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22.12.2021

Rückzahlung Soforthilfen - Friseure gehen auf die Barrikaden

Sie sollte durch den ersten Lockdown helfen und sorgt jetzt richtig für Ärger: die Soforthilfe. In den ersten Bundesländern wird sie zurückgefordert. Das sorgt für Wut und Verzweiflung bei vielen Friseuren. Sie fühlen sich getäuscht: Von "nicht rückzahlbaren Zuschüssen", die einst der ehemalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz versprach, ist nicht mehr viel geblieben. TOP HAIR-Autorin Elke Reichenbach hat mit betroffenen Unternehmern gesprochen, die sich gegen die Rückzahlung der Soforthilfe aus dem Jahr 2020 wehren.

Von einer Bazooka sprach der ehemalige Finanzmister Olaf Scholz am 23. März 2020 bei der Ankündigung der Corona-Soforthilfe als rasch wirksame, unbürokratisch ausgeschüttete und nicht rückzahlbare Hilfe für Solo-Selbstständige und Unternehmen bis 50 Mitarbeiter*innen. Jetzt erweist sich die rückstoßfreie Panzerfaust als Bumerang. Die meisten Länder fordern die gezahlten Gelder teilweise oder komplett zurück. Dagegen gehen die Friseure auf die Barrikaden – mit unterschiedlicher Stoßrichtung.

Pleiten drohen

Bernhard Ries findet für seinen Ärger deutliche Worte: Große Sprüche geklopft hätten Scholz und Altmaier im Frühjahr vergangenen Jahres und damit suggeriert, einen sicheren Rettungsschirm für die Unternehmen aufzuspannen. Zwar sei sehr schnell Geld geflossen, doch nun geschehe, was man eigentlich verhindern wollte: „Die Rückforderungen bringen Friseure in die Pleite.“ Die unterschiedliche Handhabung der Rückzahlungen auf Länderebene ärgert ihn zusätzlich. Viele Maßnahmen, die seit Pandemiebeginn umgesetzt wurden, seien sinnvoll. Doch führten scharfe Regelungen zu Abstand, Hygienemaßnahmen, Desinfektionskonzepten auch nach dem Lockdown zu zusätzlichen Umsatzrückgängen, „während andere Gewerke weiterarbeiten durften, als ob nichts gewesen wäre.“ Das verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Verfassungsbeschwerde

Der Unmut des Friseurunternehmers aus München richtet sich aber nicht nur gegen die momentan verschickten Rückforderungsprüfungen zur Corona-Soforthilfe. Ries denkt schon über die Pandemie hinaus. Ihn stört der generell fehlende gesetzliche Rahmen für staatliche Hilfen anstelle der „Billigkeitsleistungen“. Sein Ansatz: eine Änderung des in seinen Augen veralteten Infektionsschutzgesetzes, die Festschreibung einer generellen Entschädigungspflicht des Staates. Das will er mit einer Verfassungsbeschwerde erreichen. Um das Verfahren durch alle Gerichtsinstanzen bis zum  Bundesverfassungsgericht angehen zu können, sammelte er über die von ihm gegründete facebook-Gruppe „Initiative Friseure für Gerechtigkeit“Geld und suchte sich ein Friseurunternehmen aus Baden-Württemberg für eine Musterklage. „Der Salon mit einer Meisterin und einer Angestellten spiegelt einen Großteil der deutschen Friseurszene wider, die unter den Maßgaben der Politik zu leiden hat.“

„Druck aufbauen“

Im November 2021 hatte der 66-Jährige die nötigen 36.000 Euro für das Verfahren beisammen. Er könnte jetzt also loslegen. Doch die vielen Anfragen von Friseuren zeigen ihm, dass die Bedürfnisse momentan anders gewichtet sind. Die Verunsicherung wegen der Corona-Soforthilfen sei groß, „da müssen wir uns momentan drauf konzentrieren und Druck aufbauen“. Druck, der in seinen Augen bereits Erfolge zeigt: „Die Ministerien werden hellhörig.“ Baden-Württemberg hat inzwischen die Abgabefrist  für die Rückmeldungen um einen Monat bis 16. Januar 2022 verlängert. „Wir wollen jetzt unseren Mitgliedern helfen, Widerspruch einzulegen. Wenn dann die Rückzahlungsbedingungen anders gefasst werden, ist ja auch schon etwas erreicht.“

Mehr Infos: www.friseure-fuer-gerechtigkeit.de

Frank Brormann Foto: Calligraphy Cut
Frank Brormann >< Foto: Calligraphy Cut

Einspruch bringt Zahlungsaufschub

Vor Gericht ziehen will auch Ries‘ Kollege aus Nordrhein-Westfalen, Frank Brormann. Der Friseurunternehmer hat sich der IG-NRW Soforthilfe angeschlossen, will dort die Kräfte gebündelt sehen. Seine Stoßrichtung für die geplante Musterklage gegen das Land ist vor allem das „immer wieder veränderte Antragsverfahren“ bei der Ausschüttung der Corona-Soforthilfe. Nachdem die Anträge auf Corona-Soforthilfe im vergangenen Jahr öffentlich waren, habe er seinen innerhalb von drei Tagen gestellt. Doch seien die Parameter nach Antragsstellung mehrfach geändert worden, „am Ende war ich gar nicht mehr antragsberechtigt“. Das ist für den Calligraphy-Cut-Erfinder ein Unding. Brormanns Anwälte sehen gute Chancen auf einen Erfolg. Brormann fordert seine Friseurkollegen zum Handeln auf: „Alle, die mitmachen wollen, können jetzt Einspruch gegen vorliegende Bescheide einlegen. Damit gewinnen sie einen Zahlungsaufschub und Liquidität zurück.“

„Bund handelt fahrlässig“

Achim Rothenbühler aus Stuttgart sieht den Gang vor den Kadi als letztes Mittel der Wahl. Ein Gerichtsverfahren kostet schließlich Zeit, Geld und Nerven. „Ich will momentan vor allem öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema erregen und die Verantwortlichen in Land und Bund auf unsere Situation als Unternehmen hinweisen und freue mich über jeden, der auch Rummel macht.“ Der Friseurunternehmer schließt den Klageweg zur Rückzahlung der Corona-Soforthilfen nicht aus. Der Inhaber von vier Salons fordert von der Politik, nochmals nachzudenken. Jeder habe sein Päckchen unter der Pandemie zu tragen, aber unterm Strich sei vieles auf dem Rücken der kleinen Betriebe ausgetragen worden, so seine Einschätzung. Rothenbühler hält die Rückforderungen der Corona-Soforthilfen für nicht gerechtfertigt: „Ich finde es fahrlässig, wie Bund und Länder die Regelungen kommuniziert haben.“ Rothenbühler kann sich noch gut erinnern, dass sich seine Steuerberater im Frühjahr 2020 einig gewesen seien, dass die Mittel nicht zurückgezahlt werden müssen. „Hätte ich das gewusst, hätte ich lieber einen höheren Kredit bei der KfW-Bank aufgenommen. Den kann ich auf zehn Jahre verteilt zurückzahlen.“ Den Friseurunternehmer ärgert das ungleiche Vorgehen in den einzelnen Ländern und ihn ärgert der dreimonatige Berechnungszeitraum. Dabei schlage der umsatzstärkste Monat Mai voll durch, obwohl er für die damals geleistete Sechs-Tage-Woche mit unzähligen Überstunden der Mitarbeiter*innen auch viel höhere Ausgaben gehabt habe. „Letztlich sieht es so aus, als ob wir die Hilfen nicht nötig hätten.“ Dabei waren die Salons nach dem ersten Run wieder leer, seien die Umsätze aufs Jahr gesehen stark zurückgegangen. „Uns steht das Wasser bis zum Hals, bei vielen Friseuren geht es um die Existenz ihrer Familien.“

Ministerium bezieht keine Stellung

Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWI) bezieht in Aussagen zur Regelung der Corona-Soforthilfe keine Stellung zu den Vorwürfen der Branche: „Zur Umsetzung der Coronahilfen einschließlich der Soforthilfen und der Überbrückungshilfen wurden zwischen dem Bund und den Ländern einheitliche Verwaltungsvereinbarungen und Vollzugshinweise abgeschlossen, in denen die Durchführung des Programms in die Zuständigkeit der Bundesländer und ihrer Bewilligungsstellen übergeben wurde“, so ein Pressesprecher des BMWI.

Das Wirtschaftsministerium in Stuttgart erklärt in einer Stellungnahme: „Weiterhin gilt, dass die Soforthilfe Corona grundsätzlich nicht zurückzuzahlen ist.“ Dies gelte aber nur, wenn die Angaben im Antrag zum Liquiditätsengpass richtig und vollständig gewesen seien. Sollten sich bei der nachträglichen Überprüfung getroffene Zukunftsprognosen rückblickend als zu hoch herausstellen – etwa wenn die Ausgaben niedriger oder die Einnahmen höher ausfielen als bei Antragstellung erwartet – müsse der daraus resultierende Rückzahlungsbedarf im Rückmeldeverfahren angegeben werden. „Diese Systematik ist generell beihilfen- und haushaltsrechtlich zwingend und deshalb seit Beginn in Verwaltungsvorschrift und Bewilligungsbescheiden der Soforthilfe Corona so vorgesehen.“

Andreas Lutz Foto: Thomas Dreier
Andreas Lutz >< Foto: Thomas Dreier

Unterstützung von Verbänden

Unterstützung erhalten die betroffenen Unternehmen von diversen Verbänden. Gespräche mit den Landesbanken in den Bundesländern vor Ort führen derzeit ZV-Präsidentin Manuela Härtelt-Dören und ZV-Geschäftsführer Jörg Müller. Dabei gehe es darum, die Rechtslage zu prüfen und Einspruchsmöglichkeiten zu nutzen. Die Situation stelle sich dabei in den Ländern zum Teil sehr unterschiedlich dar. „Problematisch bleibt die Frage einer Ausschüttung durch die Länder ebenso wie der Bemessungszeitraum für die Geltendmachung der Rückzahlung. Mancherorts kommt eine nicht zweckgebundene Verwendung der Mittel erschwerend hinzu, die aber wiederum oft menschlich verständlich war“, erläutert Müller seine Sichtweise. Erste Erfolge haben die Gespräche bereits gezeigt. Zwei Tage vor Weihnachten forderte Wirtschaftsminister Robert Habeck die Länder schriftlich auf, die Rückzahlungsfristen für die Corona-Soforthilfen deutlich zu verlängern, um den Unternehmen Planungssicherheit zu bieten. Er verwies auf das Land Nordrhein-Westfalen, das die Rückzahlung der Corona-Soforthilfe bis zum 31. Oktober 2022 ermöglicht.

Darüber hinaus sollen die Schlussberichte der Länder an den Bund erst Ende 2022 fällig werden, ein halbes Jahr später als ursprünglich geplant. Möglichst gerechte und vor allem bundeseinheitliche Regeln, die für alle passen, fordert etwa Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) e.V. mit Sitz in München. Er verweist auf das große Durcheinander zu Beginn der Auszahlungen der Corona-Soforthilfe, das zu uneinheitlichen Lösungen auf Länderebene und damit zu Ungerechtigkeiten führte. Bayern etwa verzichtet auf Rückforderungen der geleisteten Hilfen, berücksichtigt sie nur mit der nächsten Steuererklärung. Eine solche unbürokratische Lösung habe auch der Verband gefordert, sagt Lutz. Zum einen seien die Daten dann nur einmal nachzuweisen, zum anderen werde ein ganzes Geschäftsjahr betrachtet, nicht nur ein kleiner Ausschnitt. Hoffnung setzt der Verbandsvorsitzende in die neue Regierungskoalition. Diese habe angekündigt, das Infektionsschutzgesetz dahingehend zu überprüfen, dass bei der Auszahlung von Hilfen auch Lebenshaltungskosten berücksichtigt werden. Für ihn wäre das ein Schritt in die richtige Richtung.

Text: Elke Reichenbach