Von medizinischem Personal kennt man die Visiere. Dirk Schlobach macht sich dafür stark, dass mit Mundschutz und Visier auch rasiert werden darf. Er hat eine Online-Petition ins Leben gerufen >< Foto: pang oasis / Shutterstock.com

27.04.2020

Barber kämpfen mit den neuen Corona-Regeln

Die neuen Arbeitsschutzstandards für das Friseurhandwerk stellen vor allem Barber vor große Herausforderungen.

Vergangenen Mittwoch legte die Berufsgenossenschaft die ersehnten sechs Seiten des Arbeitsschutzstandards, der für alle Friseurbetriebe verbindlich ist, vor. Nur wer die Standards einhalten kann, darf am 4. Mai seinen Betrieb wiedereröffnen. Vieles aus dem Regelwerk wurde so erwartet, eine Maßnahme vor allem von den Barbern befürchtet: „Gesichtsnahe Dienstleistungen wie Augenbrauen- und Wimpernfärben, Rasieren und Bartpflege dürfen derzeit nicht ausgeführt werden.“ Haare schneiden also ja, Rasieren nein. Das stellt vor allem Herrenfriseure vor eine Herausforderung.
„Rund 50 % unseres Umsatzes haben wir mit unserem Gentlemans Special gemacht“, berichtet Christian Klier, von Joe’s Barber Gentlemen’s Lounge in Wolfsburg. Das Gentlemans Special beinhaltet einen Haarschnitt und eine Rasur. Letztere darf er, wenn er seinen Barbershop am 5. Mai öffnet, nicht mehr anbieten. „Wir haben daraus einen Gentlemans Cut gemacht. Natürlich erleiden wir deshalb nicht 50 % Umsatzeinbuße, aber ich würde schätzen, dass es zehn bis 15 Prozent auf jeden Fall werden.“ Bei den Kunden trifft die halbierte Dienstleistung auf Verständnis: „Die sind froh, dass wir wieder arbeiten dürfen. Unser Terminkalender ist voll.“

"Ich bin enttäuscht"

Klier ist froh, dass es endlich Maßgaben gibt, die eine Wiedereröffnung möglich machen, aber: „Ich bin schon enttäuscht, dass das Rasieren untersagt ist. Österreich hat doch gezeigt, wie man diese Dienstleistung dennoch erbringen kann.“ [Anm. d. Red.: In Österreich müssen die Barbiere zusätzlich zum Mundschutz auch noch ein Visier tragen.] Viele Friseure, so mutmaßt Klier, würden das Rasierverbot begrüßen. Barbershops, die keinen in der Handwerksrolle eingetragenen Betriebsleiter haben und trotz Verbot Haarschnitte erbringen, haben die Barber-Szene in Verruf gebracht.  Klier ist sich aber sicher, dass „viele ernstzunehmende Kollegen und Mitstreiter in Bedrängnis kommen“. „Ich glaube nicht, dass eine Rasur gefährlicher ist als ein Haarschnitt, da ich dem Kunden nie Gesicht gegen Gesicht gegenüberstehe“, und schließt sich damit der Meinung von Dirk Schlobach (Barber House) an, der mit einem offenen Brief in den sozialen Medien auf die Schwierigkeiten der Barber aufmerksam machen möchte: „Eine Rasur ist hygienisch einwandfrei.“ Inzwischen hat er die Online-Petition „Rettet die Herrensalons und das Barbierhandwerk“ ins Leben gerufen. Hinter dem Verbot vermutet er politisches Kalkül. Dem widerspricht Jörg Müller, Hauptgeschäftsführer des ZV, vehement: "Das entbehrt jeglicher Grundlage."

 

 

Die Regelungen bedrohen unsere Existenz

 

TOP HAIR: Herr Schlobach, am Mittwoch hat die BGW die neuen Arbeitsschutzstandards für das Friseurhandwerk veröffentlicht, an die sich alle Friseurbetriebe künftig halten müssen. Nach diesem Papier dürfen Sie, wenn Sie Anfang Mai wieder öffnen, vorerst nicht rasieren und Bartpflege betreiben. Was bedeutet das für Sie?

Dirk Schlobach: Die Regelungen bedeuten für uns das, was sie aussagen: Wir dürfen Rasuren und Bartpflege nicht durchführen und das bedeutet für alle Herrensalons, dass es existenzbedrohlich ist, da wir nach fünf Wochen, in denen wir Kosten hatten aber keinen Umsatz, natürlich unsere profitbringenden Dienstleistungen weiterführen müssen.
Nur vom Haareschneiden werden wir mittel- und langfristig nicht leben können. Es geht ja nicht darum, Rücklagen zu aufzubauen, sondern darum, Verluste zu minimieren. Wenn Sie das vergleichen mit einem Friseursalon, einem Unisex-Friseursalon, dann stellen Sie sich doch bitte mal vor, dem würde man das Haarefärben entziehen. Das Thema Hygiene ist hier ein Vorwand, ein absoluter Vorwand. Eine Rasur ist hygienisch einwandfrei! Das Problem ist, dass es leider in den Innungen und in der Berufsgenossenschaft keine Fachkenntnisse zur Nassrasur gibt. Die gibt es auch nicht in den Berufsschulen. Und nun geht man, nachdem man in den letzten Jahren zugelassen hat, dass Barbershops ohne Betriebsleiter öffnen -  was ein völliger Fehler war - den umgekehrten Weg und sagt: Na ja bisher brauchtet ihr ja keinen Hygienebeauftragten, da ihr ja jetzt keinen habt, machen wir alles zu.

Sie vermuten, dass von der Nassrasur und der Bartpflege keine Ansteckungsgefahr ausgeht. Aber es ist ja nicht der Bart das Problem, sondern der Atem. Wie wollen Sie vermeiden, dass es nicht zu einer Tröpfchenübertragung kommt? Welche Maßnahmen wären aus Ihrer Sicht gerechtfertigt, die Kunde und Barber schützen und dennoch eine Rasur möglich machen?

Die Lösung, wie man dennoch Rasieren kann, zeigt Österreich. Österreich hat aber auch schon immer mit Rasur und Bart eine andere Handhabung in den vergangenen Jahren gezeigt: Nicht gegeneinander, sondern miteinander. Dort gibt es die Regelung, dass zusätzlich ein Visier während dieser Dienstleitung eingeführt wird. Dieses Visier ist ein Tröpfchenschutz. Was wollen Sie denn noch machen außer einem Tröpfchenschutz? Das reicht vollkommen aus! Sie töten vorher schon Bakterien, Keime und Viren mit einer richtig durchgeführten Nassrasur. Plus, dass Sie einen Mundschutz bei dem Barbier haben, plus dass er ein Visier trägt, plus, dass dieser Barbier während der Rasur das Gesicht und den Mund des Kunden immer wieder von sich wegschieben kann. Er kann um den Stuhl gehen, und deshalb ist er nur ganz kurze Zeit einem frontalen Gegenüber ausgesetzt wo der Kunde die Klappe zu halten hat und den Mund zumacht.

Halten Sie die anderen Vorgaben, die die BGW gemacht hat, für umsetzbar?

Die BGW-Regelung ist absolut in Ordnung. Das gehört auch genauso eingeführt. Allerdings fehlt in den Regelungen die Formulierungen für die Face-to-Face Dienstleistungen. Dazu gehören ja auch Augenbrauen färben und zupfen. Da man sich über ein Visier schützen kann, und könnte man auch diese durchführen. Für die Friseursalons ist das ein Bauernopfer. Das ist verhandlungstaktisch, fällt halt eine niedere Dienstleistung raus. Ein Friseursalon wird das verkraften, aber ein Barbershop wird daran sehr zu knabbern haben, wenn er nicht mehr rasieren darf. Für mich ist das wirklich Verhandlungsmasse gewesen. Auch Wimpern und Augenbrauen stellen kein wirkliches Problem dar, wenn man den Ausführenden richtig schützt. Und wir sprechen hier nicht von Dienstleistungen, die ewig dauern.

Auszug aus dem offenen Brief von Dirk Schlobach:
[„
Aus dem ursprünglichen Barbierhandwerk sind neben vielen anderen Berufen zwei Spezialisten entstanden: Friseure und Zahnärzte.
Heute gibt es sicherlich nicht nur beim Einkommen deutliche Unterschiede. Beide eint allerdings, dass sie sehr nah am Kunden arbeiten. Unterschiede werden nun aber offenbar diskutiert, wenn es darum geht, welche Dienstleistungen in Zeiten von COVID-19 durchgeführt werden und welche untersagt werden sollten.
Zahnärzte dürfen Zahnreinigungen anbieten, welche jedoch nicht unmittelbar zu den medizinisch notwendigen Leistungen gehören. Diese bedingen einen geöffneten Mund des Patienten und spritzendes Wasser. Den Friseuren, insbesondere den Herrenfriseuren, soll die Bartpflege beziehungsweise die Nassrasur allerdings verboten werden.
]

In Ihrem offenen Brief vergleichen Sie die Dienstleistung der Barbiere mit der Arbeit der Zahnärzte. Verzeihen Sie, aber ist der Vergleich nicht ein bisschen unangebracht? Wenn ich Zahnschmerzen habe, dann ist das doch etwas anderes, als wenn der Bart aus der Form ist.

Zahnarztbehandlungen habe ich nicht in Frage gestellt, ich habe mich auch nicht damit verglichen, sondern es geht um eine eigentliche Zusatzleistung, die Zahnreinigung, bei der Zahnärzte weiterhin selbst entscheiden dürfen, ob sie sie machen möchten oder nicht. Der Vergleich ist legitim, dass ich frage, warum dürfen Zahnärzte selbst entscheiden, ob sie Zahnreinigungen durchführen. Ich spreche hier ja nicht von Operationen wegen Schmerzen. Welche Begründung gibt es, dass Zahnärzte entscheiden dürfen, ob sie eine Zahnreinigung durchführen oder nicht, und Barbieren wird diese Entscheidung von vornherein genommen?

[Anm. d. Red.: In Baden-Württemberg sind Zahnreinigungen nicht erlaubt. Auch empfiehlt der Freie Verband deutscher Zahnärzte auf Vorsorgetermine und Zahnreinigungen derzeit zu verzichten]
EDIT 05.05.2020: Die Baden-Württembergische Regierung hat das Verbot wieder einkassiert. Es sind auch wieder Zahnbehandlungen abseits der Notbehandlung möglich.

 

Sehen Sie eine Möglichkeit, sich gegen diese neuen Arbeitsschutzstandards aufzulehnen?

Wir haben sehr viel Zuspruch bekommen in den vergangenen drei Tagen. Ich spreche hier von hochqualifizierten Barbieren, die ihr Metier auf einem hohen Niveau. Barbier ist nicht immer gleich Bahnhofsfriseur - wobei Sie wissen, dass ich von diesem Begriff nicht allzu viel halte - aber er ist halt immer wieder gängig und griffig. Diese Barbiere, die mit uns Kontakt hatten, haben bei ihren Innungen angerufen. Und was sagen die Innungen? Sie sind kein Mitglied bei uns! Und genau das ist nämlich auch der Grund, wieso wir keine Lobby haben, weil wir sie nicht zahlen. Weil aber auch die Innungen in den letzten Jahren keinerlei Verständnis für diese Szene, für dieses Handwerk, gezeigt haben. Die Innungen waren es, die in den 90er-Jahren die Rasur gekillt haben und jetzt die Krise ausnutzen und sie wieder killen.

Wir werden uns nicht auflehnen. Wir werden natürlich Informationen in den Markt streuen, seien es Petitionen, seien es Interviews oder Sonstiges. Aber auflehnen können wir uns dagegen nicht. Da sind wir viel zu machtlos, weil auch nicht organisiert.

 

Edit 28.April 9.20 Uhr:

Dem Vorwurf, die Rasur aus politischem Kalkül heraus zu verbieten, wiederspricht der ZV vehement. Hauptgeschäftsführer Jörg Müller dazu: "Das entbehrt jeder Grundlage. Angesichts der schwierigen Situation, angesichts der Pandemie ist das absolut abwegig. Wir haben keine Deals gemacht und werden keine Deals machen, um bestimmte Marktteilnehmer zu bevorzugen."

 

Diese 14 Punkte nennt Dirk Schlobach als grundsätzliche Voraussetzungen für hygienisches Arbeiten bei der Rasur:

1. Barbier und Kunde desinfizieren ihre Hände
2. Der Stuhl und Waschbecken werden desinfiziert
3. Das Werkzeug wird ebenfalls desinfiziert
4. Shavetten, Kämme und Scheren befinden sich im Barbicide Glas
(Desinfektionslösung)
5. Der Barbier arbeitet mit einem Mundschutz und trägt ein Visier als
zusätzlichen Tröpfchenschutz
6. Der Barbier trägt Handschuhe
7. Im Barbershop werden Heißkompressen (70 Grad heiß) verwendet
8. Geräte werden vor und nach der Behandlung desinfiziert
9. Das Wasser zum Aufschäumen der Seife wird aufgekocht
10. Der Pinsel liegt vor dem Aufschäumen in dem heißen Wasser
11. Die Seife wird portioniert oder es wird Rasiercreme aus der Tube direkt auf den Pinsel verwendet
12. Für jede Rasur wird eine neue, verpackte Klinge verwendet
13. Nach der Rasur wird eine weitere Heißkompresse aufgelegt.
14. Ein Aftershave zur finalen Desinfektion der Rasur bzw. der Haut wird aufgetragen