04.06.2024
Perspektive auf ein neues Leben: Friseur-Azubi in der JVA Köln
Im Salon der Justizvollzugsanstalt Ossendorf stellt Julia P. die Weichen für ihre Zukunft.
Ein großer, lichtdurchfluteter Friseursalon mit einer Empore in einem hohen Raum im Fabrikstil, neun Bedienplätze, ein Kosmetikstuhl. Im Regal Produkte von Wella, L’Oréal, Tigi. Eine Ausgabe der TOP HAIR liegt auf dem großen, massiven Holztisch. Das Studio 61 könnte ein ganz normaler, moderner Salon mit Loftatmosphäre sein, wären da nicht die Gitter vor den Fenstern. Auch die leeren Trolleys fallen auf. Denn Arbeitsgeräte dürfen hier nur direkt an der Frau getragen werden. Nach dem Einsatz werden sie wieder weggeschlossen. Das Studio 61 ist ein Gefängnis-Salon im Haus 61 im Frauentrakt der Justizvollzugsanstalt Köln.
Den Traumberuf in Haft gefunden
Julia P. (Name von der Redaktion geändert) macht hier mit sechs weiteren inhaftierten Frauen ihre Ausbildung zur Friseurin. Wir durften sie an ihrem Arbeitsplatz besuchen. Die 41-Jährige ist seit drei Jahren und sechs Monaten in Haft, startete 2022 die Ausbildung zur Friseurin und steht nun kurz vor den Prüfungen. „Ich wollte etwas für den Geist tun, dazulernen“, erzählt die gelernte Restaurantfachfrau. Daraus entstanden ist die Hoffnung auf einen Traumberuf – in Freiheit. „Mein Wunsch ist es, wieder als Mensch gesehen zu werden, nicht als Ex-Häftling.“
Highlight TOP HAIR-Messe
Im März bekam Julia P. die Gelegenheit, mit einem JVA-Beamten und ihrem Ausbildungsleiter die TOP HAIR-Messe zu besuchen. Besonders Patrick Cameron habe sie inspiriert, denn ihre Prüfungen beinhalten auch Hochstecken. „Wahnsinn, in welcher Zeit er die Frisuren macht“, war sie von der Show geflasht. Ebenso von vielen guten Gesprächen an den Messeständen. Denn die Friseure und Industriepartner seien ihr offen und herzlich begegnet.
Als Steckenpferd in der Ausbildung hat sich für Julia das Barbering herauskristallisiert. Im Knastsalon benutzt man Geräte von Wahl und Julia hatte auf der Messe auch an diesem Stand Gelegenheit, sich zu informieren und ein bisschen zu fachsimpeln. Männerhaarschnitte zu üben, sei in Haft allerdings nicht so einfach, da man auf Modelle unter den Beamten angewiesen sei. Als reguläre Kundinnen sind ansonsten nur weibliche Mithäftlinge zugelassen.
Fokussiert und allein lernen
Prüfungsvorbereitung im Gefängnis erfordert viel Eigeninitiative. Ohne Internet, ohne Handy- Zugang ist natürlich keine Recherche im Netz möglich. Andererseits gibt es keine Ablenkung, der Hafttag ist strikt durchgeplant. Einen Großteil davon verbringt jeder Häftling alleine. Die Azubis lernen allein, jeder für sich in seiner Zelle, genauso, wie jeder für sich allein in seiner Zelle die Mahlzeiten einnimmt. Als Schullesestoff dient Julia auch die TOP HAIR. „Das TOP HAIR-Magazin ist der Draht nach draußen!“ Es ist eines der wenigen Hefte, das sie mit „auf Zelle“ nehmen darf. Hier bereitet sie sich intensiv auf ihre Prüfungen vor.
Wieder das wahre Leben leben
Ein Draht nach draußen ist auch das ehrenamtliche Engagement in der Diakonie. Hier übt die angehende Friseurin beim Freigang ebenfalls das Haareschneiden. Außerdem „möchte ich, dass die Zeit vergeht“, sagt sie. Auch deshalb nimmt die Mutter einer 24-jährigen Tochter an allen Projektgruppen teil, die in der JVA angeboten werden, wie Laufen, Kraftsport, Theatergruppe oder Konzertorganisation. Geburtstage, Feiertage in der Familie, die man verpasst – das seien die schlimmsten Tage in Haft. Wieder am Familienleben mit ihrer Tochter und ihrer Mutter teilnehmen zu können, ist ihre Sehnsucht. Im Mai durfte Julia zum ersten Mal in den privaten Ausgang, konnte einen Tag und eine Nacht mit ihrer Familie in Köln verbringen. Solche Highlights und der Antrieb, nach ihrer bestandenen Prüfung im Friseurberuf Fuß zu fassen, geben ihr Kraft.
Wie reagieren die Leute draußen?
Wenn alles klappt, steht im Juni der offene Vollzug an. Das heißt, Julia kann in einem freien Beschäftigungsverhältnis arbeiten und hat eine Wohnung, die zur Außenstelle der JVA gehört. Der Ausgang wird an die Arbeitszeiten im Salon angepasst. Ihre endgültige Entlassung ist für 2026 vorgesehen. Dann ist ihre Haftstrafe verbüßt. Julia P. sehnt sich diesen Tag herbei und denkt positiv: „Ich habe in meiner Haftzeit viel reflektiert und mir ist bewusst geworden, was ich aufs Spiel gesetzt habe. Ich habe Glück, dass meine Familie gesund ist und hinter mir steht. Dieses Glück haben nicht alle hier.“ Dennoch hat sie Ängste: „Wie werden die Leute draußen auf mich reagieren? Geben Sie mir eine Chance, obwohl ich einen Fehler begangen habe?“ Sie möchte ein ruhiges Leben führen und einen Job finden, der ihr Spaß macht. Sobald die Prüfungen bestanden sind, stürzt sie sich deshalb in die Bewerbungen. Wichtig ist ihr in Bezug auf ihre zukünftigen Arbeitgeber und ihre Kolleg*innen: „Ich möchte immer offen und ehrlich kommunizieren!“
Text: Susanne Vetter