15.10.2019

Zweithaar-infiziert: im Gespräch mit Cornelia Hoffmeister-Gizzi

Cornelia Hoffmeister-Gizzi ist Geschäftsführerin des Zweithaaranbieters GFH (Gesellschaft für Haarästhetik) und Vorsitzende des Verbands der Deutschen Zweithaarindustrie (VDZH). Sie sagt: "Zweithaarspezialisten werden mehr gebraucht denn je."

TOP HAIR: Was hat Sie dazu bewogen, die GFH zu gründen?
Cornelia Hoffmeister-Gizzi:
Ich hatte bei verschiedenen Zweithaarfirmen im Vertrieb gearbeitet und Erfahrungen gesammelt. Bei Besuchen der Zulieferindustrie in Asien war ich fasziniert von der Fertigung der Perücken dort. Wie diffzil die Verarbeitung war, und was man alles machen kann.Meine Vorstellung war es, mich von den Zweithaarfirmen, die bereits am Markt sind, abzuheben und mehr Service, mehr Qualität, mehr Individualität und Innovationen zu bieten. Auch wollte ich den Betroffenen mehr als nur Haarersatz zur Verfügung stellen, also zum Beispiel auch Augenbrauen aus Echthaar und Wimpern. Es war zunächst schwierig, Lieferanten zu finden, die meinen Qualitätsansprüchen standhielten. Doch es gelang. Und schließlich konnten wir auch den Herrenmarkt mit einem neuen Haarhaut-Haftsystem revolutionieren.Die Begeisterung der Friseure zu spüren, die mit dem hochwertigen und komfortablen Material und den Befestigungssystemen arbeiten, überzeugt mich immer wieder davon, dass es das Richtige war, die Firma zu gründen.

TOP HAIR: Welche Voraussetzungen sollte ein Friseur mitbringen, der ins Zweithaargeschäft einsteigen will?
Cornelia Hoffmeister-Gizzi: Zweithaarspezialisten sollten Menschen sein, die sich in andere einfühlen können, die empathiefähig sind. Es ist ein sehr weiterbildungsintensives Feld, man lernt stetig dazu, vor allem durch die Praxis. Es sollte natürlich auch der Wunsch da sein, mehr machen zu wollen als nur Haare zu schneiden oder Haare zu stylen. Als Zweithaarprofi muss man sich bewusst sein, dass man immer auch nahe am medizinischen Bereich arbeitet.

TOP HAIR: Sie sprechen das Medizinische an. Sind Zweithaarkunden in erster Linie Krebspatienten?
Cornelia Hoffmeister-Gizzi:
Viele der Kunden sind Patienten, die Krebs haben und mit einer Chemotherapie behandelt werden müssen. Hinzu kommen Menschen mit Alopezie, also meist unerklärbarem Haarverlust am Kopf bzw. Körper.
Eine wichtige Zielgruppe sind darüber hinaus die Männer mit ihrem genetisch bedingten Haarausfall. Und dann gibt es zunehmend Damen in fortgeschrittenem Alter mit zu dünnem und schütterem Haar. Hier arbeitet man dann mit einer Haarintegration, das heißt, eigene Haare werden durch Haarersatz ergänzt.

TOP HAIR: Welche Chancen bietet das Zweithaargeschäft für den Friseur?
Cornelia Hoffmeister-Gizzi: Mit Zweithaar kann man sich abheben! Viele Kunden fahren weit, um zu einem guten Zweithaarspezialisten zu kommen.Im Salon kann der Friseur dadurch Dauerkunden gewinnen, die auch nach der Erkrankung Kunden bleiben. Nur als Hintergrund: Jährlich gibt es rund 500.000 neue Krebsfälle in Deutschland und 1,5 Millionen betroffene Alopeziepatienten. Die Zahlen werden leider nicht weniger und so traurig es ist: Zweithaarspezialisten werden mehr denn je gebraucht. Auch weil durch die Alterspyramide in der Bevölkerung die Anzahl der Menschen mit dünnem, schütterem Haar zunimmt. Zweithaar ist ein faszinierender Bereich, in dem sich viel verändert. So geht der Trend heute zum Beispiel zu mehr Leichtigkeit und Wohlfühlen. Man hat nicht mehr diese Fülle bei einer Perücke wie früher. 
Die Nachfrage nach Sonderanfertigungen nimmt zu. Da fängt der interessanteste Teil an, denn da wird es individuell und kreativ. Und immer lukrativer. Und die Bereitschaft, sich auch mit Haarersatz kosmetisch zu unterstützen, wird bei Damen und Herren größer. Auch das ist eine Marktchance. Durch die Kooperationen mit Harald Glööckler oder auch Danny van Tuijl wollten wir die Chance nutzen, die Perücke mal unter einem ganz anderen Aspekt zu zeigen. Es ist ein Weg, das Thema zu enttabuisieren, auch einmal weg vom nur Medizinischen zu positionieren, in eine stylische, in eine Beautyrichtung. Das wiederum hat auch positive Auswirkungen auf den medizinischen Bereich.

TOP HAIR: Was sind die größten Herausforderungen für einen Zweithaarspezialisten?
Cornelia Hoffmeister-Gizzi: Eine große Herausforderung ist sicher die Bürokratie. Das Thema Krankenkassenabrechnungen ist schon ein enormer Block. Wichtig ist es hier, gute Ansprechpartner zu haben, wie zum Beispiel den Bundesverband der Zweithaarspezialisten (BVZ). Und auch bei der GFH gibt es neben den klassischen Perückenschulungen auch Seminarinhalte zu diesem Thema. Für die Präqualifzierung als Zweithaarstudio und um mit den Krankenkassen abrechnen zu dürfen, muss man ja gewisse Voraussetzungen erfüllen, neben den hohen fachlichen etwa auch besondere, was die Räumlichkeiten angeht.

TOP HAIR: Der Umgang z. B. mit Krebspatienten ist für Friseure auch eine emotionale Herausforderung. Wer kann hier unterstützen?
Cornelia Hoffmeister-Gizzi: Die eigenen Haare zu verlieren, ist für Frauen etwas Schreckliches. Und stellt manchmal sogar die eigentliche Krebserkrankung in den Hintergrund. Sich einfühlen und etwas leisten zu können, damit sich die Frau wieder als Frau fühlt, ist etwas Wunderbares. Aber natürlich darf man sich auch nicht völlig vom Schmerz der Patientin vereinnahmen lassen. Die professionelle Distanz wahren zu können, ist ganz wichtig.
Hilfestellung gibt zum Beispiel die DKMS life, die sich um Brustkrebserkrankte kümmert und deren „Haarprogramm“ wir zusammen mit L’Oréal unterstützen. Sie bietet Schulungen und Seminare an, in denen man unter anderem lernt: Was passiert mit einer Chemopatientin, was fühlt sie, was sollte man beachten etc.

TOP HAIR: Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus?
Cornelia Hoffmeister-Gizzi: In den letzten 15 Jahren hat sich das Image von Zweithaar zum Positiven verändert. Bei den Perückenstudios hat ein Generationswechsel stattgefunden. Junge Leute übernehmen wieder Zweithaarstudios. Und sie haben Ambitionen. Ich spreche mit immer mehr jungen Friseuren, die begeistert sind und sagen: „Dass ich da etwas Positives und Sinnvolles für das Leben der Kundinnen tun kann, ist toll.“ Vor diesem Hintergrund fände ich es wünschenswert, wenn es schon in der Ausbildung zum Friseur mehr Einblicke in das Thema Zweithaar gäbe, damit es nicht ein Buch mit sieben Siegeln bleibt.

TOP HAIR: Vor welchen Herausforderungen steht die zweithaarverarbeitende Industrie?
Cornelia Hoffmeister-Gizzi: Der Arbeitermangel in der Branche ist eine Herausforderung, denn es gibt weltweit, auch gerade in Asien, immer weniger Knüpferinnen. Dadurch verzögern sich die Herstellungsprozesse und wir müssen mit Lieferzeiten von fünf bis sieben Monaten leben. Und das ist in einer Zeit, in der sich Trends immer schneller verändern eine schwierige logistische Aufgabe. Zudem droht die Online-Belieferung an Endverbraucher direkt aus China. Ein echtes Problem, gegen das wir uns im Verband der deutschen Zweithaarindustrie vehement einsetzen werden. Wir wollen die Interessen unserer Partner im Handwerk gewahrt wissen.Viele Zweithaarspezialisten weigern sich zurecht, Kunden mit diesen Perücken anzunehmen, da es dafür keinerlei Qualitätsgarantie gibt. 
Eine Herausforderung für die Firmen ist zudem, dass Perücken-Studios immer öfter kostenlos Kommissionsware von der Industrie zur Verfügung gestellt bekommen wollen. Das ist angesichts des Wettbewerbsdrucks verständlich, aber wir müssen hier Kompromisse finden, die nicht allein zulasten der Industrie gehen dürfen. Meiner Meinung nach reichen in der Regel fünf Perücken statt 20, um einer Kundin eine gute Auswahl zu bieten.

TOP HAIR: Was dürfen wir demnächst von der GFH erwarten?
Cornelia Hoffmeister-Gizzi: In Sachen Befestigung und Materialien ändert sich gerade sehr viel. Und auch bei den Herrenteilen, die mich schon immer fasziniert haben, wird es Verbesserungen geben. Da werden Sie schon in diesem November sicherlich Neues von uns hören.

Interview: Susanne Vetter
 

DIE GFH
Cornelia Hoffmeister-Gizzi gründete 1991 die Gesellschaft für Haarästhetik im bayerischen Fürth. Als sie mit ihrer neuen Firma und den Segmenten Herren-Toupets und Damen-Perücken an den Start ging, sah sie sich einem gut besetzten Markt gegenüber. Von Beginn an war deshalb klar, dass nur ein qualitativ hochwertiges Sortiment, die konsequente Bereitschaft zur Innovation, ein lupenreiner Vertriebsweg und ausgezeichneter Service für die Zweithaar-Partner zum Erfolg führen würden. Mit dem Haarhaut-Haftsystem „ContactSkin“ brachte die GFH beispielsweise frischen Wind in den Bereich Haarersatz für den Mann.
28 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen heute und beliefert rund 1.000 Partner-Studios in fast allen europäischen Ländern. Perücken und Haarteile der fünf eigenen Marken und weiteren Marken im Vertrieb stehen zur Auswahl. In einem eigenen Haarstudio in Fürth beraten fünf Friseurinnen die Endkunden. Aber auch Friseure ohne Zweithaarstudio können ihre Kunden hierher empfehlen und begleiten. Es gibt Sonderanfertigungen in allen Haarqualitäten und einen Reparaturservice. In Seminaren zu unterschiedlichen Themen unterstützt die GFH zudem ihre Partnerstudios mit fachlichem Know-how.