05.03.2020

„10% Männer dominieren 90% Frauen“

Friseurin Gabriella Christ nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn sie auf Facebook über Frauen in der Branche redet.

Die 58-Jährige ist gut unterwegs im Business: als Friseurin, Make-up Artistin, Coach, Referentin, Stylistin und Heilpraktikerin für Psychotherapie. Und sie stößt sich an vielem, was falsch läuft in ihren Augen. Das bringt sie in ihren Facebook-Posts deutlich zum Ausdruck. Etwa das männliche Übergewicht in den Führungs positionen auf der Bühne, in der Geschäftsführung renommierter Salons, in Industrie und Verbänden. Christ versucht seit Jahren zu entschlüsseln, warum 90 Prozent Frauen von zehn Prozent Männern dominiert werden. Ihre Beobachtung: Frauen scheitern immer wieder am Spagat zwischen Beruf, Familie und Freunden. „Wenn Männer ein interessantes Seminarangebot sehen, sagen sie sich: Das brauche ich und buchen es. Frauen dagegen wägen erst ab, ob sie die Familie einfach alleine lassen können“, so Christs Erfahrungen.

„Ich würde mir wünschen, dass sich auch Männer über ihre Vorgehensweise Gedanken machen und entsprechend reagieren, Kolleginnen und Partnerinnen die gleichen Chancen einräumen, auch mal zurückstecken.“ Eine weitere Einschätzung der gebürtigen Kölnerin: „In den hochwertigen Seminaren zu Buchführung und Kalkulation sitzen meist Männer. Frauen, häufig Inhaberinnen kleiner Salons, können sich die Fortbildungen schlichtweg nicht leisten.“ Auch da gehöre korrigiert.

„Es fehlt eine breite Frauenbewegung“

Die Ungleichheit der Geschlechter zeigt sich für Gabriella Christ in allen Bereichen der Branche. Sie beginnt schon im Salonalltag: „Männer erhalten schon mal 200 Euro mehr Gehalt als ihre Kolleginnen. Der neue Mitarbeiter bekommt sofort alle neuen Kunden, die Friseurin muss darum kämpfen. Seminare für Männer werden eher genehmigt als für Frauen“, ist ihre klare Meinung. Christ könnte die Liste der unterschiedlichen Geschlechtergewichtungen beliebig fortsetzen. „Natürlich stehen Frauen auch auf der ‚großen Bühne‘, allerdings meist als Assistentin, als Mitarbeiterin, als Franchise-Nehmerin eines vom Mann entwickelten Konzepts“, sagt sie.

Frauen seien nur extrem selten auf der Bühne „der große Zampano,“ schreibt Christ ketzerisch in ihrem Facebook-Auftritt. Ähnlich sehe es bei Verbänden oder Innungen aus. „Es fehlt eine breite Frauenbewegung.“ Christ sieht sich dabei keineswegs als Speerspitze des Feminismus, als Emanze. Ihr geht es vor allem um ein besseres Gleichgewicht in der Branche. Sie plädiert dafür, aufeinander zuzugehen. „Jeder hat seine Stärken, tut euch zusammen“, heißt ihr Credo. Nur so ließen sich Lösungen finden für die drängendste Zukunftsaufgabe im Friseurhandwerk: den Fachkräftemangel. Die Stärkung weiblicher Positionen verbessere das Image des Friseurhandwerks – gerade, weil so viele Frauen als Friseurinnen arbeiten. „Ein großer Schritt zum höchsten Wohl aller in der Beautybranche wäre es, die Sprache des anderen Geschlechts zu verstehen, zu übersetzen und Toleranz zu üben, über das Anders­-Sein, Anders­-Denken und Anders-Handeln.“

Nackte Zahlen

 
  • Am 30. Juni 2019 registrierte der ZDH 80.784 Salons in Deutschland.
  • Das statistische Bundesamt zählte im Oktober 2017 237.612 tätige Friseure.
  • Von 140.960 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Friseurgewerbe waren zum 31. März 2019 122.689 Frauen.
  • Rund 90 Prozent der mehr als 230.000 Mitarbeiter im Friseurhandwerk sind weiblich.
  • Geschätzt mehr als 70 Prozent der Salons werden von Frauen geleitet
  • Von 253 Obermeistern im Zentralverband stellen die Frauen 134, also über 50 Prozent
 

 

Text: Elke Reichenbach