Foto: Wella Professionals

03.12.2018

Alles zu viel, Chef?

Chefsein kann ganz schön hart sein, weiß unser Kolumnist Lars Nicolaisen. Da kann es Sinn machen, sich Unterstützung zu suchen.

Liebe Leser, oder diesen Monat müsste ich besser schreiben „Liebe Chefs, liebe selbstständige Kollegen“, denn heute richte ich mich ausschließlich nur an die Leser, die wie ich einen oder mehrere Salons besitzen und ihr Unternehmen mit hohem persönlichen Einsatz führen: Haben Sie manchmal auch den Wunsch, alles hinzuschmeißen? Verspüren Sie manchmal auch den Drang, losschreien zu wollen? Geht es Ihnen auch auf den Keks, dass man das Gefühl hat, Mitarbeiter können sich alles rausnehmen, aber man selbst als Arbeitgeber muss alles schlucken und darf noch nicht einmal schief gucken? Wenn dem nicht so ist, dann beglückwünsche ich Sie und beneide Sie auch ein wenig. Allen anderen sage ich: Willkommen im Club!

Zu spät geboren?

Irgendwie habe ich das Gefühl, ich bin einfach 40 Jahre zu spät geboren. Klar, damals gab es kein Internet, kein iPhone und keine Champions-League-Spiele in Full-HD und 4K. Dafür spielte aber der HSV noch in der 1. Liga um die Meisterschaft mit, die USA hatten nicht einen völlig verblendeten und äußerst schlecht frisierten Selbstdarsteller als Präsidenten – und den selbstständigen Friseuren muss es super gegangen sein. Durch die Schubladen ohne Kasse konnte Geld gewechselt und Eigentum erworben werden. Wenn Mitarbeiter nicht bereit waren, sich an Sonntagen weiterzubilden, dann folgten Konsequenzen. Es gab zahlreiche Bewerber, und auch wenn das Berufsimage schon damals nicht berauschend war, so waren es zumindest die Erträge. Klingt ziemlich paradiesisch, oder?

Chef sein ist nichts für Weicheier

Chef sein im Jahr 2018 unterscheidet sich jedoch völlig vom Chefsein 1978. Ist eigentlich irgendetwas von dem, was damals wichtig war, heute noch relevant? Ich befürchte, das Einzige, was von damals in unserer Branche noch überlebt hat, sind die Prüfungsanforderungen bei den Meisterprüfungen. Wobei ... ich bin mir sicher, ich tue den Innungen hier Unrecht und möchte mich sogleich für diesen Vergleich entschuldigen. Dennoch sollte die Frage erlaubt sein, ob angehende Friseurmeister bestmöglich auf eine Selbstständigkeit in der heutigen Zeit vorbereitet werden. Aber das ist ein separates Thema für eine spannende Diskussion.

Chefsein in dieser Zeit ist wirklich nichts für Weicheier. Dank DSGVO und Betriebsprüfungen, in denen man mittlerweile so sehr ins Detail geht, dass man angeben muss, welchen Oxidanten man bei der Farbmischung verwendet, und ob man den Oxidanten mit Wasser vermischt (und in welchem Mischverhältnis), hat man das Gefühl, eh mit einem Bein im Gefängnis zu stehen. Mitarbeiter wollen sich selbst verwirklichen und setzen Verständnis voraus, dass man nicht mehr die ganze Woche arbeiten möchte bzw. seinen Job ganz hinschmeißt, um noch einmal zu studieren. Stundenlöhne sollen erhöht werden, jegliche Verantwortung jedoch nicht. Bloß kein Stress, denn das mindert ja die notwendige Kreativität. Mehr Zeit pro Dienstleistung wird auch benötigt (die Kunden sind ja so kritisch geworden), die Preise sollte man aber lieber nicht anheben, sonst kommen die Kunden ja nicht wieder.

Mit dem Problem nicht allein!

Apropos Kunden, diese haben zu einem recht großen Teil verlernt, Termine wahrzunehmen und buchen sich einfach einen neuen. Ach ja, als mitarbeitender selbstständiger Friseurunternehmer sollte man darüber hinaus natürlich auch fachlich vorangehen und Vorbild sein. Auch wenn Weiterbildungen in der Freizeit kaum noch vermittelbar sind, wird erwartet, dass wir uns regelmäßig weiterbilden. Und klar macht man das gern, obwohl man in der Woche schon um 7 Uhr morgens per WhatsApp geweckt wird, weil eine Mitarbeiterin auf dem Weg zum Arzt ist, und man sich am Wochenende dringend um die Buchführung und Warenwirtschaft kümmern muss. Von witzigen und kreativen Aktivitäten, die von uns in den sozialen Medien erwartet werden, fange ich diesmal gar nicht erst an.

Jetzt, wo Sie diesen Text schon zu mehr als der Hälfte gelesen haben, erwarten Sie sicherlich Antworten von mir. Ideen, wie man all diesen Aufgaben gerecht werden kann, und welche Prioritäten man sich setzen sollte. Ich muss Sie enttäuschen. Ich weiß es nicht. Ich suche gerade selbst nach Antworten. Sie und ich, wir sind mit unseren Problemen nicht allein. Das allein kann ja schon ein Trost sein. Zugegeben, helfen tut diese Erkenntnis nicht. Sie tut einem dennoch ganz gut

Was bin ich bereit abzugeben?

Ich frage mich aktuell, wie ich meine Chefrolle definieren soll. Mag vielleicht am Alter liegen, aber ich habe nicht mehr die Kraft, mich um alles kümmern. Ich habe auch keine Lust mehr dazu. Ich sehe in dieser Gemengelage jedoch auch echte Chancen. So gibt es da draußen noch genügend Friseure, die diesen Beruf wirklich mit Hingabe ausüben wollen. Friseure, die heutzutage aus verständlichen Gründen nicht mehr unbedingt eine Selbstständigkeit anstreben, die aber mehr Verantwortung übernehmen wollen und eine Steigerung (auch finanzieller Art) in ihrem Traumberuf als Ziel haben. Diese Friseure muss man finden und fördern. Dies bedeutet, dass man erst einmal selbst seine Hausaufgaben macht. Zwei Fragen stehen da im Fokus: Was ist die DNA meines Unternehmens, die unbedingt erhalten bleiben muss?Welche Bereiche bin ich wirklich bereit abzugeben, auch wenn diese dann eventuell spürbar anders ausgefüllt werden, als wenn man dies selbst machen würde?

Wenn man diese Fragen beantworten und zu Papier bringen kann, ist man schon einen großen Schritt weiter. Es zeigt auf, was man weiterhin zukünftig verantworten will und welche Bereiche von anderen Personen übernommen werden sollten. Und machen Sie sich auf die Suche. Wenn Sie mögen, kann ich dieses Thema noch einmal aufgreifen. Lassen Sie mich und die Redaktion inzwischen wissen, wie Sie mit den Herausforderungen umgehen, die das „Chefsein“ mit sich bringt. Wir freuen uns auf Rückmeldungen unter feedback@tophair.de.

Lars Nicolaisen schreibt neben seinem eigenen Blog "Salongeflüster" auch regelmäßig eine Kolumne in der Printausgabe der TOP HAIR Business. Ob Mitarbeiter, Kunden oder auch das „Große Ganze“ – der Unternehmer und Branchenkenner bezieht gern Stellung. Mehr Nicolaisen? Unser Abo finden Sie hier.