Foto: Vivienne Mackinder

27.05.2018

Vivienne Mackinder: „Wir machen alle Fehler.“

Ein Mann kann doppelt so erfolgreich in dieser Branche sein wie eine Frau, behauptet Vivienne Mackinder. Wie auch Frauen Erfolg haben, welche Rolle Weiterbildung dabei spielt und warum sie uns hilft, unsere Ängste zu überwinden, erzählt uns die Friseurikone im Interview. Wir haben eine enthusiastische, nahbare und humorvolle Frau kennengelernt.

TOP HAIR: Du blickst auf eine lange und erfolgreiche Karriere zurück…
Vivienne Mackinder: Ja, 40 Jahre. Ich liebe es heute mehr als zuvor.

TOP HAIR: Du hast mit so vielen großen Namen der Branche zusammengearbeitet.
Vivienne Mackinder: Ja, das stimmt.

TOP HAIR: Was macht einen Friseur erfolgreich in der Branche?
Vivienne Mackinder: Training und tolle Menschen in deinem Umfeld. Die wahrscheinlich beste Entscheidung in meinem Leben war, für zwei Jahre ein großartiges College in London zu besuchen. Dadurch hatte ich eine klassische Ausbildung. Als ich dann zu Sassoon ging, machte niemand die Haare so wie die. Diese klassische Disziplin, die ich dort lernte, hat mir während meiner gesamten Karriere geholfen. Dafür und für alles was sie mir beigebracht haben, werde ich Sassoon für immer dankbar sein. Ich hatte also tolle Lehrer.

Aber es war nicht immer einfach und es hat auch nicht immer Spaß gemacht, disziplinierte Dinge zu tun, weil ich Fehler machte. Und das verletzte mein Selbstvertrauen. Meine Leidenschaft für Haare war aber größer als meine Angst davor, Haare zu frisieren. Als ich bei Trevor Sorbie anfing, zeigte er mir, was Schönheit ist. Er zeigte mir, nicht kleingeistig, stattdessen offen zu sein. Er forderte meine Kreativität, meinen Geschmack, guten Stil, wie ich jemanden betrachte und verstehe. In meiner gesamten Karriere war  ich von großartigen Menschen umgeben, weil ich die Wahl getroffen habe, in ihrer Nähe zu sein. Und das tue ich noch immer.

TOP HAIR: Von Sassoon hast Du also Disziplin und von Trevor Sorbie Schönheit gelernt. Gibst Du dieses Wissen an Friseure weiter?
Vivienne Mackinder: Ja, weil ein toller Look vervollständigt, wer du bist, von innen heraus, von Kopf bis Fuß. Richtig? Ein toller Look vervollständigt, er konkurriert nicht. Er kollidiert nicht mit dir. Als erstes musst du also verstehen, wer dein Kunde ist und dazu passend eine Frisur entwickeln. Das ist Kreativität. Wenn du es richtig machst, nennt sich das guter Geschmack. Keine Frau sagt: „Lass mich alt und hässlich aussehen.“ Jede Frau will schön sein und so jung wie möglich aussehen. Und jede Frau will wichtig sein. Sie will angemessen sein. Wenn wir das verstehen und entsprechend Frisuren schaffen, haben wir eine unglaubliche Karriere. Es wird nie langweilig.

TOP HAIR: Vor ein paar Jahren hast Du eine Doku-Serie produziert, die die vielen Facetten des Friseurberufs zeigte. Du selbst hast auch in so vielen unterschiedlichen Bereichen gewirkt – Du betreibst Deinen eigenen Videokanal, bist in der Weiterbildung tätig und nun auch als Coach. Welcher Bereich hat Dir am besten gefallen?
Vivienne Mackinder: Ich liebe sie alle. Das Wichtigste ist: Wenn du in diesem Beruf arbeitest, musst du auf dein Herz und deine Intuition hören. Wenn du dich in deinem Salon nicht wohl fühlst, frag dich, woran es liegt. Musst Du den Salon wechseln? Sollte er intimer oder größer sein? Ein intimer, kleiner Salon bietet dir nicht unbedingt die Möglichkeiten, die dir ein größerer Franchise-Salon eröffnet. Wenn du denkst, du hast Management Fähigkeiten und willst Leuten helfen, sie dirigieren und leiten, reduzierst du vielleicht besser die Zeit hinter dem Stuhl und investiert sie in Management, Führung oder Training. 

Das Geniale an unserem Beruf ist doch, dass es so viele Laufbahnen gibt, von Film und Fernsehen zu Editorials und all den anderen Genres. Du musst herausfinden, was deiner Begabung und deinen handwerklichen Fähigkeiten entspricht.

TOP HAIR: War Dir von Anfang an klar, dass Du Friseurin werden willst?
Vivienne Mackinder: Nein, das war Zufall. Ich war Profi-Tänzerin, 19 Jahre alt und dachte mir, das ist kein Beruf fürs Leben. Was mache ich, wenn ich nicht mehr tanzen kann? Vielleicht male ich Bühnenbilder, da ich Kunst liebe. Aber so besonders gut male ich auch nicht. Oder werde ich Choreograph? Aber wie viele Sachen kann man schon choreographieren, und kann ich damit Geld verdienen? Das ist ein hartes Geschäft. Und dann kam ich auf Make-up. An der Bühne sah ich wie Make-up, Frisuren und Kostüme Menschen verändern und fand die Vorstellung toll, das zu machen. Ich ging an ein College, das auf Haare für Film und Theater spezialisiert war. Ich lernte Visagistin, Friseurin und Perückenmacherin und hatte einen Job bei der BBC.

TOP HAIR: Echt?
Vivienne Mackinder: Aber ich trat ihn nicht an. Ich hatte zu viel Angst.

TOP HAIR: Und deshalb gingst Du…
Vivienne Mackinder: Ich ging zu Sassoon, was noch beängstigender war! (lacht)

TOP HAIR: Du hast die richtige Entscheidung getroffen.
Vivienne Mackinder: Ich denke ja! Aber die Ironie an der Sache ist, dass ich vor der Bühne geflohen bin und heute stehe ich auf der Bühne. Das Schicksal ist sehr interessant.

TOP HAIR: In Deutschland kämpfen Friseure gegen ein negatives Image ihres Berufes an. Damit einher geht das Problem, Mitarbeiter zu finden und junge Menschen für den Beruf zu begeistern. Habt Ihr in den USA dasselbe Problem?
Vivienne Mackinder: Ein bisschen. Ich würde sagen, das gilt eher für Männer. Ich würde sagen, und das kommt jetzt von einer Frau, ein Mann kann doppelt so erfolgreich in diesem Business sein – wenn er es versteht, eine Frau zu bezaubern, vier Basisschnitte und vier Basis-Farbtechniken beherrscht und einer Frau sagt, sie sei schön. Es geht nicht darum, Männern ihr Können in Abrede zu stellen, aber hier spricht ein Mann zu einer Frau. Spricht eine Frau zu einer Frau, hat das eine ganz andere Dynamik. Wir müssen Mitgefühl haben und Informationen bieten. Ich kann nicht mit einer Frau flirten. Ein Mann kann dies. Deshalb würde ich jedem Typ sagen: Weißt du eigentlich, was für ein tolles Business das für dich ist? Dass du Geld scheffeln kannst, umgeben von schönen Frauen? Aus den Interviews, die ich mit Vidal Sassoon, Anthony Mascolo  und anderen gemacht habe, weiß ich, dass sie das auch so sehen. 

Friseure haben die Verantwortung, die Branche zu all dem zu machen, was sie sein kann. Du verkaufst Glück, Hoffnung, du schaffst Wandel, du kannst dafür verlangen, was immer du denkst, dass dein Service wert ist – innerhalb deiner Kundengruppe – und du bietest Mehrwert. Es gibt nicht viele Jobs, die Glück verkaufen. Die Branche  muss zu 100% in Aus- und Weiterbildung investieren. Denn Bildung befreit dich von den Fesseln der Angst, Beschränkungen, Auszehrung und mangelndem Selbstbewusstsein. Wenn du Angst hast, tust du nichts.

Es wäre schlecht für die Reputation, wenn jemand etwas verspricht, aber etwas anderes abliefert. Dann ist da keine Integrität, keine Ehrlichkeit. Woran es unserer Branche weltweit mangelt, ist die Kunst der Beratung. Wenn du nicht kommunizieren und beraten kannst, nicht Nein und nicht Ja sagen, wird es nicht funktionieren.  Wir haben uns so stark auf die Techniken fokussiert, dass uns unsere Soft Skills abhandengekommen sind. Und Soft Skills sind so wichtig.

TOP HAIR: Und deshalb arbeitest Du jetzt als Coach?
Vivienne Mackinder: Ja.

TOP HAIR: Wann hast Du damit begonnen?
Vivienne Mackinder: Mit dem Online-Training vor 15 Jahren, weil ich gesehen habe wie die Salons mit ihren Salontrainings gekämpft haben. Jeder trainiert im Salon, aber Du musst die unterschiedlichen Trainingslevels beachten und beständig trainieren.

Manche schrecken davor zurück ihre Mitarbeiter weiterzubilden, weil diese ja kündigen könnten. Dann wäre das investierte Geld verloren und deswegen lassen sie es gleich. Aber so zu denken, ist dumm. Du musst Deine Leute trainieren. Mittlerweile verstehen die Leute, dass Du verlierst, wenn du kein gutes Trainingssystem hast.

Ich unterrichte inzwischen Saloninhaber und Trainingsleiter, wie man aus- und weiterbildet. In New York biete ich „Train the trainer“-Programme an und habe ein Online-Fortbildungssystem. Wir machen auch virtuelles Training über Zoom, einer Software ähnlich wie Skype, wo ich zum gesamten Salonpersonal spreche. Ich habe nämlich festgestellt, dass ich sie erst zum Denken bringen muss, bevor sie mit den Händen arbeiten. Der längste Weg führt meines Erachtens vom Gehirn zur Hand. Darauf liegt mein Fokus. Ich will den Menschen das Führen beibringen. Denn es geht nicht ums Management, es geht um Führung.

Ich habe mich mit John Maxwell, einem New York Times Bestseller-Autor, zusammengetan, der über 70 Bücher geschrieben hat. Ich ließ mich von ihm trainieren, wurde bei ihm Coach und adaptierte sein System für Friseure. Ich höre zu, ich beobachte und stelle Fragen, die den Leuten helfen, ihre Mitarbeiter zu coachen.

Hier in Amerika gibt es so viele Independent Salons, weil die Salons nicht richtig gemanagt und richtig geführt werden. Da sagen die Angestellten sich, sie machen es lieber selbst. Und diese Leute wiederum stehen dann auch vor denselben Herausforderungen. Die Branche kämpft mit sich und sucht nach Wegen, Geld zu machen. Sie muss ihre Balance finden.

TOP HAIR: Würdest Du Dich heute wieder entschließen Friseur zu werden?
Vivienne Mackinder: Ja, wahrscheinlich als Mann. (lacht)  Ich könnte ausschlafen, bräuchte mich nicht zu rasieren. Ich wäre aber gerne ein sexy Typ!

Wenn ich könnte, würde ich der jungen Vivienne sagen: Hab keine Angst. Wir machen alle Fehler. Deswegen gibt es Übungsköpfe. Ich trainiere immer noch an Übungsköpfen. Habe ich eine Idee, übe ich an ihnen. Sie sind meine besten Freunde. Ich spreche mit ihnen.