09.01.2017

Die Friseur-Helden von 1996

Washington 1996: Das deutsche Juniorenteam punktete damals mit starken Leistungen und holte den WM-Pokal nach Hause. Danach folgten für die Teilnehmer 20 spannende Jahre.

Sie waren gerade mal 21 Jahre alt, hatten mit Unterstützung von Eltern und Trainern ihrer beruflichen Karriere den Kick gegeben: Nicole Ritter, Inken Haas, Oliver Bohn und Johannes Hess hatten jede freie Minute trainiert, um den angesagten Wettbewerbsstil mit viel Präzision Härchen für Härchen an ihren Perückenköpfen umzusetzen. Spannungsgeladen die Siegerehrung mit der Überraschung, die ihr Leben veränderte.

Jeder für jeden

Denken sie an die Zeit zurück, so haben alle die gleiche positive Erinnerung. „Wir haben ein ganz besonderes Verhältnis zueinander entwickelt. Man traf sich ein halbes Jahr lang einmal die Woche beim Trainer Joachim Wolf und an den Wochenenden abwechselnd in einem unserer Salons. In der Endphase drehte sich jede Minute um das eine Ziel. Jeder hatte auch mal eine schlechtere Phase. Da halfen wir wie selbstverständlich mit, sodass wir am Tag X in Washington alle den gleichen fachlichen Level hatten. Das schweißte zusammen. Unsere Freundschaft hält bis heute“, so Johannes Hess. Dem fügt Inken Haas hinzu: „Für mich war das ein sehr intensiver, arbeitsreicher und emotionaler Lebensabschnitt. Wir kannten uns zwar von vielen nationalen Wettbewerben, aber dort traten wir natürlich gegeneinander an. Wir lachten sehr viel und hatten auch unseren Spaß. Die Balance und die Chemie stimmten einfach.“ Nicole Ritter erinnert sich: „Wir teilten gewisse Arbeiten auch schon mal unter uns auf. So kümmerten sich Oliver und Johannes um die Haarteile für die Galafrisur, Inken und ich bastelten Haarschmuck und Ohrringe aus Strass.“

Oliver Bohn: Uns gehörte die Welt

„Zum damaligen Zeitpunkt war ich davon überzeugt, dass uns jetzt die Welt gehört! Schließlich waren wir ja die besten Friseure der Welt. Aus heutiger Sicht war der Titel damals wie ein Schlüssel. Es galt die Türen zu finden und dann auch noch das Schlüsselloch! Ich glaube, ich hatte das Glück, dass ich nie in die Schranken gewiesen wurde, sondern man mir immer eher beschützend die Grenzen zeigte. Mit meinen Eltern, die mich unterstützten, und Günter Amann als Mentor hatte ich viel Raum, um mich zu entwickeln. Insgesamt gab es viele Erlebnisse in meinen fünf Wettbewerbsjahren, die von euphorisch bis deprimierend reichten. Rückblickend betrachtet waren alle positiv, weil sie mich formten. Ich hatte z. B. eine Serie von ersten Plätzen, bis ich dann einmal bei 34 Teilnehmern den 31. Platz belegte. Ich wollte sofort den Beruf wechseln. Aber nur eine Nacht lang, denn dann siegte meine Kämpfernatur. Da war das Bestehen im WM-Team leicht. Alles Organisatorische wurde abgefangen, wir kümmerten uns einfach nur um Haare. Mit Leidenschaft und viel Verständnis füreinander.“ 

Medienrummel genutzt

In den Zeiten ohne Twitter, Facebook und Co. musste natürlich noch ganz anders getrommelt werden. „Man wusste eigentlich gar nicht, damit umzugehen. Zeitungen, Regionalfernsehen, Radio – alle wollten was von uns. Wir waren schließlich das erste Juniorenteam überhaupt. Und dann holten wir auch gleich noch den Titel. Selbst von Verbandsseite hatte man uns vorher kaum wahrgenommen. Umso größer war die Überraschung. Johannes und ich nahmen einen dreijährigen Akteursvertrag an, der uns mit Inken Haas immerhin bis nach Vancouver auf die Bühne brachte.“

Rasante Karriere

Sein Engagement auf vielen Bühnen öffnete für Oliver Bohn die richtigen Türen. Seine langjährige Tätigkeit an der Lörracher Fachschule von Günter Amann führte schließlich zur Übernahme mit einer großen Verantwortung. Nach der Gründung eines eigenen Salons kam international die Ernennung zum Präsidenten der weltweit agierenden Intercoiffure-Jugendvereinigung Fondation Guillaume. Im Vorstand von Intercoiffure Deutschland lenkt er seit Jahren die Nachwuchsarbeit. Seine Highlights liegen in der Welt verstreut, ob auf Tourneen durch europäische Städte oder auch einfach zu Hause im Garten mit seinen vier Kindern. 

Nicole Ritter: Wir waren Vorreiter

Eine besondere Herausforderung war die Tatsache, dass dieses erste Juniorenteam sich neuen Bedingungen, an Posticheköpfen zu frisieren, stellen musste. „Das Einschneiden solcher Übungsköpfe und auch das Färben ist eben anders als am lebenden Modell. Es gab noch nicht so viele Hersteller für Stativständer. Alles musste erst auf Tauglichkeit getestet werden. Wir bastelten Schulterpolster aus Plastikflaschen, um die Bekleidung so natürlich wie möglich wirken zu lassen. Alle Wettbewerber nach uns profitierten von unseren Erfahrungen. Die Industrie reagierte, stellte danach bessere Köpfe mit feinerer Knüpfung und hübscherem Aussehen her.“

Desaster-Siegerehrung

Das deutsche Team von Trainer bis Delegierte war so groß, dass das Treppchen nicht reichte. „Da war meine Freude kurzzeitig getrübt, denn ich stürzte schmerzlich vom Podest. Echte Glücksgefühle stellten sich erst später ein. Als die deutsche Nationalhymne gespielt wurde, bekam ich Gänsehaut. Ich stand kurz vor meinem 21. Geburtstag. Das wurde mir zum Verhängnis, denn im strengen Amerika gab es keinen Alkohol unter 21. So musste O-Saft zum Anstoßen herhalten. Mit dem großen Pokal im Handgepäck erregten wir gleich am Flughafen in Washington großes Aufsehen. Glückwünsche kamen von überall.“

Eigene Shows

„Im Salon erlebten wir einen wahren Boom an Gratulanten und neuen Kunden. Ich versuchte schließlich, mich auch in der Sonderklasse auf der Wettbewerbsbühne zu bewähren, entschied mich aber 1998 für die Meisterprüfung und das Arrangement eigener Shows. Das waren interessante und spannende Erfahrungen, denn hier ging es ja schließlich nicht mehr nur um Haare, sondern auch um die richtige Musikauswahl, Choreografie, Modellcasting und die richtigen Outfits. Nun kam ich bei vielen Gelegenheiten zahlreichen Promis, Schauspielern und Sportlern sehr nah. Zusammen mit meinen Brüdern Marcel und René übernahm ich vor zehn Jahren den Salon unseres Vaters. Wir alle sind nach wie vor als Trainer aktiv, auch wenn Wettbewerbe nicht mehr den Stellenwert haben wie damals.“

Inken Haas: Zeit hat mich positiv geprägt

„Die Wettbewerbszeit hat dazu geführt, dass ich gelernt habe, immer das Beste aus mir herauszuholen, mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und diszipliniert zu sein. Man vergisst schnell, welchen Stress eine Wettbewerbssituation erzeugt. Man muss auf den Punkt genau Leistung erbringen, hat einen enormen Zeitdruck vor den Augen von Publikum und Juroren. Aber diese Zeit hat mich positiv geprägt, fachlich und auch menschlich. Ich danke meiner Mutter Gisela­ Haas, einer Meisterin alter Schule, voller Leidenschaft und der Fähigkeit, Wissen weiterzugeben. Es erfüllt mich mit großem Stolz, wenn mein achtjähriger Sohn sagt: Meine Mutti ist Weltmeisterin. 

Ein Qualitätssiegel

„Der Gewinn des Titels ist ein Qualitätssiegel, mit dem wir uns aus der Masse an Friseuren hervorheben können. Ich habe das als eine Verpflichtung verstanden, die Umsetzung im Salon zu realisieren. Das heißt, eine erstklassige handwerkliche Leistung, gepaart mit exklusivem Service, Kreativität und Flexibilität zu einem angemessenen Preis. Meine Strategie ist aufgegangen. Meine Kundinnen kommen heute von weither.“

Königliches Highlight

„Als ich 1999 gebeten wurde, Königin Silvia von Schweden zu frisieren, empfand ich besonderen Stolz. Sie hatte sich damals daran erinnert, dass ganz in der Nähe ihrer Heimatstadt Heidelberg eine Friseur-Weltmeisterin ansässig ist. Sie ließ bei mir anfragen. Ein paar Jahre später wurde sie von mir auch bei weiteren Charity-Events gestylt. Wenn man einmal ein gekröntes Haupt frisiert hat – was ja durchaus ein intimer Moment ist – hat man keine Berührungsängste mehr. Auch das hat mich beruflich weitergebracht und war eine tolle Werbung. Trotzdem habe ich immer realistisch und bodenständig die Zukunft beurteilt. Nach vielen Jahren mit exklusiven Shows für viele Firmen im In- und Ausland habe ich mich für die Übernahme des elterlichen Traditionssalons entschieden. Und das macht mir jeden Tag aufs Neue Spaß.“

Johannes Hess: Regionales Echo

„Es gab einen gemeinsamen, aber auch einen sehr wirksamen individuellen Presserummel. Bei uns im Saarland fokussierte sich alles auf meine Person. Die wichtige Saarbrücker Zeitung brachte mich auf der Titelseite und auch das Regionalfernsehen war hier. So verbinden mich auch heute noch viele Menschen mit diesem Ereignis. Davon profitiert natürlich unser Salon. Ich bin sehr stark von meinem Elternhaus geprägt. Ich verbrachte eine paradiesische Kindheit, denn meine Eltern hatten es geschafft, Geschäft, Ehrenamt und Familie zu vereinbaren. Gleichzeitig wurde ich immer dazu angehalten, Leistung zu bringen und an meine Grenzen zu gehen. Wer erfolgreich sein will, muss eben mehr tun als andere. In dieser Atmosphäre war es nur logisch, sich bei Wettbewerben mit anderen zu messen. Schließlich hatte ich durch das starke Engagement meines Vaters auf der Bühne und rund um die Organisation der Deutschen Meisterschaften schon sehr früh den Wunsch, auch einmal da oben zu stehen. Keine Frage also, dass mir die Unterstützung meiner Eltern sicher war.“

Shows plus Ehrenamt

Die Highlights der letzten 20 Jahre finden sich zum einen bei den vielen Veranstaltungen, die Johannes Hess mit Goldwell, der Innung und privat durchgeführt hat. Darin sah er seine Ziele. Als Fachbeiratsleiter engagiert er sich für seine Kollegen und trägt so weiter dazu bei, dass das fachliche Niveau in allen Salons hochgehalten wird. Gleichzeitig sind soziale Aktionen ein fester Bestandteil der Salonphilosophie. „Daneben ist es mir aber auch sehr wichtig, dass ich den schwierigen Spagat zwischen beruflichem Erfolg und intakter Familie immer im Auge behalte. So habe ich vor ein paar Jahren meinen damals noch kleinen Kindern zuliebe meine karriere­orientierten Aktivitäten auf der Bühne und im Ehrenamt zurückgeschraubt. 

Prioritäten gesetzt

„Für mich ist es immer sehr wichtig gewesen, mir Ziele zu setzen und in einer überschaubaren Zeit zu erreichen. Das war vor und nach der WM so. Nach der Showtime kam die Familienphase. Inzwischen sind unsere beiden Söhne in der Schule. Der Freiraum gehört der qualitativen Neupositionierung des Salons und Aufwertung des Teams. Das ist meine Zukunft.“

Text: Brigitte Wulff