Was für ein Jahr! Kolumne von Lars Nicolaisen

15. Dezember 2025
Lars Nicolaisen, Porträtbild
Lars Nicolaisen, Foto: @Carlosanthonyo

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Ich kann’s kaum glauben, dass ich jetzt wirklich vor meiner Tastatur sitze und meine Kolumne für die Dezember-Ausgabe schreibe. Was war 2025 bitte für ein Jahr? „Herausfordernd“ wäre maßlos untertrieben.

Um all die politischen Wirrungen wenigstens kurz zu streifen: Russland bombardiert weiterhin die Ukraine. Über 80 % des Gazastreifens liegen in Trümmern. Donald Trump verwandelt die einst so stolze US-Demokratie in atemberaubender Geschwindigkeit in einen Autokratenstaat – selbst Viktor Orbán dürfte staunen.

In Deutschland verliert sich die Politik in kulturellen Grabenkämpfen wie einer Richterwahl, verkauft minimale Veränderungen als „große Reformen“, enttäuscht damit eine wachsende Zahl an Bürger*innen und stärkt so eine gesichert rechtsextreme AfD, an der wir wohl bald auch in Regierungsverantwortung nicht mehr vorbeikommen. Gruselig.

Anscheinend hat keine der verantwortlichen Politiker*innen das Buch „Wie Demokratien sterben“ von Steven Levitsky und Daniel Ziblatt gelesen. Ich bin maximal irritiert. Es ist, als würde man zusehen, wie etwas zerbricht, das man immer für unzerstörbar hielt.

Nicolaisen: Lebenserfahrung – hilfreich und hinderlich zugleich

Es sind genau diese Zeiten, in denen wir leben – und in denen wir unsere Unternehmen durch zunehmend unruhige Gewässer manövrieren müssen. Dabei verändern sich nicht nur Gesellschaften und Generationen. Auch wir selbst tun es. Ich merke: Mit Ende 50 habe ich nicht mehr die Kraft und Leichtigkeit wie mit Ende 30. Die Jüngeren haben hier klare (Wettbewerbs-) Vorteile. Dafür verfügen wir Älteren über Lebenserfahrung – was hilfreich und hinderlich zugleich sein kann.

Mein emotional berufliches Downgrade in diesem Jahr war die Auseinandersetzung um ein Arbeitszeugnis. Eine Mitarbeiterin, von der wir uns wegen zu schwacher Nachfrage trennten, empfand ihr Zeugnis als nicht wertschätzend genug. Stattdessen schrieb sie ein eigenes Zeugnis – und erwartete, dass wir es 1:1 übernehmen. Der letzte Absatz lautete:

„Ihr Ausscheiden bedauern wir sehr. Mit Frau X. verlieren wir eine herausragende Fachkraft, deren Einsatz, Loyalität und Menschlichkeit unser Unternehmen nachhaltig bereichert haben. Wir danken ihr für die stets exzellente Zusammenarbeit und wünschen ihr …“

„Nachhaltig bereichert“ – geht’s noch? Ich thematisiere das deswegen in dieser Kolumne, weil es aus meiner Sicht so viel über unsere Zeit erzählt. Anscheinend wünscht man sich heute ein Zeugnis voller Superlative. Vielleicht sieht sie sich sogar wirklich so. Doch fragt man sich dann nie, warum man als vermeintliche „Superfrau“ die geringste Kundennachfrage im Team hatte? Selbstreflexion? Mangelware.

Wäre ich Arbeitgeber und läse solch ein mit KI-Superlativen verfasstes Zeugnis, würde ich mich fragen, warum sich das vorherige Unternehmen von dieser angeblich perfekten Person getrennt hat. Da würden bei mir sofort alle Alarmglocken läuten. Insofern war unser ursprüngliches Zeugnis zwar nüchterner, aber wäre für eine niveauvolle Neueinstellung vermutlich hilfreicher.

Auf die eigenen Stärken besinnen

Mein emotionaler Höhepunkt des Jahres war dagegen ein Gespräch mit einem langjährigen Mitarbeiter. Er fragte mich eine einzige, ganz banale Frage: „Wieso fokussieren wir uns eigentlich nicht viel mehr auf unsere Stärken – auf das, was uns wirklich ausmacht?“ Ja, wieso eigentlich nicht? Die Welt dreht sich immer schneller. Es vergeht kein Monat mehr, in dem unsere Industriepartner nicht neue Produkte, Farbnuancen, Techniken oder Spezialangebote präsentieren – stets mit der Botschaft: „Da musst du mitmachen, sonst bist du raus“. Noch hektischer geht’s auf Social Media zu: Jeden Tag posten Friseure ihre „Erfolgsstorys“, Coaches versprechen das „unfassbar garantierte Erfolgssystem“, und man bekommt das Gefühl: Alle anderen sind wahnsinnig erfolgreich – nur man selbst nicht?

Das alles sehen übrigens auch Mitarbeitende. Und sie fragen den Chef oder die Chefin: „Warum sind wir nicht so cool? Warum bieten wir nicht Produkt XY an oder Service XYZ?“ Also probiert man Dinge aus, erweitert das Angebot, stellt sich breiter auf. Doch je mehr man sich anpasst, desto mehr verliert man die eigene Kontur. Was einen einst besonders machte, wird immer unsichtbarer – und man selbst dadurch austauschbarer. Statt sich an anderen hochzuziehen, wurde man unbemerkt hinuntergezogen.

Was ist euch wirklich wichtig?

Das ist jetzt der Moment, an dem ich Euch zum Jahreswechsel einen Gedanken mitgeben möchte: Werdet Euch bewusst was Euch stark gemacht hat. Warum habt Ihr damals den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt? Was wolltet Ihr Euch und der Welt beweisen? Konzentriert Euch auf Eure Basis und Eure Stärke. Trotzt den hektischen Zeiten mit innerlichen Ruhe. Lasst Euch von der schnellen Welt nicht verrückt machen.

Fragt Euch, wie man das was Euch wichtig ist, modern und zeitgemäß vermarkten kann. Verschließt natürlich bloß nicht Eure Augen vor Trends und gesellschaftlichen Entwicklungen – aber anstatt sich dem anzupassen überlegt, wie Ihr diese Entwicklungen so begleiten könnt, dass sie sich Euch anpassen. Wem das gelingt, kann sich als eine herausragende Fachkraft bezeichnen, deren Einsatz, Loyalität und Menschlichkeit jedes Unternehmen nachhaltig bereichert 😉

Gedanken an Wolf Davids

Liebe Top Hair Freunde, zum Jahresende ist es mir ein ganz besonders Bedürfnis, noch einmal an Wolf Davids zu erinnern. Wolf war über sehr viele Jahre die Stimme dieser Kolumne – klug, humorvoll und stets mit einem ganz feinen Blick auf unsere Branche. Ihm verdanke ich, dass ich diese, „seine“ Kolumne übernehmen und neu interpretieren durfte. Ich denke wirklich jedes Mal an ihn, wenn ich mich an die Tastatur für einen neuen Beitrag setze.

Im Mai diesen Jahres ist Wolf verstorben. Er fehlt. Meine Gedanken sind bei seiner Frau Gaby – mit dem Wunsch, dass sie spürt, wie lebendig seine Spuren in unserer Branche und in unseren Herzen geblieben sind.

Ich wünsche Euch und Euren Lieben einen erfolgreichen Jahresendspurt, eine schöne Weihnachtszeit, erholsame Tage und dann einen mutigen Start ins neue Jahr. Mit herzlichen Grüßen aus Hamburg
Lars Nicolaisen

Lars Nicolaisen: Ich merke: Mit Ende 50 habe ich nicht mehr die Kraft und Leichtigkeit wie mit Ende 30. Die Jüngeren haben hier klare (Wettbewerbs-) Vorteile. Dafür verfügen wir Älteren über Lebenserfahrung – was hilfreich und hinderlich zugleich sein kann.

LARS NICOLAISEN
Unternehmer und Branchenkenner aus Hamburg. Bezieht
gern Stellung, z. B. in seinem Podcast nunmaldeutlich.de

Er bietet auch persönliche
Coachings und Beratung an:
nunmalpersoenlich.de
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Inhaltsübersicht

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