Foto: Rosa Mag

09.11.2021

Zeit für Afrohaar

Die Autorin Ciani-Sophia Hoeder über die Eigenschaften und Pflege von Afrohair – und warum es eine neue Deutung überholter Bilder in der Gesellschaft braucht.

TOP HAIR: In Ihrem Online-Magazin "Rosa Mag" widmen Sie sich unter anderem der Pflege von Afrohaar – wie würden Sie die Unterschiede zu kaukasischem Haar zusammenfassen?

Ciani-Sophia Hoeder: Es gibt viele Afrohair-Typen, doch generell hat Afrohaar eine ganz andere Struktur als kaukasisches Haar. Es ist trockener, braucht sehr viel Feuchtigkeit, reagiert empfindlich auf Reibung und bricht leicht. Dazu fettet es so gut wie nicht, braucht aber viel Fett als Pflege. Auch wird es ganz anders geschnitten als kaukasische Locken, oft trocken und von Locke zu Locke statt übergreifend.

In Großbritannien wurde der Umgang mit Afrohaar nun verbindlich in die Friseurausbildung aufgenommen. Wie stehen Sie dazu?

Der Schritt ist gut, aber auch erstaunlich überfällig. Ich hoffe, dass Afrohaar künftig auch in Deutschland normalisiert und positiv dargestellt wird. Bedauerlicherweise gilt krauses Haar nämlich in der medialen Wahrnehmung oft als kaputt und unschön. Und solides Friseurwissen über die spezielle Pflege und Struktur von Afrohaar ist faktisch nicht vorhanden. Das sagt auch etwas über die Sichtbarkeit von Schwarzen Menschen aus: Wen denken wir in unserer Normalität mit, und wen nicht?

Das Thema hat also auch eine politische Dimension?

Weil kein gesellschaftlicher Bereich völlig unpolitisch ist, findet der allgemeine Diskurs auch ein wenig im Friseurhandwerk statt. Ich finde es okay, dass nicht alle Friseur*innen Profis für Afrohair sind. Doch während das Angebot an privaten Afroshops in den Metropolen groß ist, sind Menschen in kleineren Städten aufgeschmissen. Die Lebensrealität von Schwarzen Menschen ist kein prominentes Thema. Auch darum habe ich „Rosa Mag“ gegründet. Dort werden viele Themen behandelt, Haare sind jedoch ein besonders emotionales.

Würden Sie das näher beschreiben?

Das Thema ist aufgeladen, weil die Werbung uns über Jahrzehnte diese Bilder mitgegeben hat, auf denen kaukasisches, glattes Haar Symbol von Schönheit und Fruchtbarkeit ist. Afrohaar hingegen ist in dieser Erzählung kaputtes Haar, das vor allem im Vorher-Nachher-Kontext auf taucht und kuriert werden muss. Diese Bilder haben Schwarze Frauen in der Wahrnehmung ihrer Wertigkeit geprägt, auch mich.

Mit welcher Folge?
So, wie es die meisten Frauen mit Afrohaar bis heute tun, habe auch ich meine Haare viele Jahre lang chemisch geglättet, sie also mit dem „Relaxer“ entkraust. Selbst Michelle Obama ist so gut wie immer mit glattem Haar öffentlich aufgetreten. Vor ein paar Jahren kamen die möglichen Folgen dieser Glättung ans Licht, als es Daten zu erhöhter Krankheitsgefahr gab. Dieses Schönheitsideal ist also nicht nur schädlich für die allgemeine Wahrnehmung von Menschen, sondern kann auch gesundheitliche Folgen haben.

Entwickeln sich denn mit wachsendem Wissen auch spezielle Pflegetrends?

Die Pflege ist eine komplizierte Angelegenheit. Einerseits, weil Afrohaar so empfindlich ist, andererseits, weil es nahezu keine Produkte dafür im Handel gibt. Keine einzige traditionelle Marke in Deutschland hat Pflegeprodukte für Afrohaar im Programm. Und das, obwohl Schwarze Menschen gewohnt sind, bis zu neunmal mehr Geld für teuer importierte Pflegeprodukte auszugeben, da das Haar sehr intensiv gepflegt werden muss. Hier wird ein ganzer Markt versäumt. Vor allem Youtube hat aber das Wissen über Afrohair revolutioniert.

Inwiefern?

Weil von dort aus die Natural-Hair-Bewegung sichtbar geworden ist – also der Aufruf, Afrohaar entgegen den klassischen Werbebildern natürlich zu tragen, es nicht länger chemisch zu glätten. Außerdem gibt es auf Youtube Tipps für die natürliche Haarpflege. So bekommen Menschen Zugang zu Hausmitteln, die den teuren Produkten das Wasser reichen können. Leinsamengel ist etwa eine tolle Leave-in-Pflege.

Welche Styling-Trends gibt es derzeit?

Das richtet sich stark nach den Jahreszeiten: Wenn es kälter wird, sind Flechttechniken wie Braiding sehr gefragt, weil die Mischung aus Winter- und Heizungsluft das Haar leichter brechen lässt. Mit Braids lässt sich die Reibung an Klamotten, Wollpullis und Schals gut einschränken. Generell ist die Herausforderung von Afro-Hairstyles, die empfindliche Haarstruktur zu schützen und gleichzeitig so cool wie möglich auszusehen. Es lassen sich unterschiedliche Farben hineineinflechten, dünne und dicke Braids mischen, Techniken wie Cornrow oder senegalesische Twists nutzen – was Kreativität angeht, gibt es keine Grenzen.

Interview: Constanze Ehrhardt