Gericht entscheidet: Dauerhaft krank braucht Beweise

16. Januar 2025
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Wenn Arbeitnehmer aneinandergereiht Erstbescheinigungen vorlegen, müssen Arbeitgeber nicht unbedingt zahlen, weiß TOP HAIR-Rechtsexpertin Nicole Golomb. Ein bloßer Verweis auf Diagnoseschlüssel reicht irgendwann nicht mehr aus. Es muss konkreter werden.

Inhaltsübersicht

1. Was ist passiert?

Der Mitarbeiter in der Gepäckabfertigung am Flughafen war im Jahr 2019 an 68 Kalendertagen arbeitsunfähig krank. Im Jahr 2020 war er bis zum 18.08. an 42 Kalendertagen krankgemeldet, wobei bis 13.08. Entgeltfortzahlung geleistet wurde. Der Arbeitnehmer erhob dann Klage auf Entgeltfortzahlung für zehn Arbeitstage in der Zeit vom 18.08. bis 23.09.2020. Es wurden mehrere Erstbescheinigungen vorgelegt und vorgetragen, welche ISD-10-Codes mit welchen korrespondierenden Diagnosen oder Symptomen in den Bescheinigungen aufgeführt gewesen seien. Hinsichtlich Vorerkrankungen machte der Arbeitnehmer nur Angaben zu Zeiten, die nach seiner Ansicht auf denselben ISD-10-Codes bzw. Diagnosen oder Symptomen beruhen. Weiter sei er aus Datenschutzgründen nicht zur Offenlegung der Erkrankungen verpflichtet. Der Arbeitgeber beantragte Klageabweisung, da keine Zahlungspflicht aufgrund anrechenbarer Vorerkrankungen bestehe.

2. Was sagt das Gericht?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied, dass die Klage zu Recht abgewiesen worden ist (Urteil vom 18.01.2023, Az.: 5 AZR 93/22). Es führte aus, dass die Entgeltfortzahlungspflicht grundsätzlich auf sechs Wochen begrenzt ist. Bei erneuter Arbeitsunfähigkeit aufgrund derselben Krankheit geht der Anspruch auf Entgeltfortzahlung für einen weiteren Zeitraum von sechs Wochen nur dann nicht verloren, wenn man vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist. Zuvor entsteht nur dann ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer von sechs Wochen, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruht. Sofern Arbeitnehmer innerhalb der vorgenannten Zeiträume länger als sechs Wochen arbeitsunfähig sind, gilt eine abgestufte Darlegungslast. Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, muss der Arbeitnehmer Tatsachen vortragen, die den Schluss rechtfertigen, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden. Er muss auf den gesamten maßgeblichen Zeitraum schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen er mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit hatte. An diesen Anforderungen der Beweislast ändert auch der Datenschutz nichts. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass der Arbeitnehmer nicht substantiiert genug hinsichtlich des Nichtvorliegens einer Fortsetzungserkrankung vorgetragen habe. Ein bloßer Verweis auf Diagnoseschlüssel reicht nicht.

3. Was bedeutet das für Sie?

Auch wenn Arbeitnehmer wiederholt Erstbescheinigungen vorlegen, bedeutet dies nicht zwingend Zahlungspflicht. Wenn Sie als Arbeitgeber bestreiten, dass eine neue Erkrankung besteht, muss der Arbeitnehmer im Gerichtsverfahren zu der konkreten Erkrankung vortragen. Das ist ihm zuzumuten. Denn auch wenn der Schutz der den Gesundheitszustand betreffenden Informationen hoch zu bewerten ist, so ist aufseiten des Arbeitgebers das wirtschaftliche Interesse zu berücksichtigen. Im Zweifel kommt es sogar zu einer Beweisaufnahme, etwa durch Zeugeneinvernahme des behandelnden Arztes, welcher von der Schweigepflicht entbunden wird.

Muss ich zahlen? Oft reichen Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum aneinandergereiht Erstbescheinigungen ein, was häufig zur Annahme einer Zahlungspflicht führt. Hier kann man davon ausgehen, dass die „neue“ Erkrankung noch während der vorangegangenen Erkrankung aufgetreten und der Anspruch einmalig auf sechs Wochen beschränkt ist. Vermeiden Sie vorschnelle Zahlungen.

Nicole Golomb ist Rechtsanwältin bei Ecovis. Schwerpunktmäßig berät und vertritt sie Arbeitgeber*innen in allen arbeitsrechtlichen Angelegenheiten.

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