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26.05.2023

Soforthilfen: Vom Witz zum Recht

„Was hier von Behördenseite veranstaltet wurde, ist ein absoluter Witz“, sagt Bernhard Ries von der Initiative Friseure für Gerechtigkeit (IFG). Ein Gespräch mit einem, der für die Branche kämpft.

Eine angemessene Entschädigung. Das ist es, was Bernhard Ries von der Politik fordert. Man habe die Corona-Politik und die damit verbundenen Geschäftsschließungen 2020/2021 mitgetragen. Auf den entstandenen Kosten seien viele Friseur*innen jedoch sitzengeblieben. Mehr noch. Viele mussten die Soforthilfen zu 100 Prozent zurückzahlen, je nach Landesvorschriften. Ries setzt sich deshalb für eine einheitliche Regelung ein. Eine, die bundesweit gilt, und die klar vorgibt, nach welchen Kriterien Salonbetreiber bei der nächsten Pandemie – aktuell weist das RKI auf das sich in Deutschland etablierende West-Nil-Fieber hin – schließen müssen, und mit welchen Hilfen sie dann verlässlich rechnen können. Mit Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat sich der Sache angenommen und am 11. Mai über eine Entschädigungsklage bezüglich der Soforthilfe 2020 verhandelt. TOP HAIR hat sich mit dem Gründer der Initiative Friseure für Gerechtigkeit (IFG) unterhalten.

TOP HAIR: Herr Ries, hierzulande ist doch alles geregelt. Doch bei den Soforthilfen steckt der Fehler im Detail. Was ist das Problem?

Bernhard Ries: Nehmen wir an, in einem Kindergarten brechen die Masern aus, er muss geschlossen werden, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern. In solchen Fällen greift das Infektionsschutzgesetz (IFSG). Es gewährt dem Betrieb dann einen Entschädigungsanspruch. Dieser Anspruch gilt aber nicht im Fall der Corona-Pandemie, weil die Betriebe vorsorglich geschlossen wurden. Selbstverständlich hat der Staat die Aufgabe, die Verbreitung von Krankheiten zu unterbinden, und kann, wie im Falle von Covid 19 geschehen, auch zum Mittel eines Lockdowns greifen. Aber dann entsteht daraus auch die Verpflichtung, den betroffenen Betrieben eine adäquate Entschädigung zu gewähren. Denn es handelt sich in diesem Fall um ein Sonderopfer, das die Betriebe für die Gesellschaft erbringen; es ist ein schwerer Eingriff in die Gewerbefreiheit, in das Eigentumsrecht und de facto eine Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz mit dem Verlust von Arbeitsplätzen.

Aber der Staat hat doch mit diversen Angeboten unterstützt?

Ja, da kamen neben Sofort- dann noch Neustarthilfen, Überbrückungsgelder und einiges mehr – alles angeblich nicht zurückzahlpflichtige Zulagen, die in ganz großen Teilen heute wieder zurückgefordert werden. Und weil jedes Bundesland seine eigenen Verordnungen erlassen hat, gibt es heute einen Wust an Regelungen, die die Gerichte noch auf Jahre beschäftigen werden. So darf man in einem Land die Personalkosten ansetzen, in einem anderen nicht, in einem konnten 2.000 Euro aus der Soforthilfe für den privaten Lebensunterhalt herausgerechnet werden, in Bayern durfte man das nicht, in Baden-Württemberg konnten 1.160 Euro angerechnet werden. Ganz ehrlich: Für eine Pandemie mit nationaler Tragweite ist das, was hier von Behördenseite veranstaltet wurde, ein absoluter Witz. Deshalb braucht es hier eine bundesweite Regelung.

Ihre Initiative vertritt vor allem Betriebe aus Süddeutschland?

Jein, wir haben inzwischen rund 3.000 Mitglieder aus ganz Deutschland, aber hauptsächlich aus Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, die von uns wissen wollen, was konkret zu tun ist mit beispielsweise den Rückzahlungsaufforderungen der Soforthilfen.

Diesen Anspruch juristisch durchzusetzen, braucht nicht nur einen langen Atem, sondern mit Blick auf die Anwälte auch etwas Geld.

Geld und Überzeugungskraft, dass sich die Unterstützung der Mitglieder auch lohnt. Deshalb haben wir auf unserer Homepage nun einen Bereich eingerichtet, der zahlende Betriebe mit Informationen und aktuellen Entwicklungen versorgt. Wer mindestens 60 Euro investiert, erhält dafür auch ganz konkrete Tipps, wie mit den Rückzahlungsaufforderungen umzugehen ist; Einschätzungen unserer Anwälte, Empfehlungen im Umgang mit Rückmeldungen, Schriftsätze und Muster für fristwahrende Klagen. Noch sind die Ablehnungsbescheide zu den Widersprüchen betreffs Rückzahlungen in Baden-Württemberg nicht ergangen und auch in Bayern läuft noch bis zum 30.6.2023 das Rückmeldeverfahren bezüglich des Liquiditätsengpasses im Zusammenhang mit der Soforthilfe 2020. Danach aber beginnt die heiße Phase, in der in zahlreichen Betrieben, ich will nicht sagen Panik ausbrechen, aber zumindest großer Beratungsbedarf entstehen wird.

Die IFG hat demnach zwei Ziele: Zum einen geht es um Entschädigung für Geschäftsschließungen, also Leistungen, die nicht rückwirkend, sondern in einem künftigen Pandemiefall erbracht werden sollen. Zum anderen kämpfen Sie dafür, dass ausgezahlte Soforthilfen aktuell nicht zurückgezahlt werden müssen, also Friseure nicht doppelt bestraft werden.

Richtig. Wenn wir es schaffen, die finanziellen Mittel auf die Beine zu stellen, streben wir an, die Fehler, die auf Verwaltungsebene gemacht wurden, juristisch klären zu lassen und damit ebenso wie in Nordrhein-Westfalen vor Gericht erfolgreich zu sein. Denn dort haben Landesgerichte schon mehrfach zugunsten der Betriebe entschieden. In Bayern wird das vermutlich etwas schwieriger, aber es ist möglich.

Der BGH hat sich am 11. Mai der Entschädigungsklage angenommen. Sie waren in Karlsruhe. Wie ist die Verhandlung gelaufen?

Wir haben unser Ziel erreicht. Der BGH hat unsere Klage abgewiesen. Das mag seltsam klingen, aber nur so wäre der Weg frei zum Bundesverfassungsgericht. Das war unser ursprüngliches Ziel, dass wir bis vors BVerfGE kommen, weil nur das BVerfGE den Auftrag an die Politik zurückverweisen kann, das Infektionsschutzgesetz so zu überarbeiten, dass auch Geschäfte, die vorsorglich geschlossen werden, einen Entschädigungsanspruch erhalten.

Also ein Erfolg, auch wenn der BGH laut Pressemitteilung „keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates zur Regelung von Ausgleichsansprüchen“ sieht?

Ein Teilerfolg. Wir können die Klage jetzt zwar einreichen, doch das BVerfGE kann die Klage immer noch abweisen. Aber wir werden, nachdem wir die Urteilsbegründung des BGH genau geprüft haben, in unserer Klagebegründung deutlich machen, dass nur eine Änderung des bundesweit gültigen IFSG künftig dafür sorgen kann, dass die Flickschusterei mit unterschiedlichen Länderverordnungen unterbleibt und Betriebe nach klaren Regeln entschädigt werden.

Interview: Kai Lohwasser

Hier geht’s direkt zur ­Initiative: friseure- fuer-gerechtigkeit.de