21.05.2019
Schluss mit freundlich?
Wer jedem Kunden alles möglich machen möchte, bleibt selbst auf der Strecke, ist unser Kolumnist überzeugt:
Einer unserer Salons befindet sich mitten in einem Einkaufszentrum. Neben uns Tchibo, gegenüber Douglas. Und wissen Sie, was ich meinem Team dort vor Kurzem vorgeworfen habe? „Ihr seid zu kundenfreundlich!“
Es mag verrückt klingen, aber ein Verhinderer für ein erfolgreiches Friseur-Business ist, dass viel zu viele Friseure ihre Kunden über alle Maßen wertschätzen und teilweise sogar lieben. Das ist ja an sich wunderbar und nicht verwerflich, aber mein Gefühl sagt mir, dass nur die wenigsten von uns daraus auch Kapital schlagen. Es ist schön, wenn man viele „Fans“ hat und es sogar schafft, diverse Wochen im Voraus ausgebucht zu sein –, doch wenn sich das am Ende nicht bezahlt macht, dann sollte man überlegen, ob man etwas ändern sollte. Und um dies für Sie in meiner heutigen Kolumne einmal „fühlbar“ und nachvollziehbar zu machen, komme ich zurück auf die Situation unseres Salons im Einkaufszentrum.
Diesen Salon in der „Hamburger Meile“ gibt es schon lange. Mein Großvater Max hat im Jahr 1933, keine 400 Meter vom jetzigen EKZ entfernt, seinen Traumsalon eröffnet. Seit 1995 sind wir direkt in exponierter Lage im Einkaufszentrum. Es gibt Mitarbeiter, die arbeiten schon weit über 10, 15 oder 20 Jahre in diesem Salon. Eine unserer Rezeptionistinnen feierte dort bereits ihr 25-jähriges Jubiläum. Es ist der Salon mit den langjährigsten Fans und den meisten Kunden. Doch auch bei uns gibt es Veränderungen. Auch bei uns gibt es Mitarbeiterwechsel. Und um den Jahreswechsel herum gab es einige Ausfälle. Aktuell freuen wir uns zwar auch über neue Kollegen, die uns neu bereichern, aber das Salonteam ist im Mai 2019 in der Summe im Vergleich zum Mai 2018 geschrumpft. Die Mitarbeiteranzahl ist kleiner geworden – die Kundennachfrage nicht.
Die Nachfrage ist höher als die Kapazität. Unsere Mitarbeiter geben absolut ihr Bestes, um diese Situation zu meistern. Es entsteht Druck, und die Leichtigkeit bei der Arbeit geht verloren. Das wiederum macht keinen Spaß und darunter leidet auch die Qualität. Die Mitarbeiter sind mit ihren Kräften am Ende, die Krankheitsrate nimmt zu, und alle blicken nun auf den Chef und erwarten, dass ich eine Lösung präsentiere, die alle wieder ruhiger schlafen lässt und die Leichtigkeit zurückbringt. Und in genau diesem alles entscheidenden Moment ist meine Antwort auch noch ein Vorwurf: „Ihr tragt eine Mitschuld an der Situation. Ihr seid zu kundenfreundlich.“ Sie können sich vorstellen, wie ich anschließend angeschaut wurde.
Natürlich habe ich dann erklärt, wie ich es meine. Und natürlich wünsche ich mir nicht, dass wir ab sofort weniger freundlich zu unseren Kunden sind. Aber selbstbewusster und bestimmter. Ich versuchte an zwei Beispielen begreiflich zu machen, wo wir gerade Fehler produzieren, egal, wie gut gemeint es ist:
Beispiel 1: Der Terminkalender ist voll. Nichts geht mehr. Jetzt kommt eine Kundin in den Salon und fragt, ob sie spontan zum Waschen, Schneiden, Föhnen bleiben kann. Da wir über wirklich herzliche und freundliche Damen an der Rezeption verfügen, erhält die Kundin nicht sofort ein Nein, sondern ein „Lassen Sie mich mal nachschauen“. Dann wird im Terminplan hin- und hergeschoben, Stylisten befragt, und am Ende schafft man es tatsächlich, die Kundin dazwischenzuschieben. Zwar nur für ein Cut & Go, aber die Kundin ist glücklich.
Beispiel 2: Eine Kundin bucht einen Farb-Termin für 30 Minuten, beim Beratungsgespräch kommt jedoch heraus, dass sie sich eine viel aufwendigere Farbdienstleistung wünscht, welche das Dreifache an Zeit in Anspruch nehmen würde. Die Stylistin versucht nun in der kurzen Zeit zumindest einen ähnlichen Effekt wie gewünscht ins Haar zu zaubern.
Beim ersten Hinschauen könnte man sagen: „Mensch Lars, du hast ja wunderbare Mitarbeiter. Das ist doch fantastisch.“ Ja, ich habe tatsächlich wunderbare Mitarbeiter und bewundere jeden Einzelnen von ihnen – aber meine Beispiele zeigen deutlich, dass wir alles andere als fantastisch arbeiten. Was ist passiert? Wir haben bei diesen beiden Beispielen gerade den Wert unserer Dienstleistungen nach unten verschoben. Cut & Go statt „Waschen, Schneiden, Föhnen“. Eine schnelle Farbtechnik statt einer aufwendigen Farbtechnik. In solchen Momenten können wir nicht gewinnen.
Entstehen bei diesem „schnell noch Dazwischennehmen“ Fehler, dann ist verständlicher Ärger mit unseren Kunden vorprogrammiert. Und sollte das Ergebnis der Kundin gefallen – ja glaubt ihr denn ernsthaft, die Kundin bucht beim nächsten Mal nicht gleich Cut & Go? Warum 160 Euro für ein Farbspiel ausgeben, wenn es auch für 60 Euro ganz gut aussieht? Ungewollt haben wir dafür gesorgt, dass unsere Dienstleistungen weniger wert sind, und wir haben ohne böse Absicht dafür gesorgt, dass unsere Kundinnen Preissensibilitäten entwickeln und es so in Zukunft schwieriger sein wird, Preise anzuheben – und damit auch die Chance verringert, zukünftig bessere Löhne zahlen zu können. Kann man so machen, ist aber doof.
Wenn nicht ständig Kunden dazwischengenommen werden, sondern man sich auf weniger Kunden pro Tag konzentriert, diesen jedoch die nötige Aufmerksamkeit schenkt und hochwertigere Dienstleistungen durchführt, dann haben alle was davon. Die Kunden sind glücklich – und wir haben mit weniger Kunden mehr Umsatz generiert.
Deswegen sagte ich zu meinem Team: Lehnt Dienstleistungen, die von uns nicht gewollt sind, kategorisch ab! Lieber gehe ich das Risiko ein, einige Kunden zu verärgern und zu verlieren, weil sie nicht spontan bedient werden können oder weil ich zeitaufwendige Dienstleistungen auf einen zweiten Termin verschieben muss, statt zu versuchen, alles möglich zu machen. Im Bestfall gewinnt die Kundin, aber die Qualität, der Spaß, die Leichtigkeit und auch die Wertschöpfung unserer Handarbeit bleiben auf der Strecke! Das darf uns in der Hamburger Meile nicht passieren – und das sollte in Ihrem Salon auch nicht passieren.
Lars Nicolaisen schreibt neben seinem eigenen Blog "Salongeflüster" auch regelmäßig eine Kolumne in der Printausgabe der TOP HAIR Business. Ob Mitarbeiter, Kunden oder auch das „Große Ganze“ – der Unternehmer und Branchenkenner bezieht gern Stellung. Mehr Nicolaisen? Unser Abo finden Sie hier.