Schwarmwissen: Friseurfilialisten und ihre Zukunft

18. Juni 2024

Tino Herrmann ist seit März 2023 Präsident des Verbands Deutscher Friseurunternehmen (VDF). Er weiß, was die Herausforderungen für Filialbetriebe sind, wie man sie meistern kann und was das für die gesamte Branche bedeutet.

Inhaltsübersicht

Tino Herrmann trat im vergangenen Jahr die Nachfolge von Heidrun Völkel beim VDF an. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern des Verbandes, war immer in seinem Vorstand. Seit über 30 Jahren ist Tino Herrmann zudem Geschäftsführer der Friseur und Kosmetik GmbH in Bischofswerda. 2006 übernahm er mit der Cottbuser Hair Team GmbH ein zweites Filialunternehmen. Aktuell trägt er die Verantwortung für 15 Filialen mit über 100 Mitarbeiter*innen. Wir sprachen mit ihm über Herausforderungen für Filialisten und die Friseurbranche.


TOP HAIR: Herr Herrmann, wie kamen Sie zu den Friseuren? Sie sind selbst ja keiner.
Tino Herrmann:
Ich habe 1992 in Bischofswerda einen Filialisten übernommen. Meine Mutter hat dort gearbeitet und sie haben eine neue Geschäftsführung gesucht. Eigentlich bin ich Elektronikfacharbeiter und wollte nach dem Abitur Berufsschullehrer werden. Doch dann kam diese Chance, ein Sprung ins kalte Wasser. Ich habe berufsbegleitend den Betriebswirt gemacht. Ich bin ein Zahlenmensch und mit Haareschneiden hat meine tägliche Arbeit wenig zu tun.

TOP HAIR: Die Zahlenmenschen braucht es auch in einem Friseurbetrieb.
Tino Herrmann: 
Ja, ich glaube, das ist auch eine Tendenz in den Filialbetrieben, wenn dort die Nachfolge ansteht. Früher war es meist ein Automatismus, dass ein Friseur nachrückte. Im VDF haben wir nun aber oft eine Zweier-Konstellation. Es gibt einen kaufmännischen Geschäftsführer und einen zweiten für den fachlichen Teil. Auch ich habe für alle friseurspezifischen Fragen sowie die Betreuung der Filialen eine Mitarbeiterin an meiner Seite.

TOP HAIR: Sprechen wir über den VDF. Aus der Historie heraus waren es eher die Ost-Betriebe, die im VDF organisiert sind. Ist das noch so?
Tino Herrmann: 
Ja, es sind überwiegend Ost-Betriebe. Das ist sicher historisch begründet. Wir sind im Osten entstanden und die regionalen Filialisten hatten meist zwischen zehn und 15 Friseurgeschäfte, die großen vielleicht 20. Diese Struktur, meine ich, gab es in den westdeutschen Bundesländern eher wenig. Da waren die großen Filialisten, Klier, Ryf etc., die deutschlandweit oder noch weiter unterwegs waren. Vielleicht gab es Friseurbetriebe, die mal zwei oder drei Filialen aufgemacht haben, um sich etwas zu erweitern. Aber eine Struktur der regionalen Filialisten wie im Osten gab es eher selten oder gar nicht. Der Verband ist daher nach wie vor sehr ost-lastig. Wir haben aktuell drei West-Filialisten, sonst sind alle Mitglieder Ost-Filialisten.

TOP HAIR: Gibt es aus Ihrer Sicht Unterschiede in den Herausforderungen, die Ost- und West-Filialbetriebe meistern müssen?
Tino Herrmann: 
Unterschiede gibt es inzwischen nicht mehr. Als wir angetreten sind, gab es diese Umwandlungsthemen von PGH (Anm. d. Redaktion: Produktionsgenossenschaft des Handwerks war in der DDR eine sozialistische Genossenschaft) in GmbH oder Genossenschaften. Viele Jahre war Mindestlohn ein beherrschendes Thema für den Osten. In den ersten Mindestlohnstufen war das für viele westdeutsche Friseurunternehmen aufgrund der Höhe gar kein Thema. Inzwischen hat sich alles so angeglichen, dass ich glaube, die Sorgen, die wir derzeit haben, haben wir deutschlandweit.





Die Sorgen, die die Filialisten derzeit haben, haben sie deutschlandweit.

Tino Herrmann






Tino Herrmann: Was sind die größten Herausforderungen für Filialisten?
Tino Herrmann: 
Zum einen, dass die Umsätze stagnieren. Und das im Kontext mit den steigenden Kosten, die wir als Unternehmer wenig beeinflussen können. Zum Beispiel Personalkosten-Steigerungen durch die Mindestlohn-Entwicklung. Oder Mietkosten. Viele haben Mietverträge mit Indexmieten. Die Lebenshaltungskosten-Indexe sind jetzt durch die Decke gegangen. Ich selbst habe im Cottbuser Unternehmen zwei Filialen, bei denen ich innerhalb von neun Monaten zweimal zehn Prozent Index-Erhöhung hatte. Und natürlich Energie. Das sind die Kostentreiber. Und was es so schwer macht in der jetzigen Zeit, ist, das alles über Preiserhöhungen abzudecken. Da sind viele an eine Grenze gekommen. Wie weit geht die Akzeptanz der Kunden? Weil der Kunde ja in seinem gesamten persönlichen Bereich ebenfalls Kostensteigerungen kompensieren muss. Erschwerend wirken auch die unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen. Im Vergleich zu umsatzsteuerfrei arbeitenden Betrieben ist es schon ein deutlicher Unterschied, was bei Preisen möglich ist.

Das Hauptthema nach innen betrachtet ist im Moment die Kommunikation. Viele sind in einer Situation, die sie all die Jahre nicht kannten. Sie merken, dass der Filialleiter eher ein Verwalter ist und kein Coach, der das Team führt oder zusammenhält. Oder es motiviert und begeistert. Das hat es über viele Jahre auch nicht gebraucht, weil die Unternehmen einfach liefen, sie waren gut organisiert. Die Stimmung, die von außen nun zu uns reingeschwappt ist, die spürt man auch in den Teams. Das ist für uns gerade eine riesengroße Aufgabe: Wie gelingt es, eine positive Kommunikation untereinander von der Geschäftsführung bis zum einzelnen Mitarbeiter wiederherzustellen oder beizubehalten?

TOP HAIR: Und Aus- und Weiterbildung?
Tino Herrmann: 
Unsere Filialbetriebe waren da eigentlich immer gut aufgestellt. Dadurch, dass sie in der Regel selbst Azubis ausgebildet und mit Referenten und der Industrie zusammengearbeitet haben, ist in puncto Ausbildung allein aufgrund der Größe immer viel gemacht worden. In der Struktur, in der wir unterwegs sind, brauchen wir auf jeden Fall Nachwuchs, und deshalb ist die Ausbildung für viele ein ganz wichtiger Punkt. Manche sind so weit, dass sie sagen, wir haben das Personal nicht mehr, um vernünftig selbst auszubilden. Oder sie haben Bedenken, dass der Azubi nach drei Jahren geht, weil die junge Generation einfach wechselfreudiger geworden ist. Und da es für Ausbildung keine Förderung gibt, ist es für manche inzwischen leider eine rein wirtschaftliche Frage, ob sie sich Ausbildung noch leisten können.

TOP HAIR: Wie unterstützt der VDF seine Mitglieder bei diesen Themen?
Tino Herrmann: 
Die Abkürzung VDF ist für uns Leitgedanke: Verbinden, Denken, Fördern. Erfahrungsaustausch ist einer der größten Bausteine im Verband, für viele sogar der wichtigste. Es gibt kein Konkurrenzdenken, es herrscht ein ehrlicher, offener Umgang miteinander. Es gibt ja das Schwarmwissen. Viele haben irgendwas mal probiert, und so müssen nicht andere die gleichen Fehler nochmal machen. Das gilt es zu bewahren, denn von diesem Austausch leben die Mitglieder. Wir haben uns als Vorstand auf die Fahne geschrieben, keine Themen vorzugeben, sondern abzufragen, was den Mitgliedern auf der Seele brennt. Danach richten wir die Auswahl der Referenten oder die Themen der Workshops und Schulungen. Gerade im Moment dominiert das angesprochene Thema Kommunikation unsere Treffen. Hier wollen wir Hilfestellung geben.

TOP HAIR: Was ist Ihnen für die Branche wichtig?
Tino Herrmann: 
Für mich ist das Wichtigste, Verbündete zu finden, damit die Branche wieder mehr Wertschätzung erhält. Das betrifft das gesamte Handwerk. Wir brauchen eine gleich große Wertschätzung wie akademische Berufe. Ich denke, dass der sogenannte Fachkräftemangel gar nicht so sehr auf den demografischen Wandel zurückzuführen ist. Es gehen einfach zu viele über Bedarf in die akademischen Ausbildungen und bekommen dann keine Anstellung. Die Ursache liegt oftmals schon im Elternhaus oder in den Schulen. Dort wird leider viel dafür getan, dass junge Menschen gar nicht erst den Weg ins Handwerk oder in den Friseurberuf suchen, und das finde ich falsch. Ich bin in der DDR groß geworden, da hatte der Friseur eine riesengroße Anerkennung. Da haben die Kunden um 6 Uhr früh Schlange gestanden. Und auch das System der Ausbildung war anders. Bei uns war in der Schulzeit im Stundenplan verankert, dass wir jede Woche auch in Betrieben arbeiten. Wenn wir zusammensitzen, höre ich oft, die jungen Leute fordern nur. Es wird so gerne gesagt, die Forderungen seien völlig abgekoppelt von der Performance. Ja, das ist sicher auch richtig. Aber woher sollen es die jungen Leute denn wissen, wie Betriebe funktionieren, wenn sie es nie gezeigt oder erklärt bekommen haben? Das ist ein Thema, daran müssen alle in der Branche zusammenarbeiten.


Der Verband Deutscher Friseurunternehmen (VDF) ist ein Arbeitgeberverband, der sich für die Interessen von Friseurfialisten oder großen Einzelunternehmen einsetzt. Dafür arbeiten die Mitglieder mit anderen Friseurverbänden, Kammern und Vertretern der Politik zusammen. Ziel dieser Arbeit ist es, dass die spezifischen Besonderheiten der Friseurfilialisten bei Tarifverhandlungen und Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt werden. Im Mittelpunkt des Verbandslebens steht der regelmäßige Informations- und Erfahrungsaustausch der Mitgliedsbetriebe. Hierfür gibt es Regionalgruppentreffen, Verbands- und Unternehmertage, Online-Foren sowie Weiterbildung und Qualifikation der Führungskräfte und Mitarbeiter. Im Oktober 2024 wird der VDF 30 Jahre alt. www.vdf-ev.de

Im VDF sind aktuell:
47 Unternehmen mit
469 Filialen
2.587 Mitarbeiter*innen
152 Auszubildenden

Interview: Susanne Vetter