24.10.2024
Ist weniger manchmal mehr?
Branchenkenner und Friseurunternehmer René Krombholz fragt nach dem Sinn, immer den neuesten Trends, Produkten und Entwicklungen hinterherzurennen. Überfordert man seine Mitarbeiter oder verliert sie dadurch sogar?
„Wer im Markt steht – der geht!“ So habe ich es gelernt. Gepaart mit Neugier und dem Drang zum Erfolg, war das für mich eine Triebfeder. So gaben sich bei uns im Salon neue Produkte, Trends oder Innovationen die Hand. Immer wieder Neues, immer wieder Weiterbildung mit dem Ziel, das Beste für die Kunden im Angebot zu haben.
Gemessen an Kosten und Zeitaufwand, besonders bei der Weiterbildung, waren die wirtschaftlichen Ergebnisse nicht optimal. Auch in meinem Team gab es Gegenstimmen, die denen ähnelten, die mich als Initiator der Wertegemeinschaft „Der faire Salon“, aus der Branche erreichen: „Eine Aktion jagt die andere. Dort das neue Shampoo, dann das Sonderangebot, hier die neueste Farbtechnik, Umformung, Sonderaktionen, Gutscheine, Rabatte…. Sind wir Verkäuferinnen, Vertreter oder Frisörinnen?“, schrieb zum Beispiel Sylvia N., Friseurin aus Leipzig.
Habe ich Mitarbeiterinnen überfordert oder sogar verloren?
Aus heutiger Sicht glaube ich, dass ich die eine oder andere Mitarbeiterin auch überfordert und dadurch verloren habe. Der Fachkräftemangel zwang uns dazu, unsere Seminare auf eines pro Halbjahr zu begrenzen, was den wirtschaftlichen Erfolg aber keineswegs schmälerte. Stehen bleiben wollten wir aber auch nicht und so überlegten wir, wie wir uns künftig im Markt präsentieren wollen. In gemeinsamen Teamrunden haben wir versucht, die Wünsche unserer Kunden zu analysieren und mit unseren wirtschaftlichen Bedürfnissen aber auch unseren eigenen als Friseure in Einklang zu bringen. Interessanterweise hat das unsere Außendarstellung und unser Eigenverständnis zur Arbeit verändert, während die fachlichen Arbeiten ihren hohen Standard beibehalten haben.
Sinnhaftigkeit des Berufs: gute Gastgeber sein!
Wir haben anerkannt, dass die Menschen um uns herum verunsichert sind, den Wandel und diese Zeit als stressig und ruhelos empfinden. Umso mehr haben wir Wert darauf gelegt, gute Gastgeber zu sein. Entspannte ruhige Atmosphäre, guter Service, menschliche Gespräche und ehrliche und sichere Beratung, die den Kunden nicht überfordert. Letztere haben wir dahingehend forciert, dass wir dabei die Typ-Optimierung herausstellen. Wir sprechen darüber, wie die Haarfarbe zur Gesichtsfarbe passt, die Frisur zum Typ oder das Styling zu den persönlichen Bedürfnissen und Pflegegewohnheiten.
Eines der ersten Dinge, die ich in meiner Lehrzeit lernen durfte, war die Aussage, dass der Friseurberuf zu den sozial geprägten Berufen zählt. Auch das haben wir wieder aufleben lassen. Neben der fachlichen Kompetenz ist uns die soziale Kompetenz wichtiger geworden. Wir kümmern uns um die Menschen, deren Wohlbefinden und Aussehen und reden auch darüber. Diese neu entdeckte Sinnhaftigkeit unseres Berufes, entpuppte sich als neue Triebfeder im Team.
Zurück zu den Ursprüngen: ein voller Erfolg!
Diese Änderungen, der Schritt zurück zu den Ursprüngen unseres Berufes, menschliche Kompetenz und gute Arbeit – das hat sich herumgesprochen und wir verzeichnen das, was wir uns gewünscht haben: einen deutlichen Anstieg der Neukundenzahlen. Die Kunden sprechen darüber und empfehlen uns weiter. Wir leben das, was die Discounter und Billigsalons eben nicht leisten können. Zurück zu den Ursprüngen, das mag nicht für jeden Salon machbar sein, bei uns war es ein voller Erfolg.
Wenn ich noch einmal 20 wäre…
Allerdings muss ich gestehen, wenn ich noch einmal 20 wäre… dann sähe meine Salonphilosophie anders aus. Aber was für einen Salon würde ich dann eröffnen? Als junger Mensch, mit Smartphone und digitalen Wissen bestückt, wäre mein Wunschsalon digital. Auch wenn vielfach behauptet wird, der Haarschnitt wird niemals digital, persönlich sehe ich hier gewaltige Chancen und Interesse und Neugier seitens der Kunden nach einer neuen Friseurdienstleistung.
Mithilfe Digitalkamera und Computer der Kundin noch vor dem Schneiden oder Färben zu zeigen, wie sie mit der neuen Frisur oder Haarfarbe aussehen wird. Kopfhaut und Haaranalyse-Tools mit digitaler Farb- und Pflegeberatung, bis aufs i-Tüpfelchen personifiziert und speziell auf jeden Kundin/ jeden Kunden zugeschnitten. Technik auch bei der Arbeit, von der „heißen Schere“ bis hin zum Infrarot-Glätter und -Curler, kabellose Styler, Premium-Haartrockner oder Haarschneidemaschinen.
Der digitale Wunschsalon
Eine Vermarktung und Außendarstellung über alle sozialen Medien von TikTok, über Facebook, Instagram und alles, was da noch kommen mag ist Pflicht und zeigt Modernität. Online-Terminierung, klar! Newsletter für meine Kunden, selbstverständlich! Aktionen, Bonus, Kunden werben Kunden, alles über Internet, alles digital.
Passend auch das Ambiente: puristisch, klar, mit vielleicht etwas Mut zur Farbe. Digitale Bildschirme im Großformat. Selbstverständlich auch Service, eine Plauderecke für die Kunden vielleicht sogar eine kleine Bar. Apps, die den Kunden Hilfestellung beim Pflegen und Styling geben, bis hin zur Kundenbewertung.
Ach ja, ich vergaß: Ich bin keine 20 mehr – Spaß daran hätte ich aber trotzdem und ich glaube, viele junge Menschen auch. Betrachte ich die zahlenmäßige Entwicklung der Ausbildungsverträge, dann wird mir klar, dass unser Friseurhandwerk, allein schon aufgrund dieser Entwicklung, nicht mehr so weiterleben kann. Nur 7.000 neue Friseure*innen pro Jahr für über 80.000 Salons, das kann nicht funktionieren.
Die Barrieren in Sachen Meisterprüfung werden fallen!
Persönlich habe ich die leise Ahnung, dass demnächst die Barrieren in Sachen Meisterprüfung und geschützter Beruf fallen werden. Die Chance für Quereinsteiger wird die Chance zum Überleben dieses Berufes werden. Aber auch hier müssen wir erst einmal Menschen dafür begeistern. Die Sinnhaftigkeit eines Berufes wird wieder wichtiger werden, ebenso die Bezahlung. Mehr als nur Haare kürzen! Und das für richtig gutes Geld, ausgeführt mit dem Willen, Menschen etwas zu geben… das würde (für mich) auch im digitalen Salon an erster Stelle stehen.
Viel Erfolg dabei der jüngeren Generation!