15.05.2024
Ausbildung im ländlichen Raum: Wurzeln geben und beflügeln
Im Haarstudio Lenz ist Ausbildung Herzenssache. Susann Lenz ist stolz auf die Entwicklung ihrer „Kinder“.
"Lustig und unorthodox geht es bei uns zu“, sagt Sandra Lützelberger. Gemeinsam mit ihrer Mutter, Susann Lenz, führt sie das Haarstudio Lenz in Schleusingen im Thüringer Wald. Im ländlichen Raum ist die Herausforderung, guten Nachwuchs zu finden, besonders groß. Und trotzdem: „Unsere Lehrlinge sind uns zugelaufen“, schmunzelt Sandra Lützelberger.
Nicht ohne Hürden
Der Syrer Wael Allahham ist inzwischen im 2. Lehrjahr. Über 300 Bewerbungen habe er geschrieben. Eine richtige Odyssee sei das gewesen, erinnert er sich. Nachdem er in einigen Salons beim Praktikum nur unentgeltlich putzen durfte, hatte er mit dem Haarstudio Lenz endlich Glück. Mutter und Tochter waren begeistert vom angehenden Azubi. Bedenken äußerte lediglich die HWK. „Wollen Sie sich das antun?“, sei die Aussage eines Mitarbeiters dort gewesen. Die Familie Lenz setzte sich für Wael ein – über alle bürokratischen Hürden hinweg.
Michelle Bauchspieß, Azubi im 1. Lehrjahr, kam über die Mutter, die Kundin im Haarstudio ist, zu ihrer Ausbildungsstelle. „Michelle hat ein kleines Kind, das müssen wir bei den Arbeitszeiten berücksichtigen, aber auch ihr wollten wir eine Chance geben“, so Sandra Lützelberger. Und Selina Trümpert wechselte im 3. Lehrjahr als Kosmetikerin ihren Ausbildungsplatz. Ihre Schwester ist Kundin bei den Lenzens. Die waren froh, Unterstützung zu bekommen. Mit der nun fertig ausgebildeten Kosmetikerin kann sich Chefin Sandra wieder ganz dem Friseurberuf widmen.
Lange Wege zur Berufsschule
Ein Grund für Nachwuchsmangel insbesondere in ländlichen Gegenden sind die langen Wege zur Berufsschule. Als eine Lehrerin schwanger war, wurde die Friseurklasse in Zeller-Mehlis, was nur 20 Minuten von Schleusingen entfernt ist, kurzerhand geschlossen. Nun gibt es für Friseure nur noch die zweieinhalb Stunden entfernte Berufsschule in Bad Salzungen. Telefonate von Sandra Lützelberger mit den Schulen und Handwerkskammern blieben erfolglos. „Die Kommunikation zwischen Schule und Betrieb ist sehr schlecht“, ist Sandra Lützelberger resigniert, und ihre Mutter Susann Lenz ergänzt: „Es wird einem nicht leicht gemacht, Lehrlinge zu nehmen. So funktioniert das duale System nicht. Ich verstehe jeden Betrieb, der nicht mehr ausbilden möchte.“
Gemeinsam zum Wettbewerb
Dennoch hat es sich das Mutter-Tochter-Gespann zur Aufgabe gemacht, mit Hingabe auszubilden. Bei einem Teamausflug zur StyleCom mit den HairGames war Wael Allahham beeindruckt vom Wettbewerbsgeschehen. „Das möchte ich auch!“, war seine spontane Reaktion. Gesagt – getan. Mit ihm meldeten die Chefinnen auch den zweiten Zögling an. „Wir sahen das als eine Chance, Michelles Selbstbewusstsein zu stärken“, so Sandra Lützelberger. „Und das hat es“, freut sich Michelle Bauchspieß. Beim „New Talents Girls Kombistyle“ erzielte sie den 1. Platz der Mitteldeutschen Meisterschaft. Wael Allahham belegte den 2. Platz beim „Men Trend Look“. Für ihn war es ganz besonders wichtig, diese Herausforderung anzunehmen: „Meine Lehrerin hat gesagt, das schaffst du nicht. Ich bin froh, dass ich ihr das Gegenteil beweisen konnte.“ Auch Sandra Lützelberger ließ es sich nicht nehmen, solidarisch mit ihren Lehrlingen, ins Wettbewerbsgeschehen einzutauchen. Sie trat als Friseurmeisterin bei den Wettbewerben „Longhair Open & Up-Do“ Mitteldeutsche und Deutsche Meisterschaft an und erreichte den 3. Platz. Susann Lenz und Selina Trümpert liefen als mitfiebernde Betreuerinnen und seelischer Beistand mit. „Wir haben unsere Ausdauer trainiert und den Kindern alles hinterhergetragen“, lacht Susann Lenz. „Es war toll, so etwas schweißt zusammen.“
Alleskönner auf dem Land
Bei der Ausbildung im Haarstudio Lenz wird Wert auf die Grundlagen gelegt. Wael Allahham: „‚Ein richtiger Friseur sollte alles können‘, sagt unsere Chefin immer.“ Spezialisierung sei gut, bestätigt Sandra Lützelberger, aber die Grundlagen brauche man, um die Hintergründe zu verstehen. Und das nicht nur im Fachlichen: Zusammenspiel, sich blind verstehen, Miteinander, nicht Gegeneinander. Im Haarstudio Lenz gibt es keine klassischen Übungsabende. Das ist den privaten Umständen der Azubis geschuldet. „Michelle ist Mutter, Wael hat einen sehr langen Heimweg. Wir bestellen unsere Modelle auch während der Arbeitszeit. So haben wir Übungsabend-Charakter im Tagesgeschäft. Das funktioniert gut.“
Ist der ländliche Raum ein Nachteil für das Geschäft? Eher nicht, meint Sandra Lützelberger. „Unsere Kunden sind unkompliziert, trauen den Lehrlingen etwas zu.“ Das Haarstudio nutzt Social Media. Auch hier stehen die Lehrlinge im Rampenlicht, zeigen ihre Arbeit auf ihren eigenen Accounts. „Ich habe, auch aus meiner Zeit in Großstadt-Salons, die Erfahrung gemacht, dass die Kundinnen hier bei uns aufgeschlossener sind. Sie lassen sich inspirieren von unseren Vorschlägen auf Instagram. Und haben nicht schon vorgefertigte Vorstellungen, wenn sie zu uns kommen.“ Auf dem Dorf sei es auch wichtig, mit Dienstleistungen herauszustechen. Das tut das Haarstudio Lenz: mit Fußpflege, Massage, Kosmetik, Brautfrisuren und der Vermietung von Brautschmuck. Ein ganz besonderes Schmankerl ist die Begleitung der Braut bei der Auswahl des Brautkleides. Sandra Lützelberger über die Idee: „Die besten Freundinnen oder die Familie sind nicht immer die beste Wahl. Manche sind froh, einen neutralen ehrlichen Berater dabei zu haben.“