Foto: Sandra Sartory

26.01.2021

Die Politik soll uns zuhören!

Sandra Sartory führt einen Friseursalon in Dorsten. Mit ihrer Aktion #wirmachenAUFmerksam möchte sie auf die momentan verzweifelte Lage der Friseurbranche aufmerksam machen. Mit so einer großen Resonanz hatte sie allerdings nicht gerechnet. Wir haben mit ihr gesprochen.

TOP HAIR: „Wir machen AUFmerksam“: Was genau ist das für eine Aktion?
Sandra Sartory: Ich habe die Aktion „wir machen auf“, die die Gastronomie gemeinsam mit dem Einzelhandel ins Leben gerufen hat, in den sozialen Medien gesehen. Natürlich konnte ich das in dem Sinne nicht benutzen, denn aufmachen dürfen wir nicht, aber auf uns aufmerksam! Denn das ist ja wichtig für unsere und alle anderen Branchen. Deshalb habe ich überlegt, wen nimmst du mit ins Boot und habe zunächst eine Gruppe bei WhatsApp gegründet. Da hat sich aber zunächst niemand gemeldet. Und dann habe ich gedacht: „Okay, du kannst es nur rumreißen, wenn du jeden Einzelnen persönlich anrufst.“

Warum, denken Sie, hat zunächst niemand reagiert?
Ich glaube, weil jeder Angst hatte, dass ich nun zu den Corona-Gegnern gehöre und zu einer Demo aufrufen möchte. Nachdem ich jeden aber angerufen hatte, von dem ich dachte, dass sie verstehen, was ich möchte, und verstehen, dass wir wirklich etwas tun müssen. Denn wir finden kein Gehör und unsere Lobby ist nun mal nicht so groß wie in anderen Branchen. Ich hätte aber nie gedacht, was das in der kurzen Zeit für eine Welle schlägt. Denn wir waren zunächst nur 30 Leute mit Gesicht. Aber dann kam das Ganze ins Rollen.

Wie kam es zu der Idee: Wir machen AUFmerksam?
Ich habe mit meiner Freundin zusammengesessen, die im Marketing tätig ist. Und nur durch Zufall bei einer Boutique hier im Ort gelesen: wir machen AUFmerksam, und merksam war ganz klein geschrieben. Da habe ich mich gefragt: Wieso dürfen die aufmachen? Das war mein ursprünglicher Gedanke. Boutiquen usw. dürfen ja „click & collect“ machen, die Möglichkeit haben wir aber leider nicht. Einen „Kopf to go“ gibt es nicht. Klar unterstützen uns die Kunden, aber das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein und deckt bei Weitem nicht unsere Kosten.

Hilft es Ihnen denn, wenn Kunden momentan Gutscheine bei Ihnen kaufen?
Nein, ich finde das auch nicht gut. Denn dann habe ich in dem Moment das Geld, aber wenn ich wieder aufmachen darf und alle Kunden mit ihren Gutscheinen kommen, verdiene ich wieder nichts. Es ist einfach nur verschoben. Das war im ersten Lockdown schon so, da haben uns die Kunden auch mit dem Kauf von Gutscheinen unterstützt und kamen dann in der Zeit, in der erst mal wieder Geld reinkommen musste, mit ihren Gutscheinen. Viele haben gesagt, sie lösen ihn erst in ein paar Monaten ein, aber ich habe es auch erlebt, dass Kunden – bei uns müssen Großbehandlungen angezahlt werden – die Gelder wieder zurückgeholt haben, weil sie Angst hatten, dass es uns dann nicht mehr geben könnte. Wir haben nun gerade auch leider eine Situation, in der sich jeder selbst der Nächste ist – und das finde ich ganz furchtbar. Eine fürchterliche Stimmung, ich habe das noch nie so krass empfunden. Und es kommt so eine Trostlosigkeit. Wir haben so einen schönen Job - wir sind ja auch „Glücklichmacher. In meinen Augen wird hier mit zweierlei Maß gemessen. Jetzt lass doch mal eine Angela Merkel unfrisiert vor die Kamera gehen. Und an einigen Politikern sieht man, dass sie die Konturen geschnitten bekommen. Oder, was ja gerade in den Medien so diskutiert wurde – die Fußballer und ihre Frisuren.  Die wollen einen Lockdown in dieser Form durchziehen, aber es wird nicht konsequent gemacht.
Meine Kunden rufen jeden Tag an, sie sind frustriert und wollen, dass ich jetzt schon Termine für die Zeit nach dem Lockdown mache. Jeder will der Erste sein. Aber das mache ich nicht! Das haben wir beim ersten Lockdown so gemacht und mussten die Termine dann doch wieder alle nach hinten verschieben. Mein Buch liegt hier, und wenn es losgeht, dann geht es los.

Wie ging es mit der Aktion #wir machen AUFmerksam dann weiter?
Das Telefon stand auf einmal nicht mehr still. Es haben Hunderte angerufen, die sich anschließen wollten. Auch heute noch rufen mich jeden Tag weinende Friseure an, die verzweifelt sind und sagen: „Wie, keine Schwarzarbeit? Ich habe nichts mehr!“ Es gibt ja auch Friseure, die null Rücklagen haben. Das große Problem ist, es kommen ja auch keine Gelder! Klar gibt es das Kurzarbeitergeld. Du musst aber in Vorleistung gehen und kannst dann damit rechnen, dass du es sechs bis vielleicht auch acht Wochen später auf deinem Konto hast. Aber du musst eben in Vorleistung gehen! Im Dezember sahen meine Konten noch sehr gut aus, mittlerweile ist es aber so, dass ich meine privaten Fonds auflöse, meine Rücklagen für die Rente sozusagen. Auch ältere Friseure haben zu mir gesagt: „Das haben wir doch für unsere Rente angespart – was soll ich jetzt tun? Insolvenz anmelden?“
Im März/April, im ersten Lockdown, da sind Gelder geflossen, die aber zurückgezahlt werden mussten, weil sie nur für Fixkosten genommen werden durften. Es wird einfach zu oft das Kleingedruckte geändert. Unser Salon musste im Oktober für zwei Wochen schließen, weil die Kinder einer Mitarbeiterin Corona hatten. Wir wurden zwar alle negativ getestet, aber das war egal. Und trotzdem sind keine Gelder geflossen, obwohl man zu 100 Prozent Erstattung bekommen soll. Die Behörden kommen nicht mehr nach! Nun habe ich die Information bekommen, dass das Geld eventuell im Mai kommen soll.

Also liegt da das eigentliche Problem - die Unterstützung/Entschädigung kommt nicht an?
Genau, es fließt kein Geld. Momentan gibt es keine Formulare, die wir ausfüllen können, um die Gelder zu beantragen. Ich rufe jeden Tag meinen Steuerberater an, der mir sagt. „Sandra, es tut mir leid, die Formulare sind nicht runterladbar“. Die Zahl tickt, wie bei einem Countdown, nach unten. Und das ist bitter. Ich glaube, die Politik weiß gar nicht, was an der Basis so los ist. Ich kann nachts nicht mehr schlafen, weil mein Kopf rattert und ich mich frage, wie geht das nun weiter? Wie lange hältst du das noch aus?

Was fordern Sie?
Ich fordere, dass sich die Politik nicht pauschal befasst, sondern die Friseur-Branche ganz speziell ansieht! Uns zuhört! Weil wir unter bestimmten Voraussetzungen aufmachen könnten! Wir haben durchdachte Hygiene-Konzepte plus zusätzlich Schichtarbeit, tragen FFP2-Masken, halten die vorgegebene Kundenanzahl ein, haben Trennwände und gewähren den Mindestabstand. Und dass zur Entschädigung Gelder unbürokratisch kommen, um zu überleben und Arbeitsplätze zu sichern. Wir haben investiert, um andere zu schützen.

Wie sieht Ihr Tag momentan aus?
Ich stehe jeden Tag um halb sieben auf, weil ich nicht länger schlafen kann. Mein Kopf rattert zu sehr. Dann gehe ich erst mal auf mein Spinning-Rad, anschließend mache ich Yoga. Dann schaue ich in meine E-Mails und auf Instagram und schaue mir an, was so passiert. Und dann klingelt auch schon mein Telefon ununterbrochen. Danach gehe ich meistens noch an die frische Luft. Später setze ich mich noch mal hin und male, das entspannt mich. Dann koche ich mir etwas. Und abends sitze ich fast immer allein hier. Ich telefoniere ganz viel über Facetime. Aber mir fehlen die Sozialkontakte sehr.