Stuhl zu vermieten! Der Salon von Dennes Buenger wirbt auf Workstation 24-7 für einen freien Arbeitsplatz >< Foto: Marusja Gerassimoff

10.11.2022

Airbnb für Friseure

Die Energiepreise steigen rasant, die Gewerbemieten sind hoch, Stühle nicht ausgelastet, Personal ist nur schwer zu bekommen – Probleme, die viele Saloninhaber*innen zur Genüge kennen.

Auf der anderen Seite stehen Friseur*innen, die ohne Eigenkapital in die Selbstständigkeit einsteigen wollen, die einmal pro Woche einen stationären Arbeitsplatz oder kurzfristig eine Location für einen Workshop oder ein Fotoshooting suchen. Genau sie will Alexandra Felde auf Workstation 24-7 ohne viel bürokratischen Aufwand zusammenbringen. „Viele Flächen im Gewerbe, Handel und bei Dienstleistern sind ungenutzt“, so ihre Erfahrung. „Weltweit lassen sich Hotelzimmer online buchen, aber keine Arbeitsplätze. Das muss doch anders gehen.“ Als ihre Mutter, eine mobile Fußpflegerin, vor vier Jahren ergebnislos versuchte, sich einmal pro Woche in einem Studio einzumieten, begann die studierte Maschinenbauingenieurin mit der Entwicklung von Workstation 24-7.

Zum Mietvertrag mit wenigen Klicks

Der effiziente Umgang mit Ressourcen hatte sie bereits in ihrer Abschlussarbeit beschäftigt, nun wollte die 33-Jährige eine praktische Lösung anbieten, um Vermieter und Mieter gewerblicher Flächen zusammenzubringen. Den Fokus legte sie von Anfang an auf die Beauty- und Kreativ-Branche. Bisherige Mietkonzepte fand Felde viel zu umständlich: Verträge auf Papier, langwierige Telefonate und komplizierte Bezahlprozesse. Das sollte alles wegfallen, Buchung und Bezahlung mit ein paar wenigen Klicks erfolgen und rund um die Uhr möglich sein. Nur so machen auch kurzfristige Verträge in ihren Augen Sinn. „Welcher Friseur will schon ewig Zeit verlieren, um einen Stuhl in seinem Salon für einen Samstagvormittag zu vermieten? Der klassische Mietvertrag ist viel zu träge. Der Friseur braucht schnelle Aktionswege.“

Im Herbst 2021 ging Felde mit der von ihr zwei Jahre lang entwickelten Plattform an den Start. Vorbild für Workstation 24-7 war der Community-Marktplatz Airbnb, über den sich online weltweit unkompliziert Ferienwohnungen buchen lassen. Genau wie bei Airbnb ist auch auf Workstation 24-7 der Anbieter selbst verantwortlich für die eingestellten Inhalte. Vermieter können die Eckdaten zum Salon angeben, Fotos hochladen, sich vorstellen und die Mietkonditionen beschreiben. Felde stellt potenziellen Vermietern die Online-Plattform, betreibt das Marketing für eingestellte Objekte, verbessert deren Keyword-Erkennung und kassiert 15 Prozent Provision, wenn das Geschäft zustande kommt.

Salonkosten besser decken

Inzwischen hat sie 15 Anbieter aus der Beauty-Branche deutschlandweit auf der Seite stehen. Dennes Buenger nutzt Workstation vom ersten Tag an. Bereits im Herbst 2019 von Felde angesprochen, erwärmte sich der Inhaber des Salons „Illicit“ sofort für die „einzigartige“ Idee. Die Plattform stelle alle nötigen Infos klar und übersichtlich dar, erspare viele unnötige Diskussionen im Vorfeld, das lästige Schreiben von Verträgen. Buenger hat mehrere Gründe, seine Stühle anzubieten: Seit 2017 betreibt er seinen Salon mit vier Friseur*innen und einer Rezeptionistin in Berlin Mitte/Prenzlauer Berg. Immer seien die sieben Stühle aber nicht ausgelastet, montags ist geschlossen. Doch die Kosten für die 105 Quadratmeter laufen weiter. Über kurzfristige Stuhlmieten hofft Buenger, die Betriebseinnahmen zu steigern und die Kosten besser decken zu können. Eine Stuhlmiete bringt ihm kalkulierbare Einnahmen und dem mietenden Friseur die Möglichkeit eines Kick-Starts in die Selbstständigkeit. Der Mieter hat einen eigenen Schlüssel und kann sogar montags arbeiten – wenn Salon Illicit eigentlich geschlossen ist. So ist das auch bei ihm selbst gelaufen. Nach der Ausbildung bei Udo Walz mietete Buenger mit einem Partner zwei Stühle, erarbeitete sich ein Jahr lang Kundenstamm und finanzielles Polster den eigenen Salon.

Flexibel, spontan, exklusiv

Die hohen Fixkosten für seinen Salon „Stadtteilfriseur“ in Hamburg-St. Georg teilen und die Stühle besser auslasten, will auch Henry Riehl. Drei seiner Mitarbeiterinnen sind schwanger, da ist Platz für neue Kolleg*innen. Die Idee des shared office, die hinter Workstation 24-7 steckt, begeisterte den Obermeister der Friseurinnung Hamburg von Anfang an. „Mehr und mehr arbeiten wir auf Microsalons hin, da sind geteilte Kosten die Lösung, die gestiegenen Mieten zu zahlen.“ Als klassische Stuhlmiete sehe er Workstation 24-7 nicht. „Es geht um Flexibilität, Spontanität und Exklusivität“, sagt der 34-Jährige. „Ich suche Leute, die sagen: ‚Hey, ich möchte jeden Dienstag mein Business machen, dazu miete ich mich bei Stadtteilfriseur ein´. Den Rest der Woche mache ich etwas anderes.“ Dafür muss ein Friseur dann auch bereit sein, 17 Euro stündlich netto zu bezahlen. Die exklusive Lage am Hauptbahnhof zähle, zudem sei vom Friseurwagen über Handtücher bis hin zu Föhn und Kaf feemaschine alles vorhanden. „Du brauchst nur noch deine Friseurschere, deine Lieblings-Beautyprodukte und deine gute Laune mitzubringen und schon kann es losgehen“, heißt es auf der Seite. „Und solltest du doch etwas vergessen haben, kein Problem! Du kannst vor Ort Farben, Shampoo, Conditioner und Haarpflege erwerben.“ Bezahlt wird die Stuhlnutzung online über Workstation 24-7.

Fallstricken entgehen

Stuhlmieten stehen häufig in der Kritik, Scheinselbstständigkeit zu verschleiern. Doch das Problem sehen weder Buenger noch Riehl. Beide haben Erfahrung mit klassischen Stuhlmieten und sich für das neue Vertragsmodell professionell beraten lassen, um rechtlichen Fallstricken zu entgehen. Gearbeitet wird mit getrennten Kassen, eigenen Kunden, Arbeitszeiten und Terminkalendern. Noch haben sie zwar keine Mieter*innen über Workstation 24-7 gefunden. Doch die Kommentare ihrer Kollegen aus der Branche sind vielversprechend. „Die Idee ist cool, muss sich aber erst rumsprechen“, betonen beide unisono.