Die Ausbildungszahlen der Branche sinken steil >< Foto: Melanie Fredel

02.05.2021

Zukunft der Friseur-Ausbildung

Fast ein Fünftel weniger Ausbildungsverträge im Friseurhandwerk in 2020. Wie haben sich die zwei Lockdowns auf die derzeitige Ausbildungssituation in den Salons ausgewirkt? Und was sagen Friseurunternehmer zur Ausbildung 2021?

Die Ausbildungszahlen der Branche zeigen einen immer schnelleren Abwärtstrend: So belegt eine Erhebung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), dass die Zahl der neuen Ausbildungsverträge zum Stichtag 30. September 2020 im Vergleich zum Vorjahr um überdurchschnittliche 18,2 Prozent (Durchschnitt in allen Ausbildungsberufen: minus 11 Prozent) auf 9.483 Neuverträge gesunken ist. Zwar hat der Bund mit dem Programm „Ausbildungsplätze sichern“ (siehe Info-Kasten) eine Förderung für kleine und mittlere Betriebe aufgelegt, die Lehrlinge ausbilden, doch im Gespräch mit TOP HAIR kritisieren die befragten Friseurunternehmer*innen die Fördermöglichkeiten als nicht praxistauglich. Die Betriebe stehen derzeit also nicht nur vor der Herausforderung, ihre derzeitigen Lehrlinge unter Pandemie-Bedingungen adäquat auszubilden und auf die Prüfungen vorzubereiten – es stellt sich zudem die Frage, ob sie im Herbst neue Lehrlinge im Betrieb aufnehmen.

Intensives Training in der „Lockdown-Academy“ im Salon von Denise und Michael Bredtmann in Wuppertal >< Foto: Bredtmann

Azubi-Academy im Lockdown

Während viele Unternehmer*innen im ersten Lockdown verunsichert waren, wie und ob Ausbildung unter Auflagen stattfinden kann, gingen die meisten das Thema im zweiten Lockdown mit viel Energie und deutlich strategischer an. So auch Friseurunternehmerin Denise Bredtmann, die zusammen mit ihrem Mann Michael zwei Salons in Wuppertal führt:

Denise Bredtmann >< Foto: privat
Denise Bredtmann >< Foto: privat

„Nach dem ersten Lockdown hingen unsere Azubis schon etwas hinterher, deshalb haben wir entschieden, dass wir beim zweiten Malab dem ersten Lockdown-Tag intensives Trainingmachen.“ 104 Stunden pro Monat und Lehrling planten die Chefs für das Training an Übungsköpfen im Salon ein. „Wir lieben ja beide Ausbildung“, beschreibt es Denise Bredtmann. „Wir haben eine richtige Academy eingerichtet, mit Meterwand, Flipchart und allem. So konnten wir mit den Lehrlingen wirklich alles aufholen und sind außerdem auch ein Stück weiter zusammengewachsen.

Dennoch: Für 2021 wurde bisher nur eine neue Auszubildende eingestellt. „Wir haben eigentlich einen Ausbildungsstopp“, sagt Michael Bredtmann. „Wir fahren derzeit nur auf Sicht. Es ist ja auch keine Entlastung absehbar. Wenn wir wieder einen Lockdown bekommen, werden die Umsätze wieder runtergehen. Die Ausbildungsprämie könnten wir nur erhalten, wenn wir fünf oder sechs neue Lehrlinge einstellen. Da ist das Risiko einfach zu hoch. Wir brauchen mehr Flexibilität!“

Diese hat sich das Unternehmerpaar kurzfristig über Aushilfen verschafft: „Wir haben drei Beauty-Assistenzen eingestellt, und Denise hat die in mega kurzer Zeit so fit gemacht, dass sie jetzt alle Assistenztätigkeiten eines ersten Lehrjahrs ausführen können. Damit können wir in den nächsten Monaten viel flexibler reagieren. Die Hoffnung und das Ziel ist es, eine jahrelange Zusammenarbeit daraus zu machen und sie sogar in bestimmten Bereichen, zum Beispiel Farbe, auszubilden. Auch wenn Aushilfen natürlich etwas teurer sind als Azubis, aber durch die hohen Ausbildungslöhne ist der Unterschied gar nicht mehr so groß“, berichtet Michael Bredtmann.

Michael Hermes hält weiter an der Ausbildung eigenen Nachwuchses fest (aufgenommen vor der Pandemie) >< Foto: Melanie Fredel
Michael Hermes hält weiter an der Ausbildung eigenen Nachwuchses fest (aufgenommen vor der Pandemie) >< Foto: Melanie Fredel

Berufsschultage kürzen

Intensives Training im zweiten Lockdown war auch in Bad Oeyenhausen bei Hermes Friseure angesagt: „Wir haben mit unseren beiden Lehrlingen in den zehn Wochen täglich intensiv trainiert“, berichtet Friseurunternehmer Michael Hermes. Für die Vorbereitung auf die Zwischenprüfung hatte man sich sogar vom Ordnungsamt die Genehmigung zumTraining mit lebenden Modellen eingeholt.

Michael Hermes >< Foto: Melanie Fredel
Michael Hermes >< Foto: Melanie Fredel

Für 2021 plant auch Hermes Friseure mit Nachwuchs: „Meine Ausbildungsbereitschaft ist ungebrochen. Ich würde sogar noch eine zweite Auszubildende im ersten Lehrjahr aufnehmen. Das ganz große Ziel dabei ist es natürlich, die Zukunft des Betriebs zu sichern. Aber die Schwierigkeiten liegen auf der Hand.“

Fragt man den Inhaber des mehrfach beim Wettbewerb TOP Salon nominierten Salons, mit welchen Mitteln man die Ausbildungsbereitschaft der Branche erhöhen könnte, wäre seine Forderung: „Nur noch ein Berufsschultag pro Woche in allen Lehrjahren, konzentriert auf fachspezifische Inhalte, etwa ohne Religion oder Sport. Das würde wieder sowohl mehr Betriebe als auch mehr junge Leute zur Ausbildung motivieren.“

Prekäre Lage auch ohne Corona

Die Situation der Berufsschulen hat Sylvia Weyrauch im Blick: Die Ausbilderin für Berufsschullehrer*innen der Körperpflege an der Technischen Universität Darmstadt und dem Studienseminar Wiesbaden beobachtet die Entwicklung aus wissenschaftlicher Sicht und stellt fest: „Berufliche Schulen haben auch eine große Verantwortung für die Ausbildung und Bildung von Menschen. Die allgemeine Bildung ist äußerst wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung und demnach genauso wichtig wie die berufliche Bildung! Auch hier sehe ich enormen Handlungsbedarf, zum Beispiel in Bezug auf die Bedeutung und den Wert von Deutsch-, Sozialkunde-, Sport- oder Religionsunterricht.“

Sylvia Weyrauch >< Foto: privat
Sylvia Weyrauch >< Foto: privat

Sie schließt sich der Kritik an staatlichen Förderungen an: „Die ,aktuellen Hilfen im Ausbildungssektor‘ decken sich nicht mit den Erfordernissen der Praxis und bedürfen einer Verbesserung, z. B. durch eine Bezuschussung und analogen Lösungen für Kurzarbeitergeld für Auszubildende. Es ist nicht möglich, Auszubildende in Kurzarbeit zu schicken, wodurch die Friseursalons, die ausbilden, zusätzlich belastet werden.Betriebliche Strukturen, das Image des Berufes und die Gesamtlage in der Ausbildung zeigen, dass die Situationen im Haarhandwerk schon ohne Coronakrise prekär sind.“

(ein ausführliches Interview mit Sylvia Weyrauch und ihrer Einschätzung der aktuellen Herausforderungen für die Ausbildung im Friseurhandwerk lesen Sie hier.)

Solidarbeitrag für Ausbildungsbetriebe

Auch Christoph Höpfer und Christoph Filser, Inhaber der Salons „Höpfer & Höpfer“ sowie „Bei Freunden“ in Kempten kritisieren die Ausbildungsprämie des Bundes: „Diese ist in den Eingangsbedingungen zu eng gefasst und nicht praxisnah. Die Betriebe müssen die Ausbildung alleine und ohne Deckung durch Umsätze schultern.“

Dennoch ist es in Kempten wie schon vor der Pandemie festes Unternehmensziel, immer 21 Lehrlinge in allen drei Lehrjahren zu beschäftigen sowie jedes Jahr mit sieben neuen Lehrlingen zu starten. Die Begründung: Im August ist die Eröffnung eines weiteren Standorts geplant.

Christoph Höpfner >< Foto: privat
Christoph Höpfner >< Foto: privat

„Wir brauchen alle Azubis und planen langfristig mit ihnen“, sagt Inhaber Christoph Höpfer. Die Zusammenarbeit mit der Berufsschule sei während des Lockdowns sehr gut gelaufen: Die Azubis konnten währenddessen mehr Berufsschultage sammeln und nach der Wiedereröffnung mehr Zeit im Salon verbringen. Dennoch sieht der Unternehmer dringend Bedarf, die Ausbildung für Betriebe lohnender zu gestalten: „Es bräuchte eine Umverteilung, einen Transfer der Kosten – Betriebe, die dem Markt ausgebildete Mitarbeiter zur Verfügung stellen, müssten von denen, die dies nicht tun, einen Solidarbeitrag erhalten. Das geht aber nur mit einer Abwicklung über das Kammerwesen, nicht über die Politik.“ Und zudem fordert der Friseurunternehmer: „Wir brauchen, was auch die Gastro gekriegt hat: eine Senkung der Umsatzsteuer.“

Info: Förderprogramm vom Bund

Das Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ wurde Ende März erweitert und verlängert. Es enthält u. a.: Ausbildungsprämie plus, Lockdown-II-Sonderprämie für Kleinstbetriebe, Zuschuss zur Verhinderung von Kurzarbeit, Übernahmeprämie. Aktualisierte Anträge und Formulare standen zum Redaktionsschluss noch nicht bereit.

Informationen unter: www.arbeitsagentur.de/unternehmen/finanziell/bundesprogramm-ausbildungsplaetze-sichern