11.04.2017

Herr Billharz, kann Coty Friseur?

Was bedeutet der Wechsel von Procter & Gamble zu Coty für Wella? Und was für den Friseur? Ralf Billharz, Geschäftsführer Coty Professional Beauty DACH, über Hoffnungen und Aufbruchstimmung.

TOP HAIR: Seit 1. Oktober 2016 ist der Eigentümer-Wechsel von P&G zu Coty vollzogen. Wie ist das erste halbe Jahr gelaufen?
Ralf Billharz:
Es war der Start in ein neues Abenteuer. Für mich war es das Spannendste, zu sehen, wie eine Organisation so viele Veränderungen auf einen Schlag bewältigt: sich physisch aus Procter auszugliedern, umzuziehen, den neuen alten Standort zu renovieren und umzubauen, neue Mitarbeiter zu integrieren – sowohl von unserem Procter-Standort Schwalbach als auch vom deutschen Coty-Sitz in Mainz. Seit zwei Wochen ist der Duft-Bereich komplett umgezogen, das Retail-Beauty-Geschäft und andere Abteilungen aus Mainz folgen noch. Insgesamt sehen wir eine sehr positive Dynamik im Unternehmen, Aufbruchstimmung, fast eine Start-up-Mentalität, die sich auch in einigen Geschäftsergebnissen bereits erfreulich niederschlägt. 

TOP HAIR: Woher kommt diese Dynamik? Das ist bei einer Firmen-Integration ja nicht immer so ...
Ralf Billharz:
Schon die ersten Dinge, die wir zusammen gemacht haben, waren inspirierend – das Logo,  der Schmetterling, die Unternehmensvision. Dann wurde es sehr schnell konkret. Schon zwei Wochen nach dem Zusammenschluss der Unternehmen haben wir bekannt gegeben, dass wir ghd gekauft haben. Von Coty haben wir das professionelle Nagelgeschäft mitbekommen, für das wir im Salonbereich die Verantwortung tragen. Das sind Produktkategorien, die wir gegenseitig vernetzen können. Da sieht man schon, wie wir uns als Beauty-Unternehmen befruchten können. Da steckt viel Fantasie drin und viele Möglichkeiten, um unseren Markt erfolgreich in die Zukunft zu führen. 

TOP HAIR: Was man von Coty weiß, gibt für mich kein klares Bild: von Franzosen gegründet, Geschäftssitz in New York, von einer deutschen Familie dominiert. Was steckt da dahinter? 
Ralf Billharz:
Da gibt’s in der Tat viele Mythen im Markt, allen voran: Coty sei ein amerikanisches Unternehmen. Fakt ist: Die Kultur von Coty ist nicht typisch amerikanisch, sondern sehr international und sehr europäisch geprägt. Viele Marken in diesem Unternehmen sind Gründermarken: Max Factor, Rimmel, Sally Hansen. Ein sehr bunter Laden also, sehr europäisch.

TOP HAIR: Worin liegt für Sie der Unterschied zwischen europäischer und amerikanischer Unternehmenskultur?
Ralf Billharz:
Als Europäer sind wir in der Regel eher in der Lage mit verschiedenen Kulturen und Sprachen umzugehen. Bei Procter & Gamble waren vor allem die Prozesse vorgegeben und stark strukturiert. Das mussten wir akzeptieren und deshalb bisweilen auch Kompromisse eingehen. Jetzt suchen wir Lösungen, die für unsere Kunden am besten sind, und passen die Prozesse an. Da wird sehr viel mehr Verantwortung von globaler Ebene auf Landesebene delegiert. Die Freiheit, die darin steckt, leuchtet jedem ein.

TOP HAIR: Aber auch Coty ist ein Retailkonzern wie P&G. Und der hat sich am Friseurgeschäft die Zähne ausgebissen. Kann Coty Friseur?
Ralf Billharz:
Wer ist Coty? Wir sind Coty! Ich bin Coty. Meine Mitarbeiter sind Coty. Sie alle können Friseur.

TOP HAIR: Das konnten sie vorher auch schon ...
Ralf Billharz:
Ja, sie konnten es vorher auch, waren aber in Kästchen eingezwängt. Da hat der Konzern gesagt, ihr müsst eure Komplexität runterfahren, sonst können wir euch nicht mitorganisieren und verwalten. Jetzt sind wir ein Stück weit wieder von der Leine gelassen. Wir sind, was Mitarbeiterzahl und Organisation angeht, der größte Teil von Coty. Der Erfolg von Coty hängt wesentlich stärker von uns ab als früher bei Procter. Auch Procter hat in den letzten Jahren gesehen, dass das Beauty-Geschäft komplexer ist und anders funktioniert als Retail. Mit dem Wechsel in die neue Konzernstruktur haben wir diesen Prozess eigentlich nur fortgeführt.

TOP HAIR: Bereits in den ersten Monaten hat Coty mit ghd und OPI weitere Geschäftsfelder dazugekauft. Was kommt da auf den Friseur zu?
Ralf Billharz:
Wir sind gerade erst dabei uns anzunähern und zu schauen, wie wir kooperieren können. Vor allem das Nagelgeschäft halte ich superspannend für den Salon. Es sind dieselben Endverbraucher. Für die Nageldienstleistung kommen sie aber öfter und generieren insgesamt einen höheren Dienstleistungsumsatz. Das kann ein Kundenbindungs-, Frequenz- und Reichweiteninstrument sein. Aber man darf das nicht unterschätzen. Das ist ein komplexes Geschäft. Wir fangen gerade erst an, das auszuloten. Zunächst haben wir noch genügend eigene Dinge, die wir im Markt umsetzen wollen, den System Professional EnergyCode zum Beispiel. Auch das ist komplex, weil es die Behandlungsabläufe im Salon auf den Kopf stellt. Wie immer, wenn man Dinge neu denkt, muss man Widerstände überwinden. Der Friseur liebt Neuig­keiten und hasst Veränderungen. Aber wir müssen Dinge verändern, um den Markt dynamischer zu machen. Das ist unsere Rolle als Marktführer. 

TOP HAIR: Worin sehen Sie die größten Herausforderungen im Friseurmarkt? 
Ralf Billharz:
Wenn ich 100 Friseure frage, wo sie der Schuh drückt, sagt mir keiner, das sind eure Produkte. 99 klagen über fehlende Mitarbeiter und mangelnde Mitarbeiterqualität. Auch da müssen wir natürlich helfen, und das machen wir auch. Wir haben in Deutschland das mit Abstand größte Schulungsangebot. Wir unterstützen Friseure dabei, sich mit ihrem Salon zu positionieren und an Schulen zu gehen, um Auszubildende anzusprechen. Denn gut ausgebildete Mitarbeiter sind der entscheidende Faktor für eine erfolgreiche Zukunft! 

TOP HAIR: Ist eine eigene Initiative im Bereich Ausbildung für Wella ein Thema?
Ralf Billharz:
Ausbildung und Qualität der Mitarbeiter hängen ja eng zusammen mit dem Selbstverständnis der Branche: Wofür stehen wir? Mit welchem Qualitätsanspruch stehen wir als Handwerk und als Salonunternehmen im Markt? Welches Bild geben wir nach außen? Die Wahrnehmung der Friseurbranche bei Endverbrauchern und potenziellen Mitarbeitern ist mit Sicherheit verbesserungswürdig. Hier kommunizieren wir stark über soziale Medien, über die Friseur-Community und über den Friseur hinaus. Viele Endverbraucher finden ihren eigenen Friseur toll. Soziale Netzwerke sind eine gute Möglichkeit, hier einen Multiplikator-Effekt zu erzeugen. Mit „Friseure bewegen“ und den entsprechenden Videos stellen wir den Beruf intern und extern positiv da. 

TOP HAIR: Und das löst das Mitarbeiter-Problem? 
Ralf Billharz:
Das kann ein Hebel sein. Ein zukünftiger Mitarbeiter nimmt die Branche erst einmal von außen wahr: Die Arbeitszeiten sind nicht gut, die Gehälter sind nicht gut, das, was ich an Ergebnissen auf der Straße sehe, ist möglicherweise auch nicht das, was ich mir vorstelle. Also ist der Beruf nichts für mich. Diese Barrieren versuchen wir Schritt für Schritt abzubauen. Im Schnitt werden unsere Filme 3,5- bis 4-Millionen-mal geklickt, d.h. sie werden auch außerhalb der Branche wahrgenommen und positiv bewertet. Wir haben dafür den Medienpreis „Effi“ bekommen als beste B2B-Kampagne im letzten Jahr. Von heute auf morgen wird sich trotzdem nichts ändern. Wir dürfen den Markt nicht überfordern und müssen auch unsere Kunden mitnehmen. 

TOP HAIR: Sie selbst sind einer der letzten alten Wellaner. Als es mit P&G schwierig wurde, hat man Sie nach Schwalbach geholt. Jetzt der neuerliche Wechsel zu Coty. Wie kriegen Sie das hin? Was braucht ein guter Manager? 
Ralf Billharz:
Ich bin Marathonläufer. Da sind die gleichen Qualitäten gefragt. Das Erste und Wichtigste ist, Spaß daran zu haben, etwas zu machen. Der zweite Punkt ist, dass man durch Routine lernt, sich selbst zu disziplinieren. Ich hab ja ein Ziel. An das muss ich glauben, an das muss ich mich ranarbeiten. Das Befriedigende in dieser Branche und in meiner Rolle ist, dass man noch viel bewegen kann. Man sieht das Ergebnis seiner eigenen Arbeit oder seines Teams im Markt – im Guten wie im Schlechten. Das Feedback kommt sehr schnell. Darin sind Friseure gut. Das muss man aufnehmen und entsprechend einfließen lassen. Wir sind Marktführer und brauchen Lösungen für sehr viele Bereiche im Markt. Und natürlich gibt es auch Segmente – da ist in der Vergangenheit etwas schiefgelaufen, weil wir Geschäftsmodelle aus anderen Branchen übertragen haben – die beim Friseur einfach nicht funktionieren.  

TOP HAIR: Worauf spielen Sie da an? 
Ralf Billharz:
Friseur-Discount! Funktioniert nicht, weil es wahnsinnig schwierig ist, die Kosten hinter einer Dienstleistung zu skalieren. Das ist ein wirtschaftliches Problem. Da gibt es Grenzen, weil so viel am Menschen hängt. Da geht es nicht in erster Linie darum, Kosten zu minimieren, sondern Mitarbeiter produktiver zu machen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. 

TOP HAIR: Aber das geht nicht ohne Veränderung. Da muss man die Mitarbeiter mitnehmen. Und die Kunden. Wie kann das gelingen? 
Ralf Billharz:
Die Geschichte, die Sie erzählen, muss glaubhaft und authentisch sein. Und für jeden Salon brauchen Sie eine Vision. Ich glaube, es sind immer noch viel zu wenige, die sich mal mit ihren Mitarbeitern zusammengesetzt und gefragt haben: Wofür stehen wir? Wer sind wir? Welchen Wert stellen wir für unsere Kunden dar? Links und rechts die Straße hoch haben Sie viele Mitbewerber, die alle die gleichen Endverbraucher ansprechen. Was haben Sie Besonderes, dass der Kunde zu Ihnen kommt und beim nächsten Besuch mehr Dienstleistungen abruft oder ein Produkt mehr kauft? Darüber müssen Sie sich klarwerden. Das ist ein Prozess. Und ein langer Weg, den Sie gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern gehen. 

TOP HAIR: Wo sehen Sie dabei Ihren Beitrag? 
Ralf Billharz: Wir werden unsere Kunden erfolgreich machen, indem wir mehr wertschöpfende Dienstleistung anbieten, die für den Endverbraucher erkennbar sofort wirksam ist. Da geht es um Technologien, um die Umsetzung der Technologien und um die Schulung der Friseure. Die müssen diese Technologien ja schließlich an den Mann oder an die Frau bringen. Wir müssen alle insgesamt lernfähiger und neugieriger werden, Mut haben, Dinge anders anzugehen. Das Risiko ist begrenzt. In einem so kleinteiligen Markt passiert relativ wenig, auch wenn einmal etwas schiefgeht. Der Kunde verzeiht auch. Wir müssen einfach mehr wagen. 

TOP HAIR: Was genau müssen wir Ihrer Ansicht nach wagen?  
Ralf Billharz:
Wir müssen uns mehr nach außen orientieren. Im Moment orientieren wir uns in der Branche sehr stark nach innen. Aber wir stehen im Wettstreit mit anderen Branchen, mit allen Anbietern im Bereich Wellness und Gesundheit, aber auch mit der Konsumgüterindustrie insgesamt. Was passiert denn da? Stichwort digitale Technologien, E-Commerce. Was geschieht  mit den Produkten? Wir können nicht negieren, dass es diese Plattformen für den Internethandel gibt. Die Probleme gehen nicht weg, wenn wir die Augen davor verschließen. Wir müssen die Dinge in die Hand nehmen. In der Digitalisierung liegen auch viele Chancen. Stichwort E-Learning.  Da sind wir als Branche insgesamt hintendran. Der große Vorteil dabei ist, dass wir weniger Fehler machen werden, weil vieles schon gedacht und erprobt ist. Das müssen wir uns zunutze machen. Ich wünsche mir sehr, dass wir auch hier innovativer, neugieriger und risikofreudiger werden.