Motiviert und immer gut gelaunt: das Team im Salon V.I.U.S. in Mannheim mit Initiatorin Gesine Sopha (rechts stehend) >< Foto: Uwe Kappes

15.06.2021

Inklusion im Salon: Vielfalt als Stärke

Inklusion ist das Stichwort, unter dem seit knapp zwei Jahren das Team im Salon V.I.U.S. in Mannheim arbeitet.

Auf den ersten Blick ist im Salon „V.I.U.S. – der andere Friseur im Viertel“ in der Neckarstadt West in Mannheim eigentlich gar nicht so anders. Doch schaut man näher hin, stellt man fest: Geöffnet ist der Salon „nur“ an zwei Tagen. Zudem gibt es zwei Preisschienen: eine für V.I.U.S.-„Unterstützer“ und eine für Menschen mit Sozialpass, Tafelausweis oder Studentenbescheinigung. Was an dem Salon sonst noch „anders“ ist, erzählt uns Gesine Sopha, Friseurin, Arbeitserzieherin und Salonleitung: „Unser Salon gehört zur ‚Arbeitstherapeutischen Werkstätte Mannheim‘, kurz ATW, und ist ein Inklusions-Salon.“ Dort arbeiten Menschen mit psychischer Erkrankung oder Behinderung.

„Meine Kolleginnen und Kollegen machen selbstständig alle üblichen Zureicharbeiten, die in einem Friseursalon anfallen: Waschen, Föhnen, Farbe, Lockentechniken, Wickeln und Rezeption“, sagt Gesine Sopha. Unterstützung erhalten sie von der Salonleiterin selbst oder einem Friseurmeister, der während der Öffnungstage natürlich im Salon anwesend ist. Dass die Mitarbeiter*innen einen besonderen Hintergrund haben, wird aber im Alltag mit den Kund*innen nicht betont oder in den Vordergrund gestellt: „Wir sagen das jetzt nicht extra dazu oder schreiben das irgendwo groß drauf. Darum geht es ja, das bedeutet Inklusion“, betont die Salonleiterin. Die gelernte Friseurin hatte sich nach Abschluss ihrer Ausbildung vor fast 20 Jahren direkt für eine Umschulung zur Arbeitserzieherin entschieden. Seit 2015 arbeitet sie in der „Arbeitstherapeutischen Werkstätte Mannheim“.

Arbeit für Menschen mit Handicap

Die Einrichtung für Menschen mit psychischer Erkrankung oder Behinderung begleitet diese bei der Wiedereingliederung in die Berufstätigkeit, entweder für den ersten Arbeitsmarkt oder in einem Bereich der Einrichtung selbst. „Hier können unsere Klient*innen in einem geschützten Raum und mit fester Tagesstruktur lernen und arbeiten, beispielsweise in einer Fahrradwerkstatt, im Bereich Garten- und Grundstückspf lege oder in Produktion und Handwerk“, berichtet Gesine Sopha.

Immer wieder kam aus der Gruppe ihrer Klient*innen die Idee, doch auch einen Friseursalon einzuführen, wo sie doch auch ausgebildete Friseurin sei. Lange zögerte Gesine Sopha, bis eine Kollegin sie schließlich überredete, ein Konzept zu schreiben und bei der ATW einzureichen. Dann ging es plötzlich sehr schnell: „Ich dachte eigentlich an ein kleines Salönchen auf dem Werkstattgelände. Aber schon bei der Vorstellung des Konzeptes hat mein Chef mit mir nach Immobilien geschaut“, erinnert sie sich. Und gleich das erste avisierte Objekt ist es auch geworden, in für das Konzept perfekter, wenn auch eben anderer Lage: Der Standort liegt in einem sozialen Brennpunkt mit eher schwacher Struktur und multikulturellen Einwohner*innen.

Unterstützung für sozial Schwache

Das ist bewusst gewählt: „Wir wollen mit unserem Salon sowohl unseren Klient*innen als auch sozial schwachen Menschen ein Angebot machen“, betont Gesine Sopha: „Zum einen einen Arbeitsbereich für unsere Leute schaffen, zum anderen sozial schwächeren Menschen ermöglichen, sich Friseurdienstleistungen leisten zu können. Wir haben deshalb bei den Preisen ein Zweiersystem geschaffen: einmal „V.I.U.S.-Unterstützer“-Preise (die üblichen Preise des Viertels), und dann eine Preisschiene für sozial bedürftige Menschen mit Nachweis (Studentenausweis, Tafelausweis, Sozialpass), gleiche Dienstleistung, gleiche Qualität, aber zum deutlich kleineren Preis.“ Das kommt an bei der Kundschaft, berichtet sie: „Die Leute gehen hier glücklich und strahlend raus. Ein gepflegtes Äußeres ist eng mit einem guten Selbstvertrauen und Wohlbefinden verbunden. Gerade die sozial Schwächeren wissen das ganz stark zu schätzen.“ Und auch für ihr Team ist das eine herausragende Leistung, wie sie stolz ergänzt: „Für meine Klient*innen ist das ein echtes Wagnis: raus aus dem geschützten, vertrauten Raum der Werkstatt, hinein in ein völliges neues Feld mit ungewohnten Tätigkeiten und vor allem auch im Umgang mit Kund*innen aus der Außenwelt. Sie sind in dem vergangenen Jahr seit der Eröffnung alle über sich hinausgewachsen!“

Ein Jahr Vorbereitung und Training

Nachdem feststand, dass die ATW das Projekt unterstützt und realisiert, ging es für Gesine Sopha an die Vorbereitung, die etwa ein Jahr dauerte: Der Salon war bereits mit einer Grundausstattung versehen, allerdings musste auch fachlich einiges vorbereitet werden. „Ich hatte das Privileg, drei Monate an der Meininghaus Akademie mein Wissen aus der Ausbildung auf den allerneusten Stand zu bringen“, berichtet Gesine Sopha.

Zudem musste ein Team gefunden werden. „Ich habe immer mal Klient*innen zum Hospitieren eingeladen und viele ermutigende Gespräche geführt. Nach etwa einem Jahr stand das heutige Team dann fest.“ Dann hieß es: intensiv trainieren! Denn die Fingerfertigkeiten im Friseurhandwerk erfordern nun mal sehr viel Übung und Geschick: „Gerade am Anfang waren für Friseure alltägliche Tätigkeiten ein Buch mit sieben Siegeln: Wie führt man einen Kamm, wie wickelt man eine Locke? Wir haben das von der Pike auf gelernt und alles rauf und runter trainiert, an Übungsköpfen, an uns selbst. Jeder hat seine Stärken und Schwächen, aber jedem wird hier ermöglicht, das zu tun, womit er sich sicher fühlt“, sagt Gesine Sopha.

Auch heute noch, etwas mehr als ein Jahr nach der Eröffnung, macht Training den Großteil der Zeit bei V.I.U.S. aus. An zwei Tagen ist der Salon für Kund*innen geöffnet, an den anderen Tagen wird geübt.

Inzwischen ein eingespieltes Team: Gesine Sopha, Mustafa Bahmen (sitzend), Esra Özen, Ljiljana Petrovic, Heike Handwerker, Isabel Moser, Dominik Knochel >< Foto: Uwe Kappes

Meister (m/w/d) gesucht!

In den ersten Monaten stand dem Team von V.I.U.S. mit Onur Ayaksiz ein Friseurmeister zur Seite, der an den Öffnungstagen im Salon verantwortlich war. „Leider hat sich dies geändert, da Onur noch zwei weitere Salons betreibt und wir unsere Zeiten etwas umstrukturieren wollen“, sagt Gesine Sopha. Deshalb ist man auf der Suche nach einem anderen Friseurmeister in 50 Prozent Teilzeit: „Es erwartet den- oder diejenige ein extrem motiviertes und gut gelauntes Team“, wirbt die Salonleiterin für die Stelle. „Ohne Meister kann es nicht weitergehen.“ Das wäre extrem schade, denn das Team habe sich jetzt richtig gefunden und eingespielt: „Fast wie eine Familie!“

Persönlich ist es für Gesine Sopha ein Traum, der sich erfüllt: „Natürlich war ich damals vor knapp 20 Jahren sehr traurig, dass sich die Friseurausbildung nicht so gestaltet hatte, wie ich es mir vorgestellt habe. Mit diesem Projekt schließt sich für mich schon so etwas wie ein Kreis.“

„Das beflügelt!“

Empathie und Kreativität eint die beiden Berufe von Gesine Sopha. „Ich bin jetzt hier außerhalb der Werkstatt auf meiner kleinen Salon-Insel. Wenn ich sehe, wie sehr mein Team über sich hinauswächst, macht mich das sehr stolz. Auch wenn man sich mal durch etwas hindurchbeißen muss, was man nicht so gut kann – das beflügelt!“

Bei der Wahl des Namens für Gesine Sophas’ Salon-Insel tat man sich übrigens zuerst lange schwer, bis es dann ganz einfach auf der Hand lag: V.I.U.S. steht als Abkürzung für „Vielfalt ist unsere Stärke“, der Slogan der ATW Mannheim. „Und wie stark diese Vielfalt macht, erleben wir wirklich täglich hier im Salon“, sagt Gesine Sopha.