24.01.2016

Gehören Tierversuche der Vergangenheit an?

Kosmetische Produkte, deren Inhaltsstoffe in Tierversuchen getestet wurden, dürfen nicht in die EU eingeführt bzw. in den Verkehr gebracht werden.

Dies regelt seit 11. März 2013 die neue EU-Kosmetikverordnung. Gehören nun Tierversuche vollkommen der Vergangenheit an?

TOP HAIR sprach mit dem Chemiker Dr. Adolf Klenk von der Dr.-Wolff-Gruppe (u. a. Alcina) in Bielefeld, was die Verordnung bedeutet und welche Alternativen es zu Tierversuchen gibt.   

TOP HAIR: Wie hat sich Ihr Unternehmen auf die neue Verordnung vorbereitet?

Dr. Adolf Klenk: Die Verordnung wurde lange vorher angekündigt. Neu ist jetzt, dass sie zeitgleich in allen EU-Ländern in Kraft getreten ist und damit die unterschiedlichen Rechtszustände in den Ländern aufgehoben werden. Als Unternehmen haben wir uns schon seit rund 15 Jahren inhaltlich darauf vorbereitet und vorausschauend, z. B. in der Auswahl der Rohstoffe, gearbeitet. Die Fertigprodukte prüfen wir seit jeher im eigenen Testsalon (hier arbeiten u.a. Friseure und Kosmetiker) und in Testinstituten – tierversuchsfrei.

In Ländern außerhalb der EU sind Tierversuche noch erlaubt?

Tierversuche sind historisch bedingt. Innerhalb der EU macht heute keine Firma mehr Tierversuche. Wollen Sie aber z.B. ein Produkt in China auf den Markt bringen, schreiben die gesetzlichen Bestimmungen des Landes Tierversuche zwingend vor.   

Keine Tierversuche in der Kosmetik. Gilt das auch für Stoffe aus der Pharmazie?

Die Sicherheit des Verbrauchers steht über allem. Und so unterliegt jeder chemische Stoff dem EU-Chemikaliengesetz, das seit 2007 durch REACH (Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe) geregelt wird. Chemische Komponenten müssen eingehend getestet werden, und das kann letztendlich auch im Tierversuch geschehen. Die toxikologische Sicherheit jedes Produktes muss gewährleistet sein. Und dazu braucht es wiederum Tests. Ohne fundierte Daten gibt es keinen Markt für das Produkt. Fakt ist aber auch, dass Rohstoff irgendwann einmal am Tier getestet wurde. Tierversuchsfreie Kosmetik gibt es also de facto nicht. Entsprechende Firmenlisten tierversuchsfreier Kosmetik führen den Verbraucher in die Irre. Mit ein Grund, warum wir z.B. nicht auf diesen Listen stehen.

Es gibt bereits zigtausend Inhaltsstoffe. Warum sind die nicht ausreichend?

Schauen Sie z.B. auf die Alterspyramide. Unsere Gesellschaft altert zusehends. Hautalterung ist ein großes Thema in der Forschung. Da steckt noch Potenzial drin, neue Stoffe und ihre Wirkungsweise zu entdecken. Manchmal hat man auch Glück und kombiniert bereits etablierte Stoffe zu etwas Neuem. So kam z. B. der bereits bekannte Wirkstoff Koffein beim Thema Haarwuchs zum Durchbruch. Das hat uns Forscher natürlich sehr gefreut. Wenn es Koffein noch nicht gegeben hätte, wäre eine komplette pharmakologische Untersuchung notwendig gewesen.  

Wie sieht es mit Naturstoffen aus?

Naturstoffe sollten mit denselben Maßstäben bewertet werden wie industrielle Stoffe. Häufig werden Naturstoffe im Risikopotenzial unterschätzt, z.B. Teebaumöl. Außerdem kommen die stärksten Gifte bekanntlich aus der Natur. Beim Einsatz von Naturstoffen müssen Nutzen und vermeintliches Risiko abgewogen werden. Hier steht die Kosmetik vergleichsweise gut da. Die Unverträglichkeitsraten sind sehr niedrig.

Gibt es alternative Testmethoden zum Tierversuch?

Die gibt es. Stoffe werden z. B. in-vitro (im Reagenzglas) oder an künstlichen Hautgeweben getestet. Für den sogenannten Augenreizungs-Test können heutzutage auch Augen von geschlachteten Rindern im BCOP-in-vitro-Test (zählt nicht als Tierversuch) verwendet werden. Um als Alternative zum Tierversuch zugelassen zu werden, muss die Methode auch international geprüft und anerkannt sein. Und das ist ein langer bürokratischer und politischer Prozess. Nicht zuletzt kann manche Fragestellung auch an freiwilligen Probanden geklärt werden.

Erkennt der Verbraucher tierversuchsfreie Kosmetik im Verkauf?

Das ist kaum möglich und auch an der Verpackung nicht ablesbar. Am besten ist es auf Markenhersteller und den Fachhandel zurückzugreifen und keine unbekannte Kosmetik im Internet zu bestellen.

Wird die Industrie durch die EU-Kosmetikverordnung so eingeschränkt, dass die Entwicklung innovativer Produkte zurückgehen könnte?

Der Aufwand für Betriebe, innovative Produkte herzustellen, wird mit Sicherheit größer. Unternehmen im Ausland, wie Japan oder China, haben es da leichter.

Dr. Adolf Klenk arbeitet seit 23 Jahren im Bielefelder Unternehmen Dr. Wolff-Gruppe und leitet seit 2007 die Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Mit der Entdeckung der Wirkung von Koffein auf den Haarwuchs gelang ihm nicht nur ein wissenschaftlicher Glücksgriff. Für die Unternehmensmarke Alpecin ist er mittlerweile bekanntes TV-Werbegesicht.     

Autor: Stephanie Hladik

>>> Die EU-Kosmetikverordnung

Informationen zum Thema gibt es auch beim Industrieverband Waschmittel und Körperpflege e.V. (IKW)

Die EU-Kosmetikverordnung

Tierversuchsgegner atmen auf, gibt es doch seit 11. März 2013 eine neue europaweite Kosmetikverordnung, die nun endgültig den Verkauf von Kosmetikprodukten regelt, deren Inhaltsstoffe noch an Tieren getestet wurden. Künftig dürfen solche Produkte innerhalb der EU nicht mehr „in den Verkehr“ gebracht werden.
Bereits seit 2004 sind in der EU Tierversuche für kosmetische Fertigprodukte und seit März 2009 für kosmetische Bestandteile verboten. Bis 2013 galt noch eine Übergangsfrist für Tests besonders heikler Inhaltsstoffe (Sicherheitsaspekt!), die trotz Tierversuch in der EU vermarktet werden durften. Damit ist nun Schluss. Die kosmetische Industrie muss künftig noch intensiver nach alternativen Testmethoden forschen.
Bereits seit 1989 verzichtet die deutsche Kosmetikindustrie freiwillig auf Tierversuche für kosmetische Fertigprodukte. Im internationalen Ausland ist dies noch lange nicht selbstverständlich. So müssen Firmen, die ihre Marken z. B. in China verkaufen wollen, ihre Produkte vorher in Tierversuchen getestet haben. Dem widersetzte sich jüngst das haarkosmetische US-Unternehmen Paul Mitchell, als es sein Engagement im chinesischen Markt abgeblasen hat. Es habe noch nie an Tieren getestet und werde es auch nicht tun, hieß es. Für seinen Rückzug wurde Paul Mitchell von der Tierrechtsorganisation PETA ausgezeichnet.

Mehr Informationen gibt es auch hier:

www.aerzte-gegen-tierversuche.de

www.peta.de

www.ikw.org/schoenheitspflege/themen/fragen-antworten/tierversuche-und-alternativmethoden/