25.01.2021
Meine Meinung steht fest! So gehen Sie mit meinungsfreudigen Kunden um
Sie kennen das: Ein Kunde nutzt den Salonbesuch, um krude Theorien zu verbreiten. Von der manipulierten US- Präsidentenwahl geht’s nahtlos über zur Corona Verschwörung, zur Impfpflicht, bis hin zu fremdgesteuerten Politikern. Was tun mit dieser Klientel, wenn ein harmonischer Salonalltag durch sie empfindlich gestört wird?
Wir haben bei der Kommunikationsexpertin Johanna Dreyer vom Schulz von Thun Institut für Kommunikation in Hamburg nachgehakt, mit welchen Tricks Kommunikationsprofis in solchen Fällen arbeiten.
TOP HAIR: Frau Dreyer, diese ganze Virussache ist doch ein Schwindel. Wie kontern Sie?
Johanna Dreyer: Ach, so sehen Sie das? Wie kommen Sie darauf?
TOP HAIR: Man liest ja so einiges und ich hab meine eigenen Quellen ...
Johanna Dreyer: Da kann man natürlich verschiedener Meinung sein. Darf ich Ihnen meine verraten?
TOP HAIR: Die wäre?
Johanna Dreyer: Ich kann gut verstehen, dass vieles, was man nicht nachvollziehen kann, hinterfragt und nicht alles für bare Münze genommen wird, was man so hört. Auch wenn die Nerven bisweilen blank liegen: Ich persönlich finde es ganz gut, dass man eher etwas vorsichtiger agiert, um eventuelle Risiken zu vermeiden. Offen gesagt fühle ich mich bisher eigentlich ganz gut vertreten.
TOP HAIR: Okay. Sie haben jetzt geantwortet, ohne allerdings konkret Farbe zu bekennen. Was ist die Technik dahinter?
Johanna Dreyer: Grundlegend ist mir wichtig, zu zeigen, dass man versteht, dass der andere eine eigene, andere Meinung hat, und dass das auch völlig in Ordnung ist. Man sollte versuchen, die andere Person von ihrer Meinung zu trennen. Also da ist eine Person, eine Kundin vor mir, die ja – das unterstelle ich mal – grundlegend als Mensch eine nette Person ist, die man auch durchaus sympathisch finden kann, aber die eben eine andere Meinung hat. Diese Trennung hilft mir dabei, trotzdem offen gegenüber dem anderen zu bleiben. Und das wiederum hilft dabei, dass sich die Fronten nicht verhärten und man sich dennoch wertschätzend gegenüberstehen kann.
TOP HAIR: Wir reden hier von einer recht kommunikationsstarken Gruppe. Friseure können in aller Regel reden. In ihrer Ausbildung lernen sie, welche Gesprächsthemen sich im Umgang mit Kunden eignen. Politik gehört nicht dazu. Und doch ist es derzeit schwierig, ein anderes Thema als Corona in den Vordergrund zu stellen. Kein aktuelles Thema polarisiert mehr, kaum eines birgt mehr Konfliktpotenzial.
Johanna Dreyer: Es ist schon eine besondere Rolle, die der Friseur hier einnimmt. Einerseits geht es darum, einen konkreten Handlungsauf trag auszuführen, andererseits ist man natürlich auch Gesprächspartner. Und wenn man dabei mit Themen konfrontiert wird, die mitunter sehr privat sind, zum Beispiel politische Einstellungen, ist es von Vorteil, im Hinterkopf zu behalten, dass man als Dienstleister agiert und nicht als Diskutant in einer politischen Runde. Das heißt, dass man sich auch nicht unbedingt auf eine politische Diskussion einlassen muss.
TOP HAIR: Sie empfehlen, den Ball flach zu halten?
Johanna Dreyer: Würde ich sagen, ja.
TOP HAIR: Corona ist ja nur ein kontrovers diskutiertes Thema. Andere äußern sich gerne offensiv zur Ernährung, zu Flüchtlingen, der Homo-Ehe oder betreiben ganz undifferenziert Medienbashing. Wie geht man mit solchen Zeitgenossen idealerweise um, ohne seine eigene, vielleicht entgegengesetzte Meinung kundtun zu müssen und ohne sie als Kunden zu verlieren?
Johanna Dreyer: Das ist prinzipiell ein großes Spannungsfeld, in dem sich Friseure da bewegen. Ich würde nicht sagen, dass ein Friseur seine Meinung nicht kundtun darf. In der Praxis wird es oft eine Abwägungssache sein. Es gibt Themen, bei denen der Friseur sicherlich das Gefühl hat, seine Meinung mitteilen zu müssen, auch um authentisch zu bleiben. Gleichzeitig gilt es, die Situation im Blick zu behalten. Man hat einen Kunden vor sich, den man vermutlich auch gern als Kunden behalten möchte. Eine Möglichkeit ist wie vorher angeklungen, sich im Vorfeld die Erlaubnis einzuholen, etwa so: „Darf ich Ihnen meine Meinung dazu sagen?“ oder „Interessiert Sie, wie ich darüber denke?“. Also die eigene Meinung dem Kunden nicht überstülpen. Das kann eine elegante Möglichkeit sein, dem anderen die Gelegenheit zu geben zu überlegen, „möchte ich mich darauf einlassen oder will ich mir im Prinzip nur etwas von der Seele reden?“
TOP HAIR: Aber sind aus Ihrer Erfahrung Menschen, die ihre Meinung lautstark kundtun, nicht oft auch Menschen, die darauf warten, dass der andere darauf anspringt, und auf einmal findet man sich in einem Streitgespräch wieder, in das man gar nicht hingezogen werden wollte?
Johanna Dreyer: Die Gefahr besteht natürlich. Gleichzeitig herrscht in der Psychologie verbreitet die Annahme, dass gerade solche Menschen von einem Bedürfnis geleitet werden, das nicht befriedigt ist. Zum Beispiel das Bedürfnis der Kontaktaufnahme, verbunden mit der Unfähigkeit, den Kontakt auch angenehm zu gestalten. Oder eben auch Menschen, die sich aktuell überfordert fühlen und diese Überforderung mit einem Protest ausdrücken. Da kann es sich lohnen zu überlegen, welches Bedürfnis dahintersteckt, und wie man als Friseur, als Dienstleister diesem Bedürfnis ein Stück weit nachkommen kann.
TOP HAIR: Und wie?
Johanna Dreyer: Sie können es direkt ansprechen, zum Beispiel so: „Ich höre da jetzt heraus, dass Sie sehr verärgert sind. Wollen Sie mir erzählen, was Sie daran so stört?“ Oft stoßen solche Menschen auf Ablehnung, gerade durch ihre harsche Vorgehensweise. Ein überraschender Effekt kann sein, wenn so jemand gerade mal ein offenes Ohr geschenkt bekommt.
Manchmal kann es hilfreich sein, sich Handlungsmuster zu überlegen, wie man auf verschiedene Situationen reagieren könnte, immer mit der Voraussetzung, dass die Reaktion auch zu einem selber passt. Es bringt nichts, sich Reaktionen zurechtzulegen, von denen man weiß, dass sie gar nicht zu einem passen. Das wirkt dann schnell aufgesetzt.
TOP HAIR: Sie empfehlen, dass man sich als Friseur ein rhetorisches Rüstzeug für eben solche Fälle zurechtlegt?
Johanna Dreyer: Das kann hilfreich sein.
TOP HAIR: Wie leite ich denn rhetorisch clever zu einem anderen Gesprächsthema über, wenn ich merke, das Gespräch geht in eine völlig falsche Richtung?
Johanna Dreyer: Wenn man merkt, dass sich die Fronten verhärten, kann man so etwas auch offen ansprechen. Etwa so: „Ich merke, bei diesem Thema sind wir unterschiedlicher Meinung und kommen nicht in einen sinnvollen Austausch. Lassen Sie uns das Thema doch wechseln.“ Das wirkt dann vielleicht etwas einstudiert, gibt aber beiden Seiten die Gelegenheit zu einem weniger polarisierenden Thema zu wechseln. Vielleicht ist das Gegenüber auch ganz dankbar, noch mal an einer anderen Stelle neu anzusetzen.
TOP HAIR: Wann ist aus psychologischer Sicht ein Punkt erreicht, an dem Zeit ist, den Kunden des Salons zu verweisen? Es gibt wirklich renitente Personen, die sich kaum einfangen lassen.
Johanna Dreyer: Absolut. Es ist enorm wichtig, eigene Grenzen zu setzen. Wenn die überschritten werden, beispielsweise wenn einer die anderen Kunden stört oder mit seiner Art die Atmosphäre im Salon stark beeinträchtigt, liegt es auch in der Verantwortung des Friseurs, deutlich zu machen, dass solches Verhalten nicht erwünscht ist und die Option besteht, die Behandlung abzubrechen. Wenn derjenige dann immer noch nicht bereit ist, einen Gang zurückzuschalten, ist es, denke ich, absolut legitim zu sagen, auch im Sinne der anderen Kunden müssen wir dann auf diesen einen Kunden verzichten.
TOP HAIR: Aber verbunden mit einem Warnschuss?
Johanna Dreyer: Würde ich sagen, fairerweise. Manchmal brauchen die Kunden ja einen Spiegel, in dem sie ihr eigenes Fehlverhalten erkennen können.
Im Gespräch:
Johanna Dreyer hat Psychologie (B.Sc.) studiert, arbeitet als Kommunikationstrainerin am Schulz von Thun Institut für Kommunikation.
Interview: Kai Lohwasser