10.08.2017
Haben Sie Bock auf Ihren Beruf?
Lassen Friseure ihre Leidenschaft zum Beruf im Alltag noch spüren? Lars Nicolaisen macht sich in der TOP HAIR-Kolumne Gedanken über die Einstellung seiner Kollegen.
Der deutschen Friseurbranche geht es in der breiten Masse wirklich nicht gut. Das liegt auch an der falschen Einstellung vieler Friseure zu ihrem Beruf.
Es gibt viele Brände, die es zu löschen gilt. Ganz oben ist da natürlich das uns alle beschäftigende Thema „Mitarbeiter“. Mir geht es heute aber gar nicht um die Thematik, dass es immer schwerer wird, neue Mitarbeiter zu bekommen. Lassen Sie uns heute auf die Mitarbeiter schauen, die noch da sind.
Ich denke, wir haben ein Qualitätsproblem. Und um es noch genauer auf einen Nenner zu bringen, so vermute ich, dass wir in Deutschland in der Friseurbranche ein Problem mit der richtigen Einstellung zum Beruf haben. Viele bezeichnen sich zwar als „leidenschaftliche Friseure“ – klingt ja auch immer toll, nach ein wenig „Drama“ und „Berufung“ – doch diese Leidenschaft ist im Alltag oftmals nur ungenügend zu beobachten. Nehmen wir als Beispiel das beliebte Thema „Beratung“: Ich habe diesbezüglich vor einiger Zeit eine Statistik gelesen, die mich hat aufhorchen lassen. Ich bekomme die Zahlen nicht mehr ganz genau zusammen, aber es war in etwa so, dass zwar 90 Prozent der Friseure behaupten, sie könnten „gut“, oder sogar „sehr gut“ beraten; 70 bis 80 Prozent der Endverbraucher jedoch behaupten, sie wurden beim Friseur noch nie gut beraten. Allein dieses Verhältnis zeigt doch schon die ganze Dramatik! Wir Friseure sind darin Künstler, unsere Welt immer ein bisschen so zu malen, wie sie uns gefällt. Aber die wenigsten sind bereit, wirklich an sich selbst zu arbeiten.
Viel Geld für Plattitüden
Ich bin seit 33 Jahren Friseur. Und schon vor 33 Jahren gab es Beratungsseminare. Was man da zum Teil für einen Quatsch hört, ist abenteuerlich. Da wird u.a. trainiert, dass man „W-Fragen“ stellen soll, also öffnende Fragen wie z.B. „Was?“, „Warum?“, „Wie?“. W-Fragen können nie mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden, und so bekomme man mehr Informationen aus dem Kunden heraus. Mag stimmen, doch ist das wirklich wichtig? Wir lernen in diesen Seminaren, auf Augenhöhe zu kommunizieren. Man solle sich bei der Beratung hinsetzen und die Kunden direkt (und nicht über den Spiegel) anschauen. Ja, klingt ganz nett, macht jetzt aber aus einem schlechten Berater auch keinen Weltmeister in Beratung. Man solle Kunden ausreden lassen. Ach was, echt? Und für solche Plattitüden geben Friseure Geld aus, um sich an einem der wenigen freien Sonntage auch noch fortzubilden? Hören Sie auf damit!Ich denke, man kann sich fast jeden Euro für Beratungsseminare sparen. Einzige Ausnahme sind die Seminare zu Typ-Erkennung und Proportionen. Dieses Grundwissen ist elementar wichtig und wertvoll, um später ein richtig guter Friseur zu werden. Alles andere ist die Frage nach der richtigen Einstellung zum Beruf!
Zu 100 Prozent konzentriert
Ich durfte schon mit vielen sehr namenhaften Friseuren zusammenarbeiten: Gerhard Meir, Klaus Peter Ochs, Jürgen Tröndle, Peter Dawson, um nur einige zu nennen. All diese Personen haben den Friseurberuf in Deutschland in den letzten 30 Jahren geprägt. Und wissen Sie, was die alle gemeinsam haben? Deren Beratung besteht bzw. bestand nur aus einem Wort: „Hallo“. Das war’s. Nichts weiter. Ich habe wirklich in all den Jahren und Jahrzehnten nicht einen einzigen Friseur von Bedeutung kennengelernt, der seine Kunden gefragt hat, was man heute machen darf, wie man seine Haare zu Hause pflegt oder wie lange der letzte Haarschnitt her ist. Friseure mit dieser Ausstrahlung haben die Gabe, sich in der Zeit, in der sie im Salon stehen und Kunden bedienen, darauf auch zu 100 Prozent zu konzentrieren. 100 Prozent! Sie sind vollkommen fokussiert auf ihre Arbeit, und das Gehirn rattert mindestens genau so schnell wie die Schere klappert. In dieser Zeit wird alles andere ausgeblendet, die gesammelte Erfahrung fließt in die Arbeit mit ein. All das spüren die Kunden, sie sind begeistert von dieser Intensität und schenken den Friseuren von der ersten Sekunde an absolutes Vertrauen. Diese Energie, diese besondere Atmosphäre haben mich immer begeistert! DAS ist Leidenschaft!
Nun frage ich Sie: Sollten wir nicht viel lieber versuchen, uns an diesen „Helden“ zu orientieren, anstatt 08/15-Tipps wie „Setzen Sie sich bei der Beratung hin“ zu verfolgen? Klar sollten wir das, ist nur erheblich schwieriger und anspruchsvoller, da es viel tiefer in die Persönlichkeit geht! Das hat nämlich nichts mit erlernbarer Rhetorik und Gestik zu tun – sondern in erster Linie mit der richtigen Einstellung zum Beruf. Habe ich wirklich Bock auf das, was ich täglich mache? Bin ich bereit, mich mindestens in den ersten 20 Berufsjahren ständig weiterzuentwickeln und auch später noch offen für fachbezogene Kritik zu sein? Interessiert es mich wirklich (!), wie die Kunden mit meinem Schnitt und meiner Farbe auch noch in vier bis fünf Wochen aussehen? Sollte man diese drei Fragen mit einem ehrlichen Ja! beantworten können, kommt alles andere von allein. Dran bleiben, fokussiert bleiben, sich in den ersten Jahren ständig selbst hinterfragen und von den Besten lernen! Wenn man das beherzigt, kommt der Erfolg von allein und ein „Hallo“ reicht.
Sollte einem das zu stressig sein und würde man lieber gern locker und leicht durchs Berufsleben wandern, dann ist das auch okay. Doch dann wird es nur in den seltensten Fällen dazu führen, eine große Anzahl an begeisterten Fans und Kunden zu gewinnen, egal ob man W-Fragen stellt oder nicht. Man wird ewig im Mittelfeld stehen bleiben, und beruflicher (und damit monetärer) Aufstieg ist nur in einem begrenzten Rahmen möglich. Die Friseurbranche wird erst dann wieder kräftig wachsen, wenn wir uns mit dieser Mittelmäßigkeit nicht mehr zufriedengeben. Lasst uns dabei gern mit dem Thema „Beratung“ anfangen, sowohl im Salonalltag als auch bei den Seminarinhalten. Wir müssen alle besser werden, damit wir draußen wieder ernst genommen werden und unsere Branche den Erfolg hat, den sie verdient.
Lars Nicolaisen schreibt neben seinem eigenen Blog "Salongeflüster" auch regelmäßig eine Kolumne in der Printausgabe der TOP HAIR Business. Ob Mitarbeiter, Kunden oder auch das „Große Ganze“ – der Unternehmer und Branchenkenner bezieht gern Stellung. Mehr Nicolaisen? Unser Abo finden Sie hier.