Foto: Lars Nicolaisen

22.04.2021

Wieder das eigene Süppchen

Im Lockdown war mehr Miteinander, findet unser Kolumnist Lars Nicolaisen. Schade, denn gemeinsam wäre viel mehr möglich.

Zum Jahresbeginn, mitten in der zweiten Lockdown-Phase, regte sich Widerstand in der Friseurbranche. Es wurden Argumente gesucht, warum es ein Fehler ist, die Friseursalons in einer globalen Pandemie zu schließen. Was sich für einen Nicht-Friseur ein wenig irritierend anhören mag, hatte jedoch bei genauer Betrachtung auch seine Berechtigung. Schauen wir jetzt mit ein klein wenig Abstand auf diese ersten Wochen des Kalenderjahres 2021, dann mag man zu dem Schluss kommen, dass die Friseurbranche mit einer starken Stimme gesprochen hat, politischen Einfluss nahm und somit als erste Branche am 1. März wieder öffnen durfte. Die Gastronomen, Einzelhändler und Betreiber von Fitness-Studios werden mit Respekt und Neid diese Entwicklung verfolgt haben. Zu Recht?

Nun, so ganz falsch ist es nicht. Der Druck in der Branche war (und ist) existenziell. Alle haben dasselbe Ziel vor Augen gehabt: schnell wieder Friseursalons öffnen! Das laute Trommeln aus unterschiedlichen Richtungen wird natürlich dabei geholfen haben, um die politisch verantwortlichen Personen in Berlin zu ermutigen, die dann getroffene Entscheidung zu fällen. Doch erlaube ich mir heute auch einmal einen kritischen Blick, der am Ende eventuell auch einigen von Ihnen wehtun könnte.

Auch wenn das Ziel für fast alle Branchenteilnehmer dasselbe war, so war der Weg dorthin doch recht unterschiedlich. Da gab es Gruppierungen, die auf gut frisierte Fussballprofis schauten und eine Neiddebatte lostraten. Da gab es weinende Kolleginnen und Kollegen, die nicht wussten, wie sie diesen Lockdown finanziell überleben können. Da gab es Initiativen, die versuchten mit logischen Argumenten aufzuzeigen, dass ein Besuch in einem Friseur salon helfen kann, die Ansteckungen zu reduzieren, eben weil nur in Friseursalons die strengen Hygienevorschriften von Ordnungsämtern kontrolliert werden können. Es gab einen Lieferanten, der selbstständige Friseur*innen auf vielseitige Weise dabei unterstützte, die Salonschließungen gerichtlich zu stoppen und Öffnungen wieder zu ermöglichen. Ausdrücklich ALLEN Menschen, die auf die Probleme für Friseure öffentlich hingewiesen haben, möchte ich herzlich danken. Es ist sehr gut möglich, dass alle ihren Teil dazu beigetragen haben, dass Friseursalons am 1. März wieder öffnen durften.

Zur ganzen Wahrheit gehört jedoch auch, dass es naiv wäre anzunehmen, dass unser Leid, unsere Argumente und unsere politischen Vertreter*innen im Vergleich mit anderen Branchen „besser“ waren. Die politische Führung in Bund und Ländern war in einer Zwangslage. Auf der einen Seite die Erkenntnis, dass eine dritte Corona-Infektions-Welle auf Deutschland zurollt und niemand sagen kann, wie schlimm es wird. Auf der anderen Seite eine Bevölkerung, die lockdownmüde wird und es in einem Wahljahr politisch wichtig ist, auch positive Signale auszusenden. Es war klar, dass irgendetwas Positives präsentiert werden musste. Aber was?
   Die ca. 100.000 Gastronomien öffnen? Wäre sicherlich symbolisch am wirkungsvollsten. Da man dort aber isst und trinkt und somit oft keine Maske aufsetzen kann, keine gute Idee. Die ca. 340.000 Einzelhändler öffnen? Das würde auf einen Schlag zu deutlich mehr Mobilität in den Städten führen. Auch keine gute Idee. Und dann sind da ja die gut 75.000 Friseursalons. Auch eine gesellschaftlich wichtige Branche mit Symbolkraft und mit dem Vorteil, dass dort die Maskenpflicht gewährleistet und kontrolliert werden kann. Klingt doch nach einer guten Kompromisslösung, oder?

Ich habe oft im Clubhouse und auf anderen sozialen Netzen gehört und gelesen, dass die Friseurbranche in der zweiten Lockdown- Phase wieder ganz eng zusammengerückt ist. Die Egos wurden im Schrank gelassen und es wurde gemeinsam für die Öffnungen gekämpft. Diese Einteilung kann ich leider nur bedingt teilen. Ja, es gab wieder mehr spürbaren Zusammenhalt unter Kolleginnen und Kollegen. Aber das eigene Ego haben viele gemeinsam wieder mit der Schere und dem Kamm aus dem Schrank geholt. Kaum sind die Salons geöffnet, werden die gemeinsamen Bemühungen weniger. Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Friseurdienstleistungen? Moderne Ausbildungssysteme? Einführung einer einheitlichen Kassenbonpflicht? Wo ist denn da die starke Stimme einer ganzen Branche? Haben wir nicht gerade gelernt, was alles möglich ist?

Wenn wir wirklich unsere Branche modernisieren und verändern wollen, dann ist es zwingend notwendig, dass wir eine politisch starke Stimme in Berlin haben. Egal, was sich strukturell ändern soll – die Politik wird niemals bei Ihnen, bei mir oder in der TOP HAIR-Redaktion anrufen, sondern immer beim politischen Arm der Branche. Dies ist bei uns der Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks. Je stärker der ist, desto größer die Chancen auf Veränderungen! Doch wie stark ist unsere politische Vertretung? Selbst der Zentralverband kann gar nicht genau sagen, wie viele Mitglieder er hat. Da einige Innungen ihr eigenes Süppchen kochen, ist der Blick auf konkrete Zahlen schwierig. Die Vermutung liegt nah, dass viel zu wenige Friseure einen Innungsbeitrag leisten.

Wer jetzt weiterhin auf Innungen und Zentralverband schimpft, ohne sich dort selbst aktiv zu beteiligen, der macht es sich viel zu einfach. Deutlich sinnvoller wäre es, wenn wir als Branche unseren politischen Vertretern den Rücken stärken und wieder massiv in Innungen eintreten! Das erfordert jedoch, dass sich Zentralverband und Innungen geschlossener und moderner aufstellen. Ich z. B. bin kein Innungsmitglied, u. a. auch deshalb, weil die Hamburger Innung nicht mehr dem Zentralverband angehört. Es mag dafür historisch berechtigte Gründe geben, aber diese müssen überwunden werden. Ich fordere unsere politischen Vertreter auf, sich zu sammeln und unterstützenswerte Konzepte für die Zukunft zu entwickeln. Und ich fordere uns alle auf, anschließend diese Entwicklung aktiv zu unterstützen – auch und besonders mit Mitgliedsbeiträgen! Nur Likes bei Instagram bringen uns nicht weiter.

Lars Nicolaisen Unternehmer und Branchenkenner. Bezieht gern Stellung – auch in seinem Blog: nicolaisen-hamburg.de/category/blog/