Die Kollektion des Designers Vladimir Karaleev trägt auch die Handschrift des Tattoo-Künstlers Büchi. ::: Foto: Sebastian Professional

30.08.2016

Maxime Büchi: Erfolg durch Körperkunst

Der Schweizer Tattoo-Künstler Maxime Büchi hat eine Limited Edition für die Haarkosmetikmarke Sebastian Professional designt und diese im Berliner Mode Salon auf der Fashion Week präsentiert. TOP HAIR sprach mit Büchi über seine Körperkunst und die Anziehungskraft von Tattoos auf Friseure.

Berlin – Schmelztiegel für Kunst, Kultur und Kreativität. Seit neun Jahren auch Standort für Fashion und Beauty: Die Berlin Fashion Week 2016. Inspiriert von den Designer-Looks des Berliner Mode Salons im Kronprinzenpalais zeigten die Top-Stylisten der Kreativ-Teams von Wella Professionals und Sebastian Professional, welche Strahlkraft die Frisuren auf die Kollektionen der jungen Designer aus der zweiten Reihe haben.

Cool und sexy

Keine Bange, sie stahlen sich nicht die Show. Während die Hairstyles zur Kollektion von Marina Hoermanseder auf feminine Eleganz setzten, waren die Frisuren zur Kollektion des deutsch-französischen Designer-Duos Augustin Teboul cool, sexy und fast schon psychedelisch. Was geht noch? Tattoos sind auf dem Vormarsch und gestalten den Gesamtlook. Doch diesmal nicht allein auf der Haut oder Fashion, sondern als Verpackung von Stylingprodukten. Der international renommierte Tattoo-Artist Maxime Büchi (37) hat eine Limited Edition für Sebastian Professional designt und diese erstmals im Berliner Mode Salon präsentiert. Designer wie Vladimir Karaleev und William Fan ließen sich ebenso von den Tattoo-Visuals inspirieren, sodass einzigartige Kollektionsteile und aufsehenerregende Body-Art die Fashion- und Beauty-Herzen auf dem Laufsteg in Berlin begeisterten. Dass Tattoos längst salonfähig sind, weiß mittlerweile jedes Kind. Büchi auch. Er ist vom Scheitel bis zur Sohle tätowiert. Seine kahlgeschorene Schädeldecke krönen grafische Muster, auf seinem Körper stechen verspielte Symbole ins Auge – hauptsächlich schwarz gestochen.

Körperkunst zieht Friseure an

Während die Hairstylisten backstage zur Höchstform auflaufen, sitzt er entspannt im Garten des Kronprinzenpalais und nimmt sich Zeit für ein Interview bei herrlichem Sommerwetter. Er plaudert über Eitelkeit, Modekultur, seine Familie und neue Fashion-Projekte. Büchi antwortet sehr überlegt. Jede seiner Aussagen klingt wie ein persönliches Statement. Kooperationen mit starken Marken kennt er schon. So trägt das Ziffernblatt-Design der Luxus-Uhrenmarke „Hublot“ seine Handschrift. Für Alexander McQueen hat er auch gearbeitet. Es klingt paradox, aber der Mann mit der Glatze hat nun die Haarkunst entdeckt: Exklusiv für Sebastian Professional entwickelte Büchi das stylische Verpackungsdesign für sechs Pflege- und Stylingprodukte, die ab September in Sebastian-Salons erhältlich sind. Das Urban Design Team von Sebastian Professional setzte die Produkte für die neuesten Haartrends ein und stylte bei den Modedesignern. TOP HAIR sprach mit dem Schweizer Künstler über seine Faszination für Tattoos, die Kooperation mit Sebastian Professional und über die Anziehungskraft der Körperkunst bei Friseuren.

TOP HAIR: Wann hast du mit dem Tätowieren angefangen?

Maxime Büchi: Als ich Anfang 20 war, fragte mich mein damaliger Tätowierer und mittlerweile Freund Filip Leu, ob ich eine Ausbildung bei ihm machen möchte. Ich war an der Kunsthochschule für Typografie und Design eingeschrieben, zuvor hatte ich Psychologie in Lausanne studiert. Danach arbeitete ich für ein paar Jahre als Art-Direktor in Zürich, Paris und London. Mit 27 zog ich zurück nach Zürich und begann bei Filip eine zweijährige Ausbildung als Tätowierer. Ich war Ende 20, als ich zum ersten Mal jemanden tätowiert habe. Wenig später eröffnete ich mein erstes Tattoo-Studio in London. Mein Interesse für Tattoos begann aber früher. Ich bin in den 80ern groß geworden, in einer Zeit, wo das Visuelle immer mehr Einfluss auf unser Leben nahm. Das hat mich sehr fasziniert.

Was hat dich angetrieben?

Ich wollte Kontrolle über meinen Körper und mein Aussehen haben und selbst bestimmen, wie ich gesehen werden möchte. Der Wunsch keimte bereits sehr früh in mir auf. Als Kind wuchs ich neugierig und interessiert auf, suchte aber auch Orientierung. Die 80er entwickelten sich rasant und wurden die tonangebende Modekultur. Ich kam in Berührung mit der afro-amerikanischen Subkultur, fing an zu skaten, entdeckte Hip-Hop und Graffiti. Das gab mir ein Bewusstsein für Mode und Aussehen. Pop, Heavy Metall, Punk etc. erzeugten das Bedürfnis in allen von uns, individuell und begehrenswert zu sein. Werte wie Aussehen fanden in meiner Familie nicht statt. Aber sie machten mich neugierig, weil sie mir eine Richtung gaben. Ich wollte verstehen, wie ich wirke. Später als Teenager, und in meiner Jugend noch viel mehr. Durch meine Liebe zur Kunst habe ich sehr viel Energie in Zeichnungen gesteckt; ich konnte nicht aufhören zu zeichnen. Es gibt mir so viel Positives und bleibt bei mir, und das hat mich sehr beeindruckt. Als ich anfing zu studieren, schloss sich der Kreis und meine Welt öffnete sich.

Wie kam es zur Kooperation?

Sebastian Professional kam über persönliche Kontakte auf mich zu. Sie kannten mich und mein Universum über das „Sang Bleu“-Magazin, das ich herausgebe. Sie fanden meine Tattoos sehr künstlerisch und wollten diese für einen neuen Look der Produkte nutzen. Was folgte, waren etliche persönliche Gespräche.

Was war die Herausforderung, die Limited Edition zu entwickeln?

Haarpflege zu verstehen! – Als Glatzenträger kann ich ja nur theoretisch mitreden.

Viele Friseure lieben Tattoos. Woher rührt diese Anziehungskraft?

Tattoos, Beauty, Pflege, Fashion, Schmuck und plastische Chirurgie sind alles Mittel und Wege, wie sich Individuen ausdrücken oder ihr Erscheinungsbild beeinflussen wollen. Kulturell gesehen gibt es eine Verbindung zwischen Haaren und Tattoos über die (Neo-)Rockabilly-Kultur, die besonders im Jahr 2000 aktiv wurde. Historisch gesehen haben sie keine Verbindung zum Rock ‘n‘ Roll, aber erlebten ein Revival in den 90ern und 2000ern. Im Rockabilly sehe ich die Wurzel für Haare und Styling. Die Hipster-Barbiere sind eine direkte Konsequenz dieser Kultur. Rockabilly-Anhänger lassen sich tätowieren, weil sie eine Beziehung zur „American Blue-Collar“-Kultur (Anm. der Redaktion: Kulturbegriff für Arbeiterbewegung) haben und diese idealisieren. Barber-Shops gewannen immer an mehr an Bedeutung und damit nahm das Interesse für Tattoos zu. Tattoos und Barbering sind zwei Stilrichtungen, die voneinander profitieren und den Hype ausgelöst haben.

Warum möchtest du Kontrolle über deinen Körper und dein Aussehen haben?

Weil ich als Kind mit dem Gefühl aufgewachsen bin, falsch bewertet bzw. gesehen zu werden. Mit dem Tätowieren triffst du eine eigene Entscheidung darüber, wie du wahrgenommen werden möchtest und hast die Kontrolle darüber, welche Idee Menschen von dir haben. Das kann sowohl positiv als auch negativ ausfallen, aber du bist Herr deiner Entscheidung. Und diese Ausdrucksform ist zeit- und grenzenlos.

Wie beschreibst du deinen Tattoo-Stil?

Ich nenne ihn traditionell, aber nicht im Sinn der Tattoo-Tradition. Traditionell deshalb, weil ich mich von der Kunstgeschichte inspirieren lasse.

Was war dein schmerzhaftes Tattoo? Das auf deinem Kopf?

Die Antwort darauf ist zu komplex. Schmerz ist nicht einfach nur so ein Umstand. Darin steckt so Vieles: Psychologisches, körperliches,  innerlich sowie äußerlich. Das ist zu individuell und verschieden.

Wann trafst du deine Entscheidung, den künstlerischen Weg einzuschlagen?

Ich traf die Entscheidung während meines Studiums und ließ alle Dogmen hinter mir. Dann traf ich auf Gleichgesinnte wie Filip, dem ich vertraute und der mich tätowierte.

Was war deine Vision fürs Design der Stylingprodukte und ihrer Verpackung?

Ich hatte keine besondere Vision, weil ich mich stets als Katalysator sehe. Vor der Entwicklung stand ein langes persönliches Briefing. Ich legte einfach los und wir fanden eine gemeinsame Sprache. Beim Kreieren des Images für jedes Produkt  habe ich mich von der Evolution leiten lassen. Es sollte mystisch und grafisch sein. Die Marke Sebastian ist avantgardistisch. Die hohe Qualität der Produkte sprach mich an. Die Inhaltsstoffe sind wertvoll …. ich möchte jetzt nicht zu literarisch werden, aber die Motive auf den Verpackungen sollen das widerspiegeln. Ich habe einfach die Kern-Idee über die Veränderung von Haarstrukturen durch Produkte aufgegriffen. Ich wollte etwas kreieren, was die Marke visualisiert und meine Kunst widerspiegelt.

Deine künstlerische Arbeit beeinflusst Marken und ihr Design. Was verstehst du unter Brands und was macht sie erfolgreich?

Eine Marke sollte innovativ und opportunistisch sein. Sie sollte geschickt und hilfreich die Lücke füllen, Menschen neue Möglichkeiten zu eröffnen und ihnen Visionen aufzuzeigen. Und das ist nicht immer ganz einfach.

Wer inspiriert dich in deiner Arbeit?

Ich hatte viele Menschen, die mich inspiriert haben. Einen allein da herauszustellen, wäre nicht fair und entspricht mir nicht. Von meinen Eltern über meine Großmutter….da gibt es so viele.

Du hast Prominente, wie Hip-Hopper Kayne West tätowiert. Welchen VIP möchtest du noch stechen?

Ich tätowiere nur Individuen, keine Promis in dem Sinne.

Was bedeutet dir Eitelkeit?

Eitelkeit brauche ich nicht, um mich auszudrücken. Wäre ich eitel, würde mich das eher blockieren. Alles im Leben hat viel mehr mit Schönheit zu tun. Schönheit ist wie eine Waffe, ist Erfüllung, Verführung, Kraft und Einfluss – hat sogar etwas Politisches und ist endlos.  

Welchen Herausforderungen, seien sie künstlerisch oder privat, möchtest du dich noch stellen?

Ich werde wieder Vater und bekomme Zwillinge in den nächsten Tagen – (Anm. der Redaktion: Zum Zeitpunkt des Interviews wurden sie erwartet) – die Vorfreude darauf nimmt mich komplett ein. Meine Familie ist meine Leidenschaft, sie wird meine Energie in der nächsten Zeit einnehmen. Aber ich habe auch neue Projekte. Ende des Jahres bringe ich unter meinem Label „Sang Bleu“ Mode heraus. Ich gehe so nach und nach die Projekte an, die ich schon lange initiiert habe, wenn mir die Babys Zeit dafür lassen.

 

Text und Interview: Emel Tahta-Lehmann

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