14.01.2022
Haare retten Ozeane
Ein natürlicher Reinigungsfilter! Haare können ölige Substanzen aufsaugen und so Gewässer säubern. „Coiffeurs Justes" hat ein Konzept entwickelt, um diese Fähigkeit sinnvoll zu nutzen.
Haare machen einen großen Teil des Friseurmülls aus, nur wenige lassen sich zu Perücken verarbeiten. Sie werden trotz ihrer Eigenschaft, Fette aufzunehmen, in die Tonne gedrückt, während riesige Mengen Öl die Weltmeere belasten, Flora und Fauna zerstören. Ein Umstand, der einen findigen Friseur aus Südfrankreich schon lange umtreibt:
Thierry Gras, seit 32 Jahren im Beruf, recherchierte, tüftelte, beantragte europäische Fördergelder und gründete schließlich den Verein „Coiffeurs Justes“ (faire Friseure). Er entwickelte ein System, das Friseurmüll reduziert und die Schnitthaare zugleich einem höheren Zweck zuführt: der Säuberung von Gewässern von Öl, Treibstoff und Sonnencreme.
Das Prozedere? Denkbar einfach!
- Säcke bestellen: Für einen Jahresbeitrag von 25 Euro werden Salons Mitglied bei „Coiffeurs Justes“ und bestellen Haarsäcke à einen Euro. Zusätzliche Spenden sind natürlich möglich.
- Haare sammeln: In den Papiersäcken wird das Schnitthaar gesammelt und nach Frankreich gesendet oder in eigens aufgestellten Containern deponiert. Das Haar muss sauber sein; ob kurz, lang oder gefärbt, spielt keine Rolle.
- Haarrollen entstehen: Das Haar wird von Menschen, die bei der beruflichen Integration unterstützt werden, in alte Nylonstrümpfe gestopft und zu Rollen gebunden.
- Einsatz der Rollen: Die Filterketten werden weltweit in verschmutzten Gewässern ausgelegt, in Meeren, Häfen oder Becken. 2020 kamen sie bei einem Frachterunglück vor Mauritius zum Einsatz, um den Ölteppich zu beseitigen.
"Diesen Weg wollen wir weitergehen und auch zukünftige Friseur- und Kundengenerationensensibilisieren." Thierrs Gras
Potential mit Zukunft
Ein Kilo Haare filtern circa acht Liter Öl. Und ist die Rolle voll, wird sie gereinigt und kann bis zu acht Mal wiederverwendet werden. Selbst dann können die Haare noch als Dämmstoff im Bauwesen eingesetzt werden. Noch wird dieses Potenzial in Europa allerdings kaum genutzt. Doch Thierry Gras ist voller Zuversicht: 100 Tonnen Haare wurden bisher gesammelt und rund 4.700 Friseursalons sind an diesem Projekt beteiligt; in Frankreich, aber auch in Belgien, in der Schweiz, Luxemburg, Deutschland und in weiteren europäischen Ländern. Das Interesse wächst von Tag zu Tag, der Bedarf, Verschmutzungen entgegenzuwirken und Abfälle zu reduzieren, auch.
Mehr Informationen über „Coiffeurs Justes" finden Sie hier:
Instagram: @coiffeurs_justes
www.coiffeurs-justes.com
Eine deutschsprachige Homepage ist aktuell in Arbeit.
Nachhaltigkeit im Friseuralltag: Gar nicht so schwer
Im „Salon Indra Fürstenberg | haare im fokus“ in Telgte im Münsterland stehen neben den Haaren auch Nachhaltigkeit und Umweltschutz im Fokus.
Die engagierte Friseurin Indra Fürstenberg arbeitet mit der Initiative „Cut Climate Change“ zusammen, die ihren Salon mit drei Angestellten und sieben Bedienplätzen klimapositiv bewertet. Außerdem schickt sie Schnitthaare zur Wiederverwertung nach Frankreich zu „Coiffeurs Justes“. Gerade im Friseurhandwerk sieht sie viele Möglichkeiten nachhaltig zu agieren – und das ohne großen (Kosten-) Aufwand. Wir haben mit ihr gesprochen:
TOP HAIR: Nachhaltigkeit ist bei Ihnen Programm. Warum?
Indra Fürstenberg: Seit ich meinen Salon habe, achte ich auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Das ist eine Grundeinstellung. Ich bin keine „Aktivistin“, gar nicht. Ich arbeite auch mit Chemie, ich bin kein Naturfriseur und das ist für mich auch keine Option. Aber da, wo man Nachhaltigkeit gut und qualitativ umsetzen kann, finde ich es blödsinnig, es nicht zu tun. Gerade im Friseurhandwerk ist das leichter, als man denkt. Man kann viele Dinge im Kleinen machen und manche etwas größer. So bin ich zum Beispiel auf einen wiederverwendbaren Müllbeutel gestoßen, den wir bei uns im Salon ausschließlich nutzen. Der wird hier im Münsterland hergestellt.
TOP HAIR: Wie groß ist Ihr Aufwand für die Nachhaltigkeit?
Indra Fürstenberg: Viele sind ja schon gleich raus, weil sie Angst vor Mehrarbeit haben, die nicht bezahlt wird. Aber sowohl bei meinem Einsatz für „Cut Climate Change“ als auch für „Coiffeurs Justes“ wird der Arbeitsablauf überhaupt nicht gestört. Klar kann ich mich selber in den Wald stellen und bei Ausgleichspflanzungen mitmachen, muss ich aber nicht. Ich mache alles wie vorher auch; ich musste mir auch nichts Neues aneignen oder Seminare besuchen. Und ob ich Schnitthaare in den Eimer kippe oder für „Coiffeurs Justes“ in eine Papiertüte, ist völlig egal und erhöht letztlich mein Arbeitsaufkommen nicht. Im Durchschnitt füllen wir einen Sack mit 3,8 Litern Haare in ein bis zwei Wochen. Das hängt von den Dienstleistungen ab, ob Spitzenschneiden, Neuschnitt etc. Um unseren CO2-Abdruck nicht zu vergrößern, versenden wir nicht sackweise, sondern im Paket mit fünf Säcken. Versand, Jahresbeitrag und Papiersäcke kosten mich hochgerechnet im Jahr ca. 15o Euro.
TOP HAIR: Gleichzeitig sparen Sie Müllkosten. Haben Sie, als Unternehmerin, das mal ausgerechnet?
Indra Fürstenberg: Ich werde das exakt gegenrechnen, wenn wir das ein Jahr lang gemacht haben. Dann werden wir aussagekräftige Zahlen haben. Schwarz auf weiß zu sehen, was das alles bringt, finde ich total wichtig! Alleine die Tatsache, dass wir keine Plastiktüten mehr im Salon benutzen, bringt ja schon viel.
TOP HAIR: Erzählen Sie Ihren Kunden, was mit ihrem Haar passiert?
Indra Fürstenberg: Klar, die finden das alle großartig! Wir haben Kunden, die bringen sogar von zu Hause Haare mit, die sie dort ihren Kleinstkindern abgeschnitten haben. Das ist eine super Sache, an der der Kunde aktiv teilnimmt. Ohne die Kunden könnten wir’s ja gar nicht machen. Sie sind maßgeblich daran beteiligt, dass es überhaupt funktioniert. Die Vorstellung, dass ihre Haare irgendwelche Öle aus dem Meer ziehen, finden sie mega und gehen hier mit dem Gefühl raus, nachhaltig an etwas Gutem mitzuwirken. Und das spricht sich rum.
TOP HAIR: Ihr Tun hat also auch einen Marketingeffekt?
Indra Fürstenberg: Das darf man nicht vergessen: Diese Geschichten haben einen enormen Marketingeffekt. Das sollte nie der Antrieb sein, weswegen man teilnimmt. Das würde auf Dauer auch gar nicht funktionieren, weil es nicht glaubwürdig wäre. Aber es ist doch ein nettes Goodie nebenbei. Die Leute finden es toll, wenn man im Kleinen, beim Friseur, wo man das ja gar nicht erwartet, etwas schafft. Weder die Kunden noch viele Kollegen können sich tatsächlich vorstellen, wie einfach das ist. Und das macht es doch aus. Diese Projekte führen übrigens auch zu einem neuen Zusammenhalt unter den teilnehmenden Kollegen. Das tut unserer Branche enorm gut! Und unser Image wird dadurch auch aufgewertet.
TOP HAIR: Eine runde Sache also.
Indra Fürstenberg: Auf Dauer wäre es natürlich sinnvoll, ein solches System wie „Coiffeurs Justes“ – Sammlung, Versand und Recycling von Haaren – in Deutschland aufzubauen, anstatt das Schnitthaar nach Frankreich zu transportieren. Auch wir haben hier angrenzende Küsten und ganz viele andere Einsatzmöglichkeiten. Deshalb bin ich froh, nun auch mit „HAIR HELP the Oceans“ in Deutschland zusammenarbeiten zu können.
Mehr zur deutschen Initiative "HAIR Help the oceans" lesen Sie hier.