Michaeline DeJoria, CEO von John Paul Mitchell Systems, und der Blick aus dem Headquarter in Los Angeles, Fotos: Robb Gordon (Porträt), Paul Mitchell/Benny Haddad (Hintergrund)

06.07.2023

Paul Mitchell CEO Michaeline DeJoria: Ich bin der Kopf des Oktopus'

Wir trafen Michaeline DeJoria, CEO von Paul Mitchell, am Rande eines Meetings in Kopenhagen zum virtuellen TOP HAIR Interview. Ein spannendes Gespräch über große Fußstapfen und eigene Wege.

TOP HAIR: Was führt Sie gerade nach Europa? 
Michaeline DeJoria:
 Ich bin hier bei unserem internationalen Distributoren-Treffen. Das Meeting ist unglaublich: Alle unsere fantastischen Partner in einem Raum zu sehen, mit ihnen zu plaudern, Zeit zu verbringen und persönliche Gespräche zu führen. Zoom ist großartig, aber face-to-face ist durch nichts zu ersetzen.

Wenn wir Interviews mit CEOs führen, dann meist mit Männern. Frauen sind in diesen Positionen rar. Wie ist das in Amerika? 
Es ist dasselbe. Man sieht zwar immer mehr Frauen in Leitungspositionen oder als Gründerinnen, was cool ist, aber das Business ist immer noch männlich dominiert.

Mussten Sie sich als Frau noch mehr beweisen, um nach „ganz oben“ zu kommen, vor allem mit diesem berühmten Nachnamen? 
Das habe ich auf jeden Fall getan. Ich weiß nicht, wie viel davon auf die Voreingenommenheit anderer Leute zurückzuführen ist und wie viel davon nur meine eigene Wahrnehmung war. Ich empfinde das so, weil es ein harter Wettbewerb ist und es nur wenige weibliche CEOs da draußen gibt. Mir ging es mehr darum, mich als Tochter des Gründers zu beweisen: Du bist eine Frau, du bist die Tochter des Gründers, du bist jung und eine Mutter ­– da gibt es viele Stereotypen, und es fühlt sich an, als müsste man zehnmal mehr tun.

Also war es mehr eine Bürde, „eine DeJoria“ zu sein? 
Nein, keine Bürde, eher eine gute Motivation. Ich weiß, dass ich gut bin in dem, was ich tue. Aber zu wissen, dass mein Nachname DeJoria ist und die Leute entsprechende Erwartung haben, hat mich motiviert, so viel härter zu arbeiten. Ich nahm mir die Zeit, erst sehr lange mit Menschen zusammenzuarbeiten, bevor ich eine Führungskraft wurde. Und ich habe Zeit in jeder einzelnen Abteilung von JPMS verbracht.

Die Fußstapfen Ihres Vaters sind groß. 
In die Fußstapfen meines Vaters zu treten, habe ich nie versucht. Ich möchte keine andere Person nachahmen, das würde sich nicht authentisch anfühlen. Ich hatte wirklich Glück, einen Mentor zu haben wie John Paul, ein unglaublicher Geschäftsmann, ethisch und großartig im Umgang mit den Menschen und dem Planeten. Aber ich gehe die Dinge auf meine Weise an.

Was zeichnet dann Ihren Führungsstil aus? 
Transparenz und Zusammenarbeit. Es gibt keine Hierarchie, wenn es um Ideen oder den Austausch von Informationen geht. Wir arbeiten alle auf allen Ebenen zusammen, jeder darf und soll sich beteiligen und Hand anlegen. Und ich brauche das, weil ich die anderen Perspektiven sehen muss.

Transparenz ist wichtig, weil sie Vertrauen schafft. Ich sage nicht, dass Dinge großartig sind, wenn sie herausfordernd sind. Oder dass sie eine Herausforderung sind, nur um zu motivieren. Wir haben ein unglaublich starkes Team, auf das ich sehr, sehr stolz bin. Eine Führungskraft sollte jedem mit dem gleichen Maß an Respekt und Würde begegnen.

Sind Sie eher der kreative oder der Zahlen-Mensch? 
Ich mag den strategischen, den Business-Teil. Ich manage gut und gerne, bin gut darin, als „Kopf des Oktopus'“ alle Teile zusammenzuhalten. Die Teile, Ideen und Zahlen in Sekundenschnelle zusammenzufügen, das ist meine Stärke.

Können Sie weitsichtig planen in einer Welt, die sich immer schneller dreht? 
Zu 110 Prozent bin ich eine Langfrist-Planerin! Zwar sind wir sehr flexibel und können schnell auf Veränderungen im Markt reagieren, weil wir in Privatbesitz sind. Entscheidungen kann man von mir innerhalb von zwei Sekunden persönlich oder per Textnachricht bekommen. Aber bei allen Entscheidungen, die ich treffe, denke ich an JPMS in 100 Jahren, in 50, 20, 10 oder 5 Jahren. So funktioniert mein Verstand. Ich plane langfristig.

Sie sagten, Sie haben alle Abteilungen bei JPMS durchlaufen. Wie kann Ihnen das bei der Führung des Unternehmens helfen? 
Das Beste, was ich je für meine Karriere gemacht habe, war, dass ich mein Leben lang immer mit meinem Vater ins Büro gekommen bin. Es war meine Lieblingsbeschäftigung, und als ich das College abgeschlossen hatte, kam ich zur Arbeit. Niemand hat mich darum gebeten. Ich wurde nicht einmal bezahlt, ich bin einfach aufgetaucht, bin in jede Abteilung gegangen und habe Fragen gestellt, Dinge mit den Händen berührt. Es war meine Aufgabe, zu lernen.

Als Führungskraft kannst du unmöglich gute Entscheidungen treffen, wenn du nicht verstehst, welche Auswirkungen dies auf alles andere in der Organisation hat. Es wäre einfach, ein Produkt oder eine Verpackung einzuführen, aber wenn man nicht die Auswirkungen auf die internationalen Partner, das Lager oder die IT mitdenkt, ist man im Blindflug.

Und wollten Sie schon immer Teil von JPMS zu werden? 
Schon immer, das war mir bereits in der Grundschule klar. Das große Glück an unserer Familie ist, dass wir uns gegenseitig sehr unterstützen. Es war immer mein Traum, und es war nie etwas, das mir aufgedrückt wurde, nichts, wofür ich mit meinen Geschwistern kämpfen musste. Wir alle gehen unsere eigenen Wege. Und es macht Spaß!

Welche Vision haben Sie für JPMS? 
Der Schlüssel wird sein, zu bleiben, wer wir sind, als Marke und im Engagement für den Planeten, die Menschen, die Produkte. Aber ich sehe JPMS auch als Pionier in Sachen Innovation und bei der Suche nach neuen Wegen, Verbraucher anzusprechen. Die junge Generation zu erreichen, an Orten, wo wir sie noch nie erreicht haben.

Es ist wichtig, dass wir unser Kernzielgruppe behalten, indem wir unsere Werte pflegen, aber auch neue Zielgruppen zu erschließen. Wir möchten mehr Produkte haben, schnellere Produkte, mehr Selling Points, wir möchten wachsen, Dinge ausprobieren. Unsere Launch- und Marketing-Kalender für dieses Jahr und die nächsten drei Jahre sind bereits voller als alle Kalender, die wir je hatten.

Wir sprechen gerade über Zoom, das ist während Covid zur Routine geworden. Die Pandemie ist offiziell beendet, aber spüren Sie immer noch die negativen Auswirkungen? 
Mir kommen sofort die vielen Salons in den Sinn, die aufgrund der Pandemie schließen mussten. Das ist verheerend. Und bei einigen Rohstoffen oder Verpackungsmaterialien etc. gibt es noch einen riesigen Rückstau von einigen Jahren. Ja, die Pandemie ist vorbei, aber die Auswirkungen und die Schäden, die sie hinterlassen hat, sind es nicht.

In welchen Bereichen sehen Sie Ihr größtes Potenzial? 
Ein besonderes Potenzial sehe ich im Bereich Clean Beauty. Paul Mitchell Clean Beauty war ein starker Launch, Bond Rx, das wir kürzlich auf den Markt gebracht haben, hat unsere Erwartungen übertroffen. Die Erweiterungen Tea Tree Special Detox waren wirklich wunderbar. Die Menschen lieben Selbstfürsorge und dieses Erlebnis mehr denn je. Vor allem nach Covid wollen sie sich um sich kümmern und dieses Luxuserlebnis haben, auch wenn es unter der eigenen Dusche ist. Unsere Kernlinie wird äußerlich ein wenig überarbeitet, bekommt ein kleines Facelifting.

Welches ist Ihr Lieblingsprodukt? 
Im Moment ist es die "Tea Tree Special Detox"-Linie: das Kopfhautpeeling und dann die Kombucha-Spülung. Die Kopfhaut fühlt sich so sauber und entgiftet an. Die Linie ist eines meiner Lieblingskinder, weil uns diese Produktkategorie gefehlt hat. Nicht jeder Mensch hat Haare, aber jeder hat eine Kopfhaut. Das ist auch eine wichtige Botschaft: Wir machen Produkte für jedermann.

Als Mutter von drei Kindern, wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus? 
Meine Kinder sind jetzt 15, fast 13 und 5 Jahre alt, es ist immer noch wichtig, klare Prioritäten zu setzen: Meine Kinder stehen natürlich immer an erster Stelle. Ich bin ein guter Planer. Jeder Tag ist etwas anders, man muss improvisieren und sehr effektiv mit seiner Zeit umgehen. An meinen Bürotagen bin ich komplett ausgebucht, und an den Zeitplan halte ich mich, sodass jeder seine Zeit bekommt, die er mit mir braucht. Ich weiß, wann ich gehen muss, um die Kids abzuholen.
Ich bin auch sehr, sehr wählerisch mit den Dingen, mit denen ich meine Zeit verbringe, besonders wenn es sich um Interviews und (Glamour-)Events handelt.

Was raten Sie jungen, ambitionierten Frauen, die Karriere machen möchten?
Sei authentisch, sei du selbst. Es gibt dieses unausgesprochene Gefühl, sich anpassen oder etwas anderes sein zu müssen, eine Rolle spielen zu müssen, um erfolgreich zu sein. Tu das nicht, versuche nicht, etwas zu sein, was du nicht bist.

Ich sehe Frauen, die versuchen, sich zu beweisen und dann wirklich aggressiv werden können, oder sich passiv „vorbeiquetschen“, um leichter befördert zu werden. Das sind Fallen, weil du nicht authentisch bist. Es gibt dir so viel mehr Kraft, authentisch zu sein, statt jemanden nachzuahmen.

Wo ist Ihr „Happy Place“, an dem Sie Ihre Energie finden und auftanken können? 
Zu Hause. Wenn ich, mein Mann und alle drei Kinder einfach zur gleichen Zeit zu Hause sind. Dann bin ich ruhig und lade auf, das ist definitiv mein „Happy Place“.  Klingt seltsam, weil es der stressigste Ort ist, wenn du mit allen drei Kindern und deinem Mann zu Hause bist. Aber hier entspannt meine Seele, weil ich weiß, dass alle da und okay sind.

Interview: Aletta Helsper, Nicoletta Zitarosa

Vita

Michaeline DeJoria (geb. 1984) ist CEO von John Paul Mitchell Systems und dreifache Mutter. Ihr Vater ist John Paul DeJoria, der gemeinsam mit Paul Mitchell 1980 das Beautyunternehmen gründete. Sie hat Produktentwicklung am Fashion Institute of Design & Merchandising und Arbeits- und Organisationspsychologie an der Pepperdine University studiert. Bei JPMS hat sie in verschiedenen Abteilungen gearbeitet, bevor sie die Leitung übernahm.