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22.12.2020

Verrücktes 2020

Ein verrücktes Jahr geht zu Ende. Natürlich war Corona das alles bestimmende Thema – doch daneben hatte 2020 tatsächlich auch noch andere Dinge zu bieten. Ein Rückblick

Über allem steht Corona

Was für ein Aufatmen im Mai nach sechs Wochen Lockdown! Der Friseur war plötzlich wichtig, erlebte eine ganz andere Wertschätzung! Was klagten die Menschen ihr Leid: über fiese Matten, verunglückte Schneide- und Färbeversuche daheim, graue Schläfen und Zentimeter dicke Ansatzbalken. Mit dem Re-Start am 4. Mai wurden die Salons überrannt. Verlängerte Öffnungszeiten, Schichtbetriebe, Einkassieren von Ruhetagen: Geschuldet war das den strengen Hygiene-Regeln, die während der Schließung erarbeitet wurden, und dem Wunsch der Menschen, so schnell wie möglich wieder straßentauglich auszusehen. Vergessen war die Forderung einiger Friseure noch vor dem ersten Lockdown, die Salons endlich schließen dürfen. Während die einen ihren eigenen Hygiene-Katalog auf den Weg brachten, wurden andere im Lockdown zum Spargelstecher, schnürten Pakete für die Heimfärbung ihrer Kunden inklusive Auslieferung oder fungierten den Salon Pop-up-Store-mäßig zu Tafel und Suppenküche für Bedürftige um. Aber auch Einzelschicksale bewegten uns: So etwa das von Friseurunternehmer Manfred Hohmann, der schwer an Corona erkrankt war und wochenlang ums Überleben kämpfte. Jeder einzelne Friseur, aber auch Industrie und ZV sorgten etwa mit ihrer Kampagne #friseuregegencorona für positive Aufmerksamkeit, geht es doch in vielen Salons klinischer als in Arztpraxen zu. Die schwarzen Schafe gibt es auch, und ja, es wird zu wenig kontrolliert, um dem Wildwuchs Einhalt zu gebieten. Dennoch kann die Branche stolz auf sich sein: Dass die Mehrheit sich an alle Regeln hält, sich die Kunden sicher fühlen beim Friseur, ist dieser Mehrheit zu verdanken, die das Schließen der Salons im Lockdown light im November verhindert hat.
Leider entwickelten sich die Infiziertenzahlen rasant nach oben, so dass dann Mitte Dezember doch noch der harte Lockdown kam: Einzelhandel, Schulen, Kitas und auch die Friseure sind zu. Vom 16. Dezember bis zum 10. Januar 2021. Am 5. Januar berät die Politik darüber, ob es Lockerungen gibt oder die Maßnahmen verlängert werden müssen.

Und was war sonst noch los?

Zu Beginn des Jahres glaubten wir noch, dass die zum 1. Januar eingeführte Kassenbon- Pflicht DAS Thema 2020 werden würde. Auch, dass der gesetzliche Mindestlohn mit dem Jahr 2020 auf 9,35 Euro gestiegen ist, ist heute kaum mehr jemandem eine Notiz wert. Recht geräuschlos verliefen auch die Anhebung der Kleinunternehmer-Grenze von 17.500 Euro auf 22.000 Euro und die Einführung der Meisterprämie in Baden-Württemberg sowie die zumindest sprachliche Aufwertung des Berufes: Der Meister darf sich jetzt auch Bachelor Professional nennen. Schon recht rasch nachdem uns die Pandemie erreicht hatte, verkündete der Terra-Verlag in Konstanz, dass er seine Arbeit einstellen wird. Damit verlor die Branche die beiden Zeitschriften Clips und Friseurwelt und der ZV sein Verbandsorgan.
Aber es gab auch gute Nachrichten: So erhielt der ehemalige ZV-Hauptgeschäftsführer Rainer Röhr für sein Wirken das Bundesverdienstkreuz. Dieter Bonk konnte das Familienunternehmern Klinck aus der Insolvenz führen und wurde zum 1. März zum alleinigen Geschäftsführer ernannt. Einen Preis gab es für den Friseur und Calligraphen-Erfinder Frank Brormann: Er erhielt für sein Schneidewerkzeug den German Innovation Award.
Für Verwirrung sorgten in diesem Jahr auch wieder die Neuregelungen zum Kassengesetz. Eigentlich müssten seit dem 1. Januar elektronische Kassen über eine sogenannte TSE (technische Sicherheits-Einrichtung) verfügen. Doch es fehlte anfangs an der entsprechenden Zulassung der Finanzämter. Eine Gnadenfrist wurde bis Ende September eingeräumt, die die Länder dann aber aufgrund der Pandemie gekippt hatten. Das wiederum will das Bundesfinanzministerium nicht anerkennen.
Für einen kleinen Skandal zu Beginn des Jahres sorgte der FDP-Politiker Thomas L. Kemmerich, Geschäftsführer der Masson Friseure: Er sicherte sich 2020 den zweifelhaften Rekord als Ministerpräsident von Thüringen mit der kürzesten Amtszeit: Einen Tag nach seiner Wahl – die er mit den Stimmen der AfD-Abgeordneten gewann, und dafür auch von seiner eigenen Partei heftige Kritik erntete – trat er zurück.

Industrie: Namen und Nachrichten

Das Personal-Karussell drehte sich auch 2020 eifrig. So übernahm Frauke Wessel den Posten als Vertriebsdirektorin der Kao Salon Division vom in den Ruhestand verabschiedeten Jürgen Fuhrich. Jens Wilde sagte der Estel Europe GmbH Adieu und machte für Odette Reiche als Geschäftsführerin Platz. In Solingen wurde eine neue Doppelspitze bei UST (United Salon Technologies) installiert: Christian Nowak und Peter Honc führen die Geschäfte. In neue Hände wurde auch das Geschick von FPE gelegt: Ulrich Spohn zog sich endgültig zurück und übergab an Helmut Lenzen. Die Glätteisen-Könige ghd bekamen mit Jens Ciliax einen neuen Managing Director und Davines mit Tom Connell einen neuen Art Director. Angelo Seminara, der zuvor den Posten innehatte, wurde als neuer Goldwell-Botschafter präsentiert. Und wieder einmal änderten sich die Eigentumsverhältnisse bei Wella: Coty verkaufte 60 Prozent von Wella an den Finanzinvestor KKR. Auch personell gab es Veränderungen. Mit der Transaktion in die Wella Company löste Annie Young-Scrivner Sylvie Moreau als CEO ab. Wieder da ist Onno van Steijn (ehemals Aveda): Er übernahm als DACH-Manager den Posten von Tobias Staehle bei Revlon. Staehle hatte von Wella zu Goldwell und 2019 zu Revlon gewechselt. Für Mai 2021 hat Davines Veränderungen angekündigt: Paolo Braguzzi tritt als CEO ab, ihm folgt Anthony Molet. Im Januar 2020 wurde Ralf Billharz (einst bei Wella) Geschäftsführer beim Zweithaaranbieter Ellen Wille. Kein Jahr später steigt der erfahrene Manager darüber hinaus als Investor beim Software-Anbieter Shore ein. Auch bei L’Oréal gab es 2020 Änderungen: Maria del Castillo Hørup ist seit 1. November neue Geschäftsleiterin von L‘Oréal Professionnel, Christoph Krauel übernahm zum 1. Oktober die Geschäftsleitung von Redken. Außerdem fasste der Konzern seine Aktivitäten in Deutschland und Österreich in einem sogenannten L’Oréal HUB Austria Germany zusammen. Und eine Trennung gab es natürlich auch in diesem Jahr: L’Oréal stellte in Deutschland den Vertrieb der Marken Matrix und Biolage ein.

Sie werden uns fehlen!

Ein Pionier der Branche hatte uns gleich zu Beginn des Jahres verlassen: Der Franzose Jacques Dessangestarb mit 94 Jahren. Viel zu jung, um schon von der großen Bühne abzutreten, war Laurent Decreton, der 2019 noch die große Show auf der TOP HAIR gab. Er starb überraschend und wurde nur 57 Jahre alt. Sein Name ist gleichgesetzt mit Salons im hohen Norden: Wolf Dieter Klinck. Das Familienoberhaupt der gleichnamigen Klinck-Salons wurde 88 Jahre alt. Geschockt hatte uns die Todesnachricht von Franz-Josef Küvelerim April. Küveler war viele Jahre Art-Director des ZV und prägte die Frisurenmode mit. Die Intercoiffure mussten Abschied von Senator Peter Arens nehmen, die High Society trauerte um Star-Figaro Gerhard Meir, und auch der großePeter Dawson(Sassoon) trat die letzte Reise an. Mit seinem Vermächtnis, „Herrn Zopfs Friseurmuseum“ in Neu-Ulm, wird uns Heinz Zopf in Erinnerung bleiben. Niemals vergessen werden wir auch unseren Freund und internationalen Botschafter des Friseurhandwerks Günter Amann. Er starb ganz unerwartet mit 79 Jahren. 76 Jahre alt wurde Udo Walz, der bekannteste Friseur Deutschlands, der Ende November den Folgen seiner Diabetes-Erkrankung erlag. Kurz vor Weihnachten erreichte uns dann die nächste traurige Nachricht: Winfried Löwelstarb nach langer, schwerer Krankheit mit 82 Jahren. Wir werden sie alle vermissen!

Gewinner 2020: Digitale Formate

Wenn es neben Masken- und Desinfektionsherstellern in diesem Jahr überhaupt einen Gewinner gegeben hat, dann ist es die Digitalisierung. Bargeldloses Zahlen, Homeoffice, Zoom- und Teamkonferenzen, digitales Lernen. Kaum ein Haushalt, bei dem nicht irgendetwas ins Digitale verlegt wurde. Klar, Homeoffice ist für Friseure keine Option, dennoch findet auch hier nun einiges digital statt: Produkteinführungen werden aufwendig inszeniert ins Digitale verlegt, Interviews werden ganz selbstverständlich über Zoom geführt. Firmen stellten Schnitt- und Stylingtechniken während des Lockdowns als Video ins Netz. Gruppen wie die Intercoiffeure oder auch der Club der Besten trafen sich während des sechswöchigen Lockdowns regelmäßig digital, um sich auszutauschen und Halt zu geben. Großveranstaltungen sind tabu, also werden auch sie in die digitale Welt verlegt: L’Oreal präsentierte die Virtual Hangout Night für Friseure, die Alternative Hair Show findet nur auf dem Bildschirm statt, und auch Fashion-Shows und Kollektionspremieren waren plötzlich digital möglich. Heiko Schneider ist mit seinem Friseur Online Business Kongress kein Exot mehr, sondern in guter Gesellschaft: Die ICD sprang ebenso auf diesen Zug auf wie der Schweizer Salonunternehmer Jens Engelhardt mit seinem Salonerfolgskongress. Sie alle vermischen launigen Talk mit Wissensvermittlung. Und weil so ganz ohne Zusammenkunft auch uns etwas fehlt, haben wir zum 1. Advent die Messe-Akteure mit demTOP HAIR Stream Day kurzerhand in die Wohnzimmer eingeladen.

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Verlierer 2020: Live-Veranstaltungen & Ketten

Sie sind die Verlierer des Jahres: Messen, Kongresse, Shows, Events, Wettbewerbe. Nachdem die Messe TOP HAIR in voller Fahrt gestoppt und zunächst auf den September verlegt wurde, war schon im Frühsommer klar: 2020 wird das nichts mehr. Neuer Versuch: 29./30. Mai 2021! Auch die Cosmoprof in Bologna wird zweimal verschoben und dann doch abgesagt, Ersatz bot ein digitales Treffen Anfang Juni. Eine Neuauflage sollte die Style & Colour Trophyvon L’Oreal erfahren – und fiel dann doch Corona zum Opfer. Auch die großen Industrie-Events wie der International Trend Vision Award von Wella und die KAO Salon Global Experience fanden nicht in Sevilla und Amsterdam statt, sondern wurden zum gelungenen digitalen Erlebnis. Salon International in London, die Zweithaar in Fulda, die Style.com in Erfurt, die WM in Paris, Landesmeisterschaften und der PLW wurden abgesagt, die Novellierung der Ausbildungsverordnung verschoben – sie alle hoffen auf 2021 oder später.
Weniger Events, der Lockdown und die Zurückhaltung der Kunden machen auch den Betrieben zu schaffen: Die bereits schon vor einigen Jahren strauchelnde C&M Company geht in die Insolvenz. Auch Klier kämpft: Nicht nur die Kaufhof-Schließungen kosten das Unternehmen 25 Salons, kurz nach der C&M Company meldete sich auch Klier zahlungsunfähig und ging in Eigenregie in die Insolvenz.