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20.11.2020

Urteil des Monats: Selbstständig – oder doch nicht?

Unser Rechtsexperte hat sich ein interessantes Urteil zum Thema Selbstständigkeit angeschaut – zwar in einer anderen Branche, doch die Rechtssprechung in diesem Fall kann auch für Friseursalons relevant sein.

1. Was ist passiert?

A hat sich auf Unterhaltungstelefonate für Erwachsene spezialisiert. Dies tut sie freiberuflich und entscheidet sich, in den Räumlichkeiten von B zu arbeiten und von ihm Zimmer nebst Telefonanlage für monatlich 50 Euro anzumieten. Schnell stellt sich heraus, dass B ein seltsames Verständnis von Freiberuflichkeit hat. A kann nicht einfach telefonieren, wie sie will. Zunächst muss sie einen als „AGB“ bezeichneten Vertrag unterschreiben. Darin ist vorgegeben, in welcher Form die Telefonate zu führen sind, dass ein Profil auf einer Website von B angelegt werden muss und dass die Arbeitszeiten verbindlich in einen Schichtplan einzutragen sind. Außerdem überwacht B den von A angemieteten Raum per Videokamera und zeichnet die Telefonate auf. Die Einnahmen erhält außerdem B, der gegenüber A eine Abrechnung erstellt und damit die Telefonate vergütet. Als B dann auch noch Zahlungen nicht leistet, erhebt A Klage. Und zwar vor dem Arbeitsgericht, denn von einer Freiberuflichkeit sei bei diesen Bedingungen nicht auszugehen. „Quatsch!“, entgegnet B. A könne doch alles frei gestalten und daher sei nicht das Arbeitsgericht, sondern das Landgericht zuständig. Dieser Argumentation folgt das Arbeitsgericht. A legt jedoch Beschwerde ein.

2. Was sagt das Gericht?

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hatte nun im Kern die Frage zu beantworten, ob ein Arbeitsverhältnis zwischen A und B bestand oder A tatsächlich „nur“ freiberuflich beschäftigt war. Dabei kommt es nicht darauf an, wie die Parteien ihr Vertragsverhältnis bezeichnet haben, sondern welche Umstände ganz konkret vorgelegen haben. Vorliegend war A in die Arbeitsorganisation des B eingegliedert. Sie unterlag in ihrer Arbeitsausführung außerdem der Überwachung des B, der Strafen bei Verstößen geltend machen durfte. Die gesamte Abrechnung lag in der Hand von B. Auch konnte A nicht frei am Markt auftreten, sondern musste das Profil auf der Website des B nutzen und die zugewiesenen Anrufe annehmen. Freie Entscheidungen, wie sie für Selbstständige gerade typisch sind, konnte A nicht treffen. Das LAG geht daher nicht von einer freiberuflichen Tätigkeit, sondern einem Arbeitsverhältnis zwischen A und B aus. Damit war das Arbeitsgericht zuständig und muss nun über die Ansprüche der A entscheiden. (LAG Köln, 25.08.2020 - 9 Ta 98/20)


3. Was heißt das für Sie?

Wie immer zunächst etwas Grundsätzliches: Wann immer Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis betroffen sind, ist das Arbeitsgericht zuständig. Das gilt nicht nur für Kündigungsschutzklagen, sondern beispielsweise auch, wenn die Rückzahlung eines Arbeitgeberdarlehens oder die Auszahlung von Überstunden geltend gemacht werden. Selbst für die Beantragung eines Mahnbescheides ist das Arbeitsgericht zuständig, wenn der geltend gemachte Anspruch aus einem Arbeitsverhältnis kommt. Wann aber liegt ein Arbeitsverhältnis vor? Dieser Frage geht das LAG Köln nach und die Antwort kann auch im Salon relevant sein. Immer wieder gibt es die „Stuhlmiete“, bei der einem freiberuflich tätigen Kollegen nur die Infrastruktur des Salons zur Verfügung gestellt wird. Bedient er nur seine eigenen Kunden auf eigene Rechnung, arbeitet ohne Anweisung und wann er will, liegt eine Selbstständigkeit vor. Je stärker er aber in die Salonorganisation eingebunden ist, Weisungen befolgen muss, umso eher ist ein Arbeitsverhältnis anzunehmen. Auf einen schriftlichen Vertrag kommt es dabei nicht an, ein Arbeitsvertrag kann auch allein durch das tatsächliche Handeln geschlossen werden.

Teurer Irrtum

Wenn bei einer eigentlich beabsichtigten Selbstständigkeit tatsächlich doch ein Arbeitsverhältnis vorliegt, sind für Streitfragen die Arbeitsgerichte zuständig. Das ist dann aber das kleinste Problem: Liegt ein Arbeitsverhältnis vor, müssen Sozialversicherungsabgaben nachträglich entrichtet werden. Ein teures Vergnügen.

 

Sven Kobbelt ist Rechtsanwalt und Experte für mittelständische Unternehmen.