle entwickelt werden, die für alle Beteiligten eine Win-Win-Konstellation ergeben. Amazon hätte da ungewollt eine Entwicklung in Gang gesetzt, die dem eigenen Geschäftsmodell schadet. Gut gemacht, könnte auch der/die Friseurunternehmer/-nehmerin profitieren. Das "Gedöns" mit dem Fire-Tablet bräuchte man nicht. Gute Friseurdienstleistung wird mittels persönlicher Interaktion, guter Beratung, verkauft. Ganz ohne Algorithmus!