14.03.2023

Seit Generationen Dienst am Menschen

Mehr als 300 Jahre Barbiere aus einer Familie: Dirk Müh Friseure hat eine lange Tradition.

Johann Jakob Frick ist ein geachteter Mann, als er am 14. Mai 1722 mit 53 Jahren stirbt und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung zu Grabe getragen wird. Als Barbier und Chirurg genießt der Zeitgenosse von Johann Sebastian Bach hohes Ansehen – weit hinaus über das Dorf Erpfingen auf der Schwäbischen Alb, 20 Kilometer südlich von Tübingen.

Bärte stutzen, Zähne ziehen

Barbier und Chirurg: Die Übergänge zwischen beiden Berufen sind in der Barockzeit fließend. Sie übernehmen vor allem auf dem Land die medizinische Grundversorgung. In Barbierstuben werden Haare geschoren und Wangen rasiert, Knochenbrüche gerichtet, Zähne gezogen, Menschen geschröpft und zur Ader gelassen. Das bleibt auch unter Elias Frick so. Johann Jakobs Sohn ist nicht nur Barbier im Dorf, sondern auch Bürgermeister.

Nachfolgende Fricks üben ebenfalls mehrere Berufe gleichzeitig aus, so auch der 1853 geborene Philipp Frick. Hauptberuflich Gemeindepfleger und Schreiner, schwingt er nicht nur Schere und Rasiermesser, sondern zieht bis etwa 1925 sogar Zähne. Seine Zahnzange bewahrt Nachkomme Dirk Müh bis heute im Erpfinger Salon auf.

Haarschnitt in der Wohnstube

Die Familie bleibt, doch der Name ändert sich im 19. Jahrhundert. Philipp Fricks Schwester Anna heiratet 1868 Johannes Müh, der neben seiner Landwirtschaft die Barbiertradition weiterführt. Nach seinem Tod übernimmt Sohn Gottlob 1893 Schere und Rasierpinsel – erst im elterlichen Haus, ab 1906 im neu gebauten
Gehöft. Dort warten samstags und sonntags vor der Messe die Bauern mit ihren Kindern in der Wohnstube geduldig auf Haarschnitt oder Rasur.
Gottlob Müh und Sohn Karl professionalisieren schließlich die Friseurtätigkeit auf dem Land. 1927 lassen sie den Friseurbetrieb in die Handwerksrolle eintragen und werden Mitglied der  Friseurinnung Reutlingen. Karl Müh vertieft darüber hinaus seine Fertigkeiten durch einige Praktika bei seinem Bruder Paul. Der erlernte das Friseurhandwerk und gründete einen eigenen Salon in Tübingen. Bei ihm in der Lehre lernen sich einige Jahre später übrigens Karls Sohn Willi und dessen spätere Ehefrau Traude kennen und lieben. Der Salon in Tübingen existiert heute noch: Geführt wird er in der dritten Generation von Enkel Andreas Preßler und Ehefrau Heike.

Salon in die Moderne geführt

Willi und Traude Müh führen die Friseurtradition in die Moderne. 1962 eröffnen sie den ersten Damen- und Herrensalon im Dorf und betreiben das Geschäft fast 60 Jahre lang gemeinsam. Und auch heute hat Trude Müh, fast 80-jährig, noch ab und an die Schere in der Hand. 1998 steigt Sohn Dirk nach seiner Ausbildung sowie einigen Gesellen- und Meisterjahren in den elterlichen Betrieb ein. Seit 2009 führt er „Dirk Müh Friseure“ alleine. Jede Generation habe das Unternehmen weiterentwickelt, ihm ihren besonderen Stempel aufgedrückt, sagt der Unternehmer heute. Seine Eltern bauen in den 70er-Jahren die Räumlichkeiten erstmals aus. Er vergrößert um die Jahrtausendwende erneut und gibt dem Salon mit 15 Plätzen und sechs Mitarbeiter*innen ein frisches Gesicht. Müh verknüpft mit dem Aufwachsen und Arbeiten im elterlichen Friseursalon viele Erinnerungen: Etwa an den Tag, als er in der Lehrzeit einem alten Mann die Haare schnitt. Dieser schmunzelte die ganze Zeit vor sich hin und antwortete auf Mühs Frage, was ihn so erheitere: Am heutigen Tag schneide ihm die vierte Generation Müh seine Haare.

„Meine Vorfahren haben als Barbiere, Feldscher und Chirurgen immer an Menschen gearbeitet, ein Gespür entwickelt für das, was diesen fehlt. Entweder, du hast das Gen in dir, Friseur zu sein, oder nicht.“ Das Friseur-Gen hat Dirk Müh in jedem Fall weitergegeben. Sohn Felix lernt das Friseurhandwerk im dritten Lehrjahr. Vorerst ist die über 300 Jahre alte Friseurdynastie also gesichert.