05.01.2017

Jessyca Hartsoe ist Zweitplatzierte

Die Friseurin mit amerikanischen Wurzeln hat sich in der Männer-Runde mit dem zweiten Platz bei den German Barber Awards ihr Standing erarbeitet und freut sich über ihren Erfolg.

Seit Jessyca Hartsoe (40) den zweiten Platz bei den German Barber Awards gemacht hat, steht ihr Telefon nicht mehr still. Sie kann sich vor Medienanfragen nicht mehr retten, ihr Terminkalender ist voll, die Kunden stehen Schlange und in den sozi­alen Netzwerken wird sie gefeiert wie ein Star. Die Friseurin mit amerikanischen Wurzeln liebt den Rummel, nicht unbedingt um ihre Person, aber um das, was sie kann. Das spornt sie an, und das möchte sie perfektionieren.

TOP HAIR:
Frau Hartsoe, wie fühlt es sich an, zur besten Barbierin Deutschlands unter so vielen Männern gekürt worden zu sein?

Jessyca Hartsoe:
Großartig! Ich fühle mich bestätigt. Alle haben mich herzlich aufgenommen. Ich hatte bereits ein gutes Standing, was durch die Auszeichnung sicherlich noch stärker geworden ist. Es fühlt sich bombastisch an.

Und wie bekommt als Frau einen Fuß in die Barber-Szene rein?
Indem man gut ist, die Herrenwelt versteht, Talent und Leidenschaft mitbringt und die Kultur lebt. Dann hat man auch in einer Männerdomäne große Chancen.

Wie schaffen Sie das, Millimeterarbeit zu leisten, ohne wahnsinnig zu werden?
Mit Handwerk, Konzentration und Leidenschaft! Perfektion ist das A und O auch im Herrenfach. Ich mag Ergebnisse, die sauber und gleichmäßig sind. Das macht den Reiz auch auf der Bühne aus.

Wie keimte der Wunsch auf, sich einem Wettbewerb in einer Männerdomäne zu stellen?
Ich war erst Zuschauerin bei den Awards im letzten Jahr und verschaffte mir einen Eindruck von den Wettkämpfen. Dann spürte ich den Drang, selbst mitmachen zu wollen. Ich wollte es mir selbst beweisen. So wuchs ich nach und nach in die Battle-Situation rein.

Sie sind Friseurin und führen seit 2011 einen eigenen Salon. Haben Sie Ihr „Fach“ abgelegt?
Ich bin im Herzen Friseurin mit Leidenschaft und werde meinen Kundinnen treu bleiben. Ich repräsentiere aber auch die Barber, und beides zu vereinen ist für mich perfekt.

Wie erleben Sie die Barber-Szene?
Sie ist sehr familiär und kreativ. Wir halten zusammen und der Konkurrenzdruck ist nicht so hoch. Du legst eine gute Performance hin und wirst nicht ständig ver­glichen.

Sind Sie auf den Boom aufgesprungen oder wie haben Sie die Barbierskunst für sich entdeckt?
Das Thema packte mich vor dem Boom. Vor etwa zweieinhalb Jahren kam der Stein ins Rollen. Mein Herz schlägt für die 50er-Jahre, für die Musik, die Haare und die Mode. Als ich auf der Suche nach einem geilen alten Friseurstuhl dieser Zeit war, lernte ich die 101 Barbers kennen. Und dann spürte ich, hier möchte ich sein und mich weiter verwirklichen.

Wie hat Sie die Auszeichnung persönlich und beruflich verändert?
Ich habe nun den Beweis, dass ich gut bin. Ich bin gewachsen und zeige durch die Auszeichnung, dass auch Frauen diesen Beruf ausüben können. Beruflich kann ich mich vor Anfragen nicht retten und bin daher gerade dabei, diese Spezialisierung mit einem neuen, größeren Salon auszubauen.

Verraten Sie uns Ihre Pläne?
Ich habe direkt gegenüber von meinem jetzigen Salon ein altes Haus gekauft, das wir im Vintage-Stil aufbereiten. Dort entsteht mein neues Traumdomizil – ein 164 Quadratmeter großer Salon, in dem ich noch mehr Männerkunden bedienen kann, was ich zurzeit überwiegend nach Feierabend mache. 2017 wollen wir dort durchstarten.

Sie arbeiten ziemlich viel. Was bedeutet Ihnen Arbeit?
Alles – ich bin ein Workaholic! Ich mag keinen Stillstand und muss immer arbeiten.

Haben Sie keine Sorge, dass es irgendwann nicht mehr geht, und Sie zu schnell Ihre Kräfte aufbrauchen?
Das ist mir bewusst, aber ich bekomme es nicht hin. Es ist in mir drin. Um ehrlich zu sein, stand ich 2008 kurz vor dem Tod.

Wollen Sie uns Ihre Geschichte erzählen?
Ich habe damit kein Problem und gehe offen damit um, dass ich eine Gehirnblutung­ hatte und mit dem Aneurysma lebe. Wie gesagt, ich kam ins Krankenhaus und war ausgenockt. Bereits nach kurzer Zeit vermisste ich meine Scheren und meinen Koffer, den meine Mutter mir trotz ärztlicher Verbote ins Krankenhaus brachte. Ich wollte am Leben teilhaben und konnte nicht die Füße hochlegen. Aus dieser Erfahrung habe ich unter anderem die Kraft für die Eröffnung meines eigenen Salons gewonnen.

Was ist das Wichtigste in Ihrem Leben?
Meine Familie, der Zusammenhalt, und dass privat alles okay ist. Luxus und Geld brauche ich nicht.

Was möchten Sie in Ihrem Leben ändern?
Nichts. Da wo ich heute stehe, ist es genauso, wie ich es mir erhofft und erträumt habe.

Sind Sie mit dem Wunsch auf die Welt gekommen, Friseurin zu werden?
So in etwa. Ich wusste bereits in der Schule, dass ich Friseurin werden möchte. Meine Oma, bei der ich aufgewachsen bin, war total dagegen. Sie wollte unbedingt, dass ich zur Post gehe und einen sicheren Job mache (lacht herzhaft).

Haben Sie diesen Weg eingeschlagen?
Klar, ich wollte meiner Oma nicht wider­sprechen und habe es versucht, aber festgestellt, dass es nichts für mich ist. Ich glaube, heute ist sie ganz froh, dass ich ihr jede Woche die Haare machen kann.

Was lieben Sie an der Friseurbranche?
Ich liebe die Menschen und das kreative Umfeld. Ich kann so sein, wie ich bin. Ein Alternativ-Szenario kann ich mir überhaupt nicht vorstellen.

Was würden Sie sich gönnen, wenn Sie mehr Zeit hätten?
Ich würde mehr Freizeit mit meinem Mann und meinem Kind verbringen, wandern, spazieren gehen, und meine Familie in Amerika besuchen, mehr als nur ein paar Tage.

Was erwarten Sie von der Zukunft?
Erwarten ist kein gutes Wort. Es soll fließend weitergehen mit neuen Ideen und Leuten. Ich möchte nicht stehen bleiben.

 

Was macht Sie erfolgreich?
Mich macht erfolgreich, dass ich so geblieben bin, wie ich bin. Trotz des Erfolges bin ich auf dem Boden geblieben, und das entspricht meiner Lebenseinstellung. Und wenn du echt bist, verzeihen dir die Menschen auch kleine Fehler.

Wie geht es weiter für Sie – haben Sie schon einen neuen Wettkampf im Visier?
Ja, ich möchte mich international messen. Meine Leidenschaft auf der Bühne auszuüben, gibt mir viel. Viel Adrenalin. Mehr wird nicht verraten.

Text und Interview: Emel Tahta-Lehmann