Foto: Melanie Fredel

13.09.2024

Oliver Bohn plädiert für: „Mehr Freiraum in der Ausbildung"

Oliver Bohn war lange Jahre Präsident der Jugendorganisation Fondation Guillaume, führt die Meisterschule Amann & Bohn (Meister digital) und ist Vize-Präsident der Intercoiffure Deutschland. Im Interview mit TOP HAIR spricht er über sein Herzensthema: die Friseur-Ausbildung und die Begleitung junger Friseur*innen.

TOP HAIR: Wie stehen Sie zur derzeitigen Situation der Ausbildung? Die Abbrecherquote nimmt immer mehr zu, immer weniger Ausbildungsplätze werden besetzt, immer mehr Betriebe bilden gar nicht mehr aus. Wie kann die Branche diese Herausforderung meistern?

Oliver Bohn: „Vor gut zehn Jahren hatte ich einige Male einen Vortrag gehalten mit dem Titel „Steht der Friseur auf der roten Liste?". Dafür musste ich mir manchmal anhören, es sei Schwarzmalerei, die ich betreiben würde. Es wäre mir auch lieber gewesen, ich hätte Unrecht gehabt, aber vieles davon ist eingetroffen. Unsere Branche steht nicht mehr vor, sondern sie ist unweigerlich in einem epochalen Wandel. Und bei einem Rückgang der Ausbildungsverträge von 65 Prozent in 15 Jahren, bei elf Prozent der Betriebe, die noch ausbilden und einer Abbrecherquote von rund 50 Prozent sollte irgendwann auch dem letzten klar werden, dass es nicht mehr ausreicht, bunte Flyer zu drucken und gut gemeinte Posts auf social media zu schalten. (...und wenn jemand sagt, es sei nicht so schlimm, meine genannten Zahlen wären in der Realität drei Prozent weniger schlimm, dann weiß ich auch nicht, ob das unsere Branche rettet).“

Was brauchen junge Menschen, die Friseur*innen werden wollen von ihren Betrieben und von ihren Ausbildern?

„Junge Menschen, die unseren Beruf erlernen wollen, brauchen jemanden der sie an die Hand nimmt, der junge Menschen versteht und sie individuell fördert. Ich habe oft den Eindruck, es sind nicht die Inhalte der Ausbildung – wie oft bemängelt – , sondern mehr die Art und Weise der Vermittlung. Dies betrifft auch unsere Partner innerhalb der dualen Ausbildung. Eine individuelle Förderung ist da natürlich schwer umzusetzen, und deshalb richtet man sich eben nach denen die eher mehr Zeit und Verständnis brauchen und riskiert dadurch, die anderen zu verlieren.“

Deutschland ist eins der weinigen Länder mit einem ausschließlich Dualen Ausbildungssystem. Braucht es neue/andere Wege, Friseur zu werden?

„Was wir endlich brauchen, sind individuelle Möglichkeiten zur Gesellenprüfung zu kommen. Sobald wir jemanden mit besonderem Talent oder einer höheren Schulbildung haben, sprechen wir von einem Sonderfall. Je nach Bundesland zuckt die Berufsschule zusammen, wenn derjenige das erste Lehrjahr überspringen will, weil sie die Klassen nicht mehr voll bekommen, die Handwerkskammer zuckt wegen der Lehrzeitverkürzung, weil auch da die überbetrieblichen Lehrgänge dann fehlen, und der Betrieb zuckt, weil er wieder mehr Bürokratie auf sich zukommen sieht. Wenn wir solche Menschen als Ausnahme behandeln werden, sie auch die Ausnahme bleiben.“

Wie würde Ihre ideale Friseurausbildung aussehen?

„Wie die ideale Ausbildung aussieht, kann ich nicht beantworten, das kommt immer auf die Sichtweise an. Wir brauchen meiner Meinung nach eine zweite Schiene. Hamburg macht uns das vor, ist aber auch wieder eine Ausnahme. Wir müssen die Menschen auf einer zweiten Schiene schneller zur Gesellenprüfung bringen können. Ohne den dreijährigen Ausbildungsvertrag, dafür mit einer Art Praktikumsvertrag meinetwegen für 18 Monate, der dann während der Ausbildung auch von der Verpflichtung des Mindestlohnes befreit (weil es sonst betriebswirtschaftlich gar nicht zu stemmen ist).

Wenn ich den Auszubildenden 18 Monate ohne Schultagekonsequent im Betrieb habe und er in der Lage ist, sich die Theorie über Lernplattformen anzueignen, bin ich davon überzeugt, dass weder die Einsatzfähigkeit im Salon noch die Ergebnisse der Gesellenprüfung darunter leiden würden. Was aber steigen würde ist die Motivation, sowohl der Lernenden als auch der Ausbildenden.

Intercoiffure Deutschland bietet bereits ein funktionierendes „Ausbildungs-Upgrade" für die Mitglieds-Salons an. Zeitgemäß werden Arbeiten mit Hilfe einer App trainiert und nach einer Trainingsphase in Präsenz-Seminaren vertieft und geprüft. Dabei sind die Lernenden immer mit ihrem Trainer verbunden und erhalten zeitnahe Feedbacks. 

Wenn wir den letzten überzeugten Ausbildenden in unserer Branche mit einer zweiten Schiene, die dann ja trotzdem wie bisher die Gesellenprüfung ablegt, gemeinsam mit den Absolventen des dualen Systems, mehr Freiraum geben würden. Ich bin davon überzeugt, da käme sehr viel Gutes dabei heraus.“