14.03.2017

Reinhold Wilds letzte Reise

Die Friseurbranche trauert um den Gründer der Wild Beauty AG (Paul Mitchell), Reinhold Wild, der am 10. März im Alter von 73 Jahren verstarb. Ein Nachruf von Chefredakteurin Rebecca Kandler.

Allein diese Outfits! Laut, bunt und gerne von Versace. Dazu noch eine schräge Sonnenbrille, auch im Winter. Nein, ein klassischer Anzugträger war Reinhold Wild nie. Oder wenn doch, dann nur für kurze Zeit. Immerhin war er ja studierter Rechtsanwalt. Seine Zulassung erhielt er 1971, zwei  Jahre später hatte er bereits genug davon und wechselte als Managing Director zu Goldwell, das damals noch Unternehmensgründer Hans Erich Dotter gehörte. Reinhold Wild, der „diplomierte Paradiesvogel“, wie er sich selbst gern nannte, hatte seine Branche gefunden. Und Hans Erich Dotter wurde zur prägenden Figur für ihn: „Das hätte ich mir bei Herrn Dotter nie erlauben dürfen“, maßregelte er seine Mitarbeiter bisweilen noch Jahrzehnte später. Und selbst in den Anekdoten, die Reinhold Wild zum Besten gab, nahm er auf den Goldwell-Gründer gern Bezug: „Herr Dotter hat meine größte Schwäche einmal so beschrieben: ‚Wenn Herr Wild mal richtig auf den Tisch hauen und Scheiße sagen soll, riecht es immer noch nach Chanel!’“.

Ein Anruf aus den USA

Selbstinszenierung und Selbststilisierung lagen Reinhold Wild im Blut. Friseuriger als jeder Friseur, mit Kreativität, Fantasie und Unternehmergeist, brachte er es bei Goldwell bis zum Vorstandsvorsitzenden. 1994 verließ er das Unternehmen. Denn zwischenzeitlich hatte Kao in Darmstadt das Ruder übernommen. Der japanische Großkonzern und der unangepasste Geschäftsführer - das konnte nicht gutgehen. Wild hielt eine flammende Abschiedsrede und ging. Kurz danach erreichte ihn der Anruf von John Paul DeJoria, Mitbegründer von Paul Mitchell Systems. Reinhold Wild flog mit seiner Frau Kristina nach New York. Ein Hubschrauber brachte sie direkt auf DeJorias Dachterrasse über dem Central-Park. Das war nach Wilds Geschmack. Und auch sonst war man sich rasch einig.

Wild Beauty AG 1995 gegründet

1995 gründete Wild die Wild Beauty AG in Seeheim-Jugenheim und wurde Exklusiv-Distributeur von Paul Mitchell in Deutschland und Österreich. Später kamen die Türkei, Russland, Tschechien und weitere osteuropäische Länder dazu. Mit drei, vier Mitarbeitern hatte Reinhold Wild angefangen, zum 20-jährigen Jubiläum hatte Wild Beauty rund 100 Mitarbeiter und Vertreter, über 4.000 Kunden allein in Deutschland und Österreich, mehr als 30 Millionen Umsatz pro Jahr und alljährlich gut zweistellige Zuwachsraten. Mittlerweile ergänzen die italienische Ökomarke Kemon und die Make-up-Produkte von Stage Color das Portfolio. Friseurexklusiv zu sein, war dabei für ihn immer „alternativlos“.

Neugierig auf Menschen und ferne Länder

Schon mit 19 Jahren musste Sohn Noah, der heute mit seiner Schwester Mira das Unternehmen führt, ins Geschäft einsteigen, weil drei Schlaganfälle Reinhold Wild 2004 außer Gefecht setzten. Er kämpfte sich zurück, auch ins Berufsleben, aber er setzte die Prioritäten neu: Er nahm sich Zeit für Reisen, fürs  Fotografieren und soziales Engagement. Auch da durfte alles gern eine Nummer größer sein: die Kaiser-Pinguine am Südpol und die Berggorillas in Ruanda  – das waren Reiseziele , die ihn reizten. Seine prachtvollen Fotos  zeugen davon.

Reinhold Wild: Heimatverbunden und engagiert

Viele weiße Flecken gab es auf seiner Landkarte nicht mehr. Und doch blieb er auch in seiner Gemeinde Seeheim-Jugenheim ungewöhnlich stark verwurzelt, engagierte sich in der Kirchengemeinde und besonders gern für das örtliche Schwimmbad. „Unsere Jungs“ – und damit meinte er vor allem seine männlichen Mitarbeiter – „werden dort gecastet.“ Wenn er bei Friseurmessen mit großer Entourage beim TOP HAIR Brunch auflief, waren dann auch schon mal gut gebaute Kerle mit nacktem Oberkörper dabei. „Alle aus unserem Schwimmbad“, kokettierte er augenzwinkernd. Reinhold Wild konnte viele „Sowohl – Als auchs“ so selbstverständlich in sich vereinigen wie kein Zweiter: sein Engagement für Umwelt und Naturschutz und sein Faible für schnelle, schicke Autos, seine Leidenschaft fürs Reisen und seine Präsenz in der Provinz, seine Lust am schillernden Leben und sein gelebtes Christentum. „Genieße dein Glück und teile es mit anderen“, nannte er in einem Interview sein Lebensmotto. Kann es  ein schöneres geben? Reinhold Wild wird uns fehlen. Wir fühlen mit seiner Familie.