Hirnforscher und Bestseller-Autor Prof. Dr. Volker Busch erforscht die Zusammenhänge von Stress, Schmerz und Emotionen. Hier schreibt er über die Kraft, in Möglichkeiten zu denken.
Inhaltsübersicht
- Voreilige Bewertungen und starre Haltungen
- Possibilismus: geistig flexibel und kreativ
- Tipps, um in Möglichkeiten zu denken:
Ist Ihnen mal aufgefallen, dass Menschen, wenn sie über etwas berichten, meist direkt eine emotionale Bewertung anhängen? „Wo fahren Sie nächste Woche in den Urlaub?“ „Nach Korsika. Das Wetter soll ja nicht so toll werden.“
Menschen bewerten heute Dinge, die sie kaum kennen oder deren Entwicklung sie kaum wissen können. Schon aufgrund minimaler Informationen entstehen gefühlte Wahrheiten. Das Problem bei vorschnellen emotionalen Bewertungen ist: Sie erzeugen starre Haltungen.
Voreilige Bewertungen und starre Haltungen
Sowohl eine zu negative als auch eine zu positive emotionale Grundhaltung kann uns dabei auf der Handlungsebene passiv machen: Wer z. B. bei der Behandlung einer Erkrankung, bei partnerschaftlichen Problemen oder bei der Bekämpfung des Klimawandels extrem pessimistisch ist, kommt kaum in eine sinnvolle Handlung. Wer dagegen bei den genannten Krisen naiv-unbekümmert bleibt und denkt, Gott räumt die Steine schon aus dem Weg, wird aller Voraussicht nach genauso wenig aktiv. Unter dem Strich können sowohl Optimisten als auch Pessimisten relativ ignorant sein: Den Pessimisten interessiert nicht die Chance in einer Krise und auch nicht das Glück bzw. der Erfolg, der in einer persönlichen Anstrengung liegt. Und den Optimisten interessiert nicht die Gefahr oder der mögliche Verlust, der einer Entwicklung innewohnt.
Beide Haltungen sind durch eine einseitige Sichtweise verfestigt und leugnen mögliche Alternativen. Damit wird die wirkliche Welt gleichsam ausgeblendet, denn die meisten Dinge liegen bekanntlich irgendwo dazwischen.
Possibilismus: geistig flexibel und kreativ
Es gibt eine alternative Denkweise bei Aufgaben, Herausforderungen oder Krisen, in die wir geraten. Sie kommt emotional etwas nüchterner daher, dafür macht sie aber geistig und emotional flexibel und befreit uns aus der Passivität. Gemeint ist der sogenannte Possibilismus, die Haltung des Möglichen. Sie passt viel besser zu einer Welt, deren Vorhersehbarkeit in den meisten Fällen, wenn wir ehrlich sind, gar nicht gegeben ist. Denn weder die Welt, in der wir leben, noch die Zukunft, die wir schreiben, sind streng vorherbestimmt. Stattdessen ist vieles möglich, auch in Krisen, weil der Mensch kreativ ist und Lösungen findet, weil er die Kraft hat, Probleme zu bewältigen, und nicht zuletzt, weil er sich mit Entwicklungen arrangieren kann. Diese Flexibilität war das Erfolgsmodell unserer Spezies – und sie ist es bis heute.
Ein Possibilist hofft natürlich auch auf ein gutes Ende, aber er rechnet sicherheitshalber mit einer schlechten Entwicklung. Dadurch ist er vorbereitet, falls etwas anders kommt als erwartet oder erhofft. Er sieht also die Chancen und kämpft für sie, ist dabei aber nicht blind für die Gefahr und bleibt besonnen und vorsichtig. All das geht nur, weil er sich vor zu starken Gefühlen schützt. Er bewahrt sich eine emotionale Distanz und legt sich weder hoffnungslos pessimistisch noch übertrieben optimistisch fest. Genau dadurch bleibt er in einer guten Handlungsfähigkeit. Sobald man sich seiner Möglichkeiten bewusst wird, erzeugt das viel stärkere Zuversicht, als bloß davon auszugehen, dass sowieso alles gut wird. Heute können wir sogar messen, dass das Gehirn signifikant kreativer denkt, wenn es in Möglichkeiten denkt, statt in emotional starren Haltungen wie lähmendem Pessimismus oder übertriebenem Optimismus. Es ist der Possibilismus, der das Beste aus uns herausholt.

PROF. DR. VOLKER BUSCH
ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, internationaler Spiegel-Bestsellerautor und Host des Podcasts „Gehirn Gehört“. Possibilismus ist ein zentrales Thema in seinem Buch „Kopf hoch!“: Er erläutert darin die Funktionsweise unseres mentalen Immunsystems und zeigt, welche Strategien uns psychisch stark machen und gesund halten.
Tipps, um in Möglichkeiten zu denken:
Nachfolgend finden Sie ein paar Übungen, die Ihr Denken flexibler machen:
1. In verschiedenen Szenarien denken:
Trainieren Sie sich an, bei jeder wichtigen Entscheidung stets ein Best- sowie ein Worst-Case-Szenario aufzuschreiben. Fragen Sie sich anschließend: Was kann ich konkret tun, um das Beste möglich zu machen – und wie schütze ich mich, falls das Schlechteste eintritt? Was wäre Plan A, aber welchen Plan B gibt es alternativ? So richten Sie den Blick gleichzeitig auf Chancen und Risiken, und das bereitet Sie künftig besser auf mögliche Entwicklungen vor als einseitige Erwartungen.
2. Kognitive Diversität pflegen:
Suchen Sie bewusst den Austausch mit Menschen, die anders denken oder andere Lebenserfahrungen gemacht haben. Sobald wir unsere „Bubble“ verlassen, wird uns wieder die Vielfalt bewusst, mit der Menschen ihr Leben erfolgreich meistern. Die unterschiedlichen Blickwinkel erweitern auch Ihre Palette möglicher Lösungen. Das macht die Vorstellungen von Ihrer Zukunft flexibler.
3. Mini-Experimente:
Statt eine neue Situation vorschnell zu bewerten, machen Sie die Probe aufs Exempel: Gehen Sie ein kalkuliertes Wagnis ein und versuchen Sie das neue Verhalten für ein paar Tage. Überprüfen Sie am Abend Ihre Erfahrung: Was kam besser oder schlechter als erwartet? Welche Überraschungen gab es? Die Übung hilft Ihnen, Dinge künftig weniger voreilig zu bewerten und besser in Möglichkeiten zu denken statt in starren Vorannahmen.
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