Foto: Ulrike Kaden

31.10.2019

Barbershop Gesang - Singende Friseure?

Kennen Sie das Musikgenre Barbershop? Es ist vielleicht das einzige, das wortwörtlich mit einer Berufsgruppe verbunden ist. Woher das rührt, darüber haben wir mit Barbershop-Förderer und Musical Director Manfred Adams gesprochen.

Es gibt eine Parallele zwischen Frisieren und Singen: Beides ist eine hohe Kunst, wenn es gut werden soll. Und wenn das gelingt, kann es die Menschen ein Stückchen glücklich machen. Eine spezielle Verbindung ist das Musikgenre Barbershop - vielleicht das einzige, das wortwörtlich mit einer Berufsgruppe verbunden ist. Woher das rührt und ob die Sänger und Sängerinnen von Barbershop tatsächlich eine besondere Beziehung zu Friseuren haben, verrät Manfred Adams, einer der Barbershop-Förderer in Deutschland sowie Musical Director des traditionsreichen und vielfach ausgezeichneten Dortmunder Frauenchores Ladies First. 

TOP HAIR: Herr Adams, es gibt weltberühmte Opern wie Rossinis „Barbier von Sevilla“ und Hollywood-Filme wie „Sweeney Todd“ mit Johnny Depp als singendem Barbier auf einem mörderischem Rachefeldzug. Figaros und Gesang, das ist ein echter Link zur Popkultur?

Manfred Adams: Also, den Film kenne ich nicht, aber ja, Friseure und Gesang, da gibt es offenbar eine irgendwie geartete Verbindung.

Haben Sie mal einen singende Barbier in echt erlebt?

Nein, das nicht.

Dass es eine eigene Musikgattung namens Barbershop gibt, dürfte wenigen bekannt sein. Wie ist es dazu gekommen?

Barbershop entstand als Gesangsform Ende des 19. Jahrhundert in den Frisiersalons in amerikanischen Südstaaten. Weil damals bereits in einigen Bundestaaten ein Alkoholverbot herrschte, sollen sich die Männer in den Barbiersalons getroffen und heimlich getrunken haben, wobei sie dann irgendwann zu singen begannen. So hat es mir jedenfalls mal ein Historiker gesagt, der bei der amerikanischen Barbershop Harmony Society zu den Ursprüngen dieser Gesangsrichtung forscht.

Eine andere populäre Erklärung lautet, dass die Kunden in den Barbiersalons aktuelle Gassenhauer sangen, um sich die Wartezeit zu vertreiben. Die Barbiere selbst haben aber nicht gesungen, soviel steht fest?

Davon kann man sicher ausgehen, denn die Barbiere hatten früher kaum Zeit, bei der Arbeit zu singen. Sie hatten ganz andere Sachen zu tun, weil sie nämlich nicht nur Haare schnitten, sondern gleichzeitig Zahnärzte waren und operieren mussten.

Barbershop dürfte das einzige Musikgenre sein, das namentlich eng mit einer Berufsgruppe verbunden ist, oder?

Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, aber es könnte stimmen. Woher auch immer der Name nun rührt, heute ist er in der Welt etabliert, obwohl die Barbiere mit der eigentlichen Musik nicht viel zu tun haben.

Unbestritten ist, dass Barbershop in Deutschland seit nunmehr rund 30 Jahren Fuß gefasst hat, woran Sie erheblichen Anteil haben. Wie haben Sie Barbershop für sich entdeckt?

Zunächst möchte ich erwähnen, dass das erste deutsche Barbershop-Quartett mit Namen Sour Krauts bereits 1963 von Kurt Gerhardt gegründet wurde. Der weilte damals mit dem studentischen Madrigalchores Münster in den USA, wo er Barbershop kennenlernte. Ich war später ebenfalls Mitglied dieses Chores und mit ihm Ende der Sechzigerjahre auf einer Tournee in den USA. Dort sind wir auf Barbershop-Sänger und ein Notenbuch gestoßen und haben nach einer Chorprobe in einer Kneipe daraus gesungen. Das hat viel Spaß gemacht und so entstand meine Begeisterung für diesen a cappella-Gesang, weil der so anders ist als andere Chorgesänge. Zuhause geriet der bei mir erst einmal wieder etwas in Vergessenheit, aber in den Achtzigerjahren kam ich dann doch wieder darauf und habe ein Quartett zusammengetrommelt. Ich glaube, wir haben tatsächlich viel dazu beigetragen, wenngleich nicht als Einzige, dass sich in Deutschland eine Barbershop-Szene entwickelte.

1988 sind Sie mit der Ruhrpott Company als erstes deutsches Quartett in der Golden Anniversary Show auf der Barbershop-Convention des amerikanischen Verbandes SPEBSQSA aufgetreten?

Ja, und es war wirklich ein tolles Erlebnis.

Wo liegt eigentlich der musikalische Unterschied zwischen Barbershop- und anderen Chören?

Im Klang. Barbershop ist eine Musik, die Obertöne verstärken und damit hörbar machen will. Die Amerikaner nennen das Ergebnis „Expanded Sound“. Das gibt es so in keiner anderen a cappella-Richtung und führt zu einem besonders voluminösen Klang. Um die Obertonverstärkung zu erreichen, bedarf es spezieller Arrangements und Harmonieregeln. Beim Barbershop geht es letztlich vor allem um die Art, wie man singt und nicht darum, was man singt.

Es gibt beim Barbershop eine ziemlich strikte Trennung in Männer- und Frauenensembles. Warum eigentlich?

Das hängt schlicht mit physikalischen Aspekten zusammen. Um  obertonverstärkend zu singen, muss man das in enger Lage tun. Das heißt, in einem gemischten Quartett müssen die Männer relativ hoch und die Frauen relativ tief singen. Frauen singen aber in der Regel deutlich höher als die Männer. Es ist also einfacher, getrennt zu singen, weil die Frauen beziehungsweise die Männer im Gesang jeweils schon relativ nah beieinander sind. Allerdings hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Gerade in Deutschland wird „Mixed Barbershop“ seit langem besonders gepflegt. Unser derzeitiger Quartettchampion „Singsation“ ist ein gemischtes Quartett. Wir haben in unserem Verband BinG-Barbershop in Germany mit „Heavy Medal“ außerdem einen hervorragenden gemischten Chor.

Toller Name, worauf bezieht der sich?

Der Chor besteht nur aus bestens ausgebildeten Mitgliedern, die allesamt mit ihren Quartetten  bereits Medaillen in Wettbewerben gewonnen haben. Diesen Spitzenchor haben wir ins Leben gerufen, weil wir den gemischten Barbershop voran bringen wollten.

Sie sind nicht nur BinG-Mitgründer, Sie leiten zudem den seit 1991 bestehenden Dortmunder Frauenchor Ladies First. Haben Sie auch mitsingende Friseurinnen im vierzigköpfigen Ensemble?

Leider nicht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Alle gut singenden Friseurinnen sind herzlich willkommen!

Bei den Barbershop-Wettbewerben werden die Chöre nicht nur in puncto Musik und Gesang bewertet, sondern auch in Bezug auf ihre Präsentation, sprich Choreografie, Kleidung, Mimik – und auch die Frisur?

Natürlich. Das gehört dazu.

Das heißt, vor dem Auftritt geht es für die Chormitglieder stets noch mal zum Friseur?

Auf jeden Fall, zumindest bei den Frauen ist das so, bei den Männern vielleicht weniger. Das gesamte Erscheinungsbild des Ensembles – von den Kleidern, übers Make up bis zu den Frisuren - spielt eine große Rolle, weil der Chor auf der Bühne natürlich als Einheit wirken soll. Es wirkt ja weit über den Gesang hinaus, wie das Publikum die Sängerinnen und den Chor wahrnimmt.

Es gibt ja durchaus Parallelen zwischen Frisieren und Singen. Beides ist eine hohe Kunst, wenn es gut werden soll und auch die Friseure messen sich bei Meisterschaften. Wurde Ihr Chor schon mal zur Gala einer Friseur-Meisterschaft eingeladen?

Bisher sind die Friseure meines Wissens noch nicht auf die Idee gekommen, uns für die Umrahmung ihrer Wettbewerbe einzuladen. Es gibt immer nur lokale Verbindungen. Gerade in früheren Zeiten, als viele gar nichts mit Barbershop anzufangen wussten, haben wir mit Ladies First Kontakt zu Friseuren gesucht. Wir haben Promovideos bei Friseuren gedreht und auch mit meinem einstigen Quartett Cadillac hatten wir kleinere Auftritte im Friseursalon. Gerade für Fernsehbeiträge sind wir in die Salons gegangen, um dort zu singen. Das war ja naheliegend.

Sangen Sie dort auch mal als Gag Rossinis „Barbier von Sevilla“ oder gar aus Gag einen Trashschlager wie „Du hast die Haare schön“?

Nein, leider nicht. Es gibt dazu nicht die passenden Arrangements. Wobei ich finde, dass es eigentlich kaum Schlager gibt, die sich speziell mit um das Thema Friseur drehen.

Verkaufen sich die CDs ihres Chores wenigstens gut bei Friseuren?

Nein, viele Friseure sind da wohl doch auf einem anderen Dampfer (lacht).

Aber es ist doch so, dass die Barbershop-Musik absolute Unterhaltungsmusik ist und vom Inhalt her fast nichts ausgrenzt.

Richtig, Barbershop gehört im weitesten Sinne zur Unterhaltungsmusik. Es handelt sich um mehrstimmige A cappella-Musik, die man in Bezug auf die stimmungsvolle Unterhaltung des Publikums in gewisser Hinsicht auch mit der der Comedian Harmonists vergleichen kann. Das Repertoire kann bis in den Schlagerbereich hinein gehen. Wir singen ja auch hauptsächlich amerikanische Schlager und Popsongs aus allen Sparten, Gospels, Jazzstandards wie „Georgia on my Mind“ und sogar klassische Stücke wie Händels „Halleluja“. Von den Inhalten her ist alles sehr frei.

Man könnte auch „Atemlos durch die Nacht“ von Helene Fischer in eine Barbershop-Version bringen?

Ja klar, man müsste es nur so arrangieren, dass es nach Barbershop klingt. Dazu braucht man allerdings einen guten Arrangeur und von denen gibt es in Deutschland wenige, weil es eine anspruchsvolle Arbeit ist. In den USA gibt es eine Ausbildung für Barbershop-Arrangeure, aber auch bei uns wird das Arrangieren in Workshops gelehrt. Die finden jedes Jahr in Oberwesel statt und sind immer bestens besucht.

Wie viele Sänger und Sängerinnen von Barbershop gibt es insgesamt in Deutschland?

In unserem Verband sind ca. 650 Sänger und Sängerinnen organisiert, dazu kommen noch rund 100 Fördermitglieder, die auch singen, aber nicht einem Quartett oder Chor. Im ganzen Land existieren 22 Chöre und 38 Quartette. Lange Zeit war Dortmund eine Hochburg, jetzt ist es eher München, wo es drei sehr gute Chöre gibt und viele gute Quartette. Und einen gemischten Chor mit ganz jungen Leuten gibt es dort auch.

Wie stehen die deutschen Barbershop-Chöre im internationalen Vergleich da?

Erstaunlich gut. Die besten deutschen Chöre finden sich international vielleicht unter den besten 30 Chören wieder. Das ist schon sehr gut, vor allem wenn man bedenkt, dass es in den USA viele hundert Männer- und Frauenchöre gibt.

Wo sind die nächsten Auftritte von Ladies First?

Vor allem bei Adventskonzerten, wo wir natürlich Weihnachtslieder in Barbershop-Version singen werden oder auch Stücke wie „You’ll Never Walk Alone“. Wir hoffen, dass wir irgendwann auch mal beim BVB-Weihnachtssingen im Fußballstadion mitmachen können. Ansonsten ist das nächste Großevent natürlich das Barbershop Musikfestival im Konzerthaus Dortmund im April 2020.

Einen ersten Einblick in die den Barbershop-Gesang von Ladies First bekommen Sie hier