Zweithaar lohnt sich und stiftet Sinn: Belinda Velten (links) bietet diese Dienstleitung seit zwei Jahren im Salon an >< Foto: Melanie Fredel

08.11.2022

Zweithaar-Geschäft im Salon: Sinn stiftend und lohnend

Zweithaar kann für einen Friseursalon ein lohnendes Zusatzgeschäft darstellen. Für Friseurunternehmerin Belinda Velten ist es zudem eine Herzensangelegenheit, bei der ihr eine faire Kalkulation unabdingbar ist.

Bereits seit 2009 führt Belinda Velten ihren Salon „Haar’genau Ihr Stil“ in Erftstadt mit derzeit sechs Mitarbeiterinnen. Anfang 2019 qualifizierte sie sich als Zweithaarspezialistin und erweiterte um ein Zweithaarstudio. Der Grund: „Ich wollte immer schon auch etwas Soziales machen. Als ich zwei Krebsfälle in der Familie hatte und erlebte, wie schwierig und teuer es für die Betroffenen war, einen schönen Haarersatz zu bekommen, hab‘ ich mich intensiv mit dem Thema befasst“, erzählt sie. Sie bildete sich weiter und richtete einen separaten Behandlungsraum ein, um die sogenannte Präqualifizierung für das Zweithaarstudio zu erhalten. Dies ist notwendig, um medizinisch verordneten Haarersatz mit den Krankenkassen abrechnen zu können. Seit etwa eineinhalb Jahren bedient Belinda Velten nun nur noch wenige Stammkundinnen in ihrem eigentlichen Salon und ist ansonsten fast ausschließlich auf Abruf für Zweithaar-Dienstleistungen, die vor allem Chemotherapie- Patientinnen in Anspruch nehmen.

Ausführlich beraten

Der Ablauf ist zwar fast immer gleich, aber jeder Fall ist trotzdem anders, berichtet Velten: „Für den ersten Termin plane ich mir immer zwei Stunden ein. Ich sehe die Kundin, die dann meist direkt nach der Diagnose kommt, dann hoffentlich sogar mit ihrem natürlichen Haar, und berate sie anhand der Perücken im Regal und der Katalogauswahl meines Zulieferers.“

Echthaar, Kunsthaar, Länge, Farbe und Grundform sind die entscheidenden Kriterien in der Beratung. Der Preis ist für die meisten Patientinnen zuerst zweitrangig. „Es geht ja darum, auch innerhalb der schwierigen Zeit einer Chemotherapie möglichst natürlich auszusehen und vor allem, sich immer noch schön zu fühlen“, betont Velten.

„Ich sehe bei den Kundinnen nicht, dass sie krank sind, sondern, dass ich sie verschönern kann.“

Belinda Velten

Kalkulieren und abrechnen

Hat die Kundin ihre Perücke ausgesucht, heißt es, umgehend einen Kostenvoranschlag für sie zu erstellen, der gleichzeitig zur Genehmigung an die Krankenkasse geht. „Um die komplette Abwicklung kümmere ich mich. Die Kundin muss selbst nichts veranlassen“, so Velten. Sie ist als Zweithaar-Spezialistin bei allen gängigen Krankenkassen gelistet und hat feste Abrechnungsverträge. Das erleichtert die Kalkulation, die Abrechnung und die weiteren bürokratischen Vorgänge. Dennoch sei auch in der Bürokratie jeder Fall anders, sagt Velten: „Der gesetzliche Anteil der Krankenkassen ist nicht einheitlich. Jede Kasse rechnet anders ab. Dementsprechend variieren natürlich auch die restlichen Kosten für die Kundinnen.“

Tipp zur Kalkulation

Statt der grundsätzlichen Empfehlung „Einkaufspreis x 2,5“ empfiehlt Belinda Velten gerade bei Echthaar-Perücken über den Stundensatz zu kalkulieren: „Ich setze sechs bis acht Stunden für die gesamte Behandlung einer Kundin an und addiere diesen Betrag auf den Einkaufspreis. Damit erziele ich einen guten Umsatz, der für die Kundin trotzdem fair bleibt.“

Sehr variable Preise in der Branche

Erschreckend variabel findet sie auch die Preise, die manche Kundinnen als Vergleichspreise aus der Branche mitbringen. Der Grund: „Es gibt für Perücken keine unverbindliche Preisempfehlung. Zweithaarstudios können völlig frei kalkulieren. Grundsätzlich ist das ja sinnvoll und richtig, doch ich finde, es muss den Kundinnen gegenüber fair bleiben!“. Sie plädiert deshalb eindringlich für eine Kalkulation auf Basis der eingesetzten Stunden: „Gerade im Echthaarbereich ist der übliche Faktor von 2,5 aus meiner Sicht für die Kundinnen zu hoch. Ich kann einer kranken Kundin nicht mit guten Gewissen mehr als nötig für eine Perücke berechnen“, betont Velten. Ihre Herangehensweise: Sie berechnet einen Stundensatz für die eingesetzten sechs bis acht Stunden für Beratung, Bestellung, Abwicklung mit der Krankenkasse sowie das Anpassen und Einschneiden der Perücke. Damit erziele sie immer noch einen sehr guten Umsatz, der den Kundinnen gegenüber trotzdem fair sei. Ein weiterer Tipp: „Ich bestelle äußert selten Perücken auf Lager, die dann im Regal stehen und die ich irgendwann abverkaufen MUSS. Stattdessen bestelle ich fast ausschließlich individuell. So passt das Ergebnis auch am besten zur Kundin. Ich kann trotzdem innerhalb einer Woche alles gewährleisten: Kostenvoranschlag, individuell gelieferte Perücke und Anpassung.“

Theoretisch kann bereits einen Tag nach dem ersten Termin, bei dem die Kundin bis zu drei Perücken ausgewählt hat, der zweite Termin zur Anprobe und die tatsächliche Auswahl erfolgen. Der Lieferant kann fast alle Modelle innerhalb von 24 Stunden liefern.

Foto: Melnaie Fredel

Entscheidender Faktor: die Zeit

Für viele Kundinnen spielt die Zeit eine ganz entscheidende Rolle: Denn schon etwa zehn Tage nach Beginn der Chemotherapie gehen den Betroffenen die Haare aus. Leider brauche die Krankenkasse oft aber bis zu drei Wochen, um den eingereichten Kostenvoranschlag zu bewilligen, so Belinda Velten: „Ich würde mir wünschen, dass hier die Prozesse beschleunigt werden. Denn solange keine Genehmigung vorliegt, darf ich der Kundin die Perücke leider auch nicht aushändigen. Manchmal hat die Kundin dann schon keine Haare mehr und wir müssen mit Tüchern überbrücken.“

Glücklich-machendes Geschäft

Viele, gerade junge Friseure, schrecken diese auf den ersten Blick aufwendigen Prozesse davon ab, in das Zweithaargeschäft einzusteigen, weiß Belinda Velten. Sie gibt zu: „Zweithaar ist mit mehr Bürokratie und zusätzlichem Aufwand abseits des eigentlichen Friseur-Alltags verbunden. Aber es ist ein so tolles Gefühl, mit einer Dienstleistung Menschen in einer Notlage trotzdem glücklich zu machen und ihnen zu helfen. Ich sehe nicht die kranke Patientin, sondern eine Kundin, die ich verschönern kann.“

Und natürlich spielt auch der wirtschaftliche Aspekt eine Rolle für sie – dabei ist jedoch gar nicht nur der einmalige Umsatz an einer Perücke maßgeblich: „In den allermeisten Fällen bleiben die Kundinnen meinem Salon erhalten, wenn ihre eigenen Haare nachwachsen. Sie haben intensives Vertrauen zu mir und dem Salon allgemein aufgebaut. Ich gebe sie dann irgendwann genauso vertrauensvoll an meine Kolleginnen im normalen Salon ab und habe eine sehr treue Stammkundin mehr.“