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15.06.2023

7 % Mehrwertsteuer: "Dieses Jahr wird die Entscheidung bringen"

Vor einem Jahr sammelte die Initiative „Friseure brauchen Zukunft – 7 % jetzt“ 70.000 Unterschriften für die Senkung der Mehrwertsteuer auf Friseurdienstleistungen. Danach wurde es ruhig um die Bewegung. Mit Stephan Conzen, der eng mit den Initiatoren zusammenarbeitet, sprachen wir über die Petition und den Stand der Dinge.

Stephan Conzen Foto: Glynt
Stephan Conzen Foto: Glynt

TOP HAIR: 70.000 Unterschriften hatte die Initiative „Friseure brauchen Zukunft – 7 % jetzt“ gesammelt. Das hat optimistisch gestimmt, zu einer Anhörung im Petitionsausschuss kam es allerdings noch nicht. Warum nicht? 

Stephan Conzen: Das hat mehrere Gründe: Einen Automatismus, eine Anhörung im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages zu bekommen, gibt es nur dann, wenn man binnen von vier Wochen auf der Online-Plattform des Bundestages 50.000 Menschen zu einer Unterschrift bewegen kann. Allerdings ist es dort nicht möglich, Unterschriften auch analog zu sammeln. Dieses Ziel war deshalb unerreichbar. Deshalb haben sich die Initiatoren der Bewegung eine andere Plattform suchen müssen, auf der auch analoge Unterschriften eingespielt werden konnten. Aber auch hier wurde es nicht geschafft, in vier Wochen 50.000 Unterschriften zu sammeln. Hier gab es nach sechs, sieben Wochen nochmals einen Schub und plötzlich waren die 50.000 Unterschriften überschritten und dann haben sich die Initiatoren gesagt, wir lassen das jetzt noch mal weiterlaufen, vielleicht werden es noch mehr.

Und es wurden mehr!

Ja, ich glaube, nach acht Wochen hatten wir etwas über 70.000 Unterschriften. Meines Wissens war das die zweiterfolgreichste Petition des gesamten letzten Jahres. Wir glauben zwar alle, wir würden in einer zunehmend digitalen Welt leben – aber mehr als die Hälfte aller Unterschriften sind analog abgegeben worden!

Im Vorgespräch sagten Sie auch, der wichtigste Schritt sei gar nicht so sehr die Anhörung, sondern vielmehr, dass man die Minister erreicht.

Richtig. Das war aus meiner Sicht und insbesondere aus der Sicht der Initiatoren, Gabriele Diemert-Pertsch, Wolfgang Pertsch, Oliver Schmidt, Heiko Schneider und Marc Breckwoldt, eigentlich die bedeutendste Erkenntnis, dass auf der Ministerialebene niemand diese spezifischen Probleme der Friseurbranche kennt. Das ist bemerkenswert und traurig.

Und selbst wenn Sie ein Rederecht im Petitionsausschuss hätten, dann wissen Sie auch nicht, wer dort zugegen ist und sich das anhört. Eine Anhörung heißt noch nicht, dass Sie wahrhaftig durchdringen auf Ministerialebene. Es wäre schön gewesen, wenn wir diesen Automatismus hätten herstellen können, aber die 70.000 Unterschriften bleiben. Und 70.000 sind eine vollbesetzte Allianz Arena in München – und das bei so einem trockenen Steuerthema.

Was glauben Sie, ist der Grund für die Unkenntnis bei den Ministern?

Ich gehöre nicht zu den Leuten, die täglich verbal auf dem Zentralverband herumhacken. Aber es scheint über den Verband nicht zu funktionieren. Der Verband trägt über den Zentralverband des Deutschen Handwerks seine politischen Anliegen häufig nach außen. Der Weg scheint nicht zum Ziel zu führen, denn sonst wäre das Thema auf der Ministerialebene viel präsenter. Dort ist vielen nicht klar, wie die spezifischen Anliegen von Branchen aussehen, deren Leistungen nicht durch Automatisierung rationeller gestaltet werden können.

Deswegen werden die Preise beim Friseur steigen.

Ja, die Preise werden überproportional steigen müssen. Und das in einer Zeit von Inflation, wo die Verbraucher sowieso weniger Geld in der Tasche haben. Das führt natürlich zu großen Problemen. Hinzukommt, dass wir eine Zweiklassengesellschaft haben: Während die einen gar nichts abführen, zahlen die anderen 19 % Mehrwertsteuer. Das war auf Ministerialebene so nicht bekannt und wurde jetzt erstmals zur Kenntnis genommen – auch, dass eine sehr große Anzahl von Menschen ein Votum abgegeben hat.

Sie sind immer noch zuversichtlich, dass die Initiative etwas bewirken kann?

Ja, das bin ich. Allerdings braucht man bei solchen politischen Vorhaben einen langen Atem. Das ist jetzt kein Sprint, das ist ein Marathon. Die besseren Argumente sind auf der Seite der 70.000.

Im Moment haben die Ministerien aber eher noch abgewunken.

Ja, das ist richtig. Interessant fand ich dabei, dass sie das mit einem sehr ähnlichen Wortlaut taten, also muss es auch einen gewissen Informationsaustausch zwischen den Ministerien zu dem Thema gegeben haben, denn Sie können die Antworten übereinanderlegen.

Mit welchem Argument wurde abgelehnt?

Neben den „Beschwichtigungs-Absätzen“ wie etwa Energiekosten und Corona-Unterstützung, was nichts mit der strukturellen Steuerproblematik zu tun hat, ist das Kernargument: „Wir haben kein Geld“. Das ist gleichzeitig ein Totschlagargument. Ich kann jede Sache - und sei sie noch so notwendig und sinnvoll – im Keim ersticken, indem ich sage, ich hätte kein Geld dafür.

Unter anderem mit diesem Motiv warb die Inititaive für die Petition. Foto: Glynt
Unter anderem mit diesem Motiv warb die Inititaive für die Petition. Foto: Glynt

Was halten Sie dagegen?

Die Frage ist weniger, ob das Geld vorhanden ist - die Steuereinnahmen waren noch nie so hoch wie aktuell - sondern wofür man das Geld auszugeben gedenkt. Und da glaube ich, ist es einfach eine Bequemlichkeits-Auskunft. Hier muss man weiterarbeiten, denn natürlich möchte die Politik so ein Thema gerne wegwischen. Aber ich glaube, die Politik muss Farbe bekennen, denn es muss ihr bewusst sein, dass wenn sie es sich so einfach macht, mit so einem Totschlagargument daherzukommen, dieser Schwelbrand unter Umständen zu einem Feuer ausbricht und zu viel massiveren Aktionen führt. So einfach darf die Politik es sich nicht machen!

Mit dem Geld ist das ja auch so eine Sache: Da wird gesagt, von 19 % auf 7 %, das ist 12 % Umsatzsteuer-Verzicht für den Fiskus – das können wir uns nicht leisten.  Das sind ungefähr 600 Millionen Euro, das ist natürlich auch kein Pappenstiel, aber was immer völlig vergessen wird: Nur eine solche Entscheidung würde dazu führen, dass der nächste Lohnentwicklungs-Schritt in der Friseurbranche getätigt werden kann. Und stellen wir uns mal vor, dass die Löhne und Gehälter im nächsten Jahr um 12 % steigen würden, dann gibt es viel mehr Lohn- und Einkommenssteuer. Und auch die Unternehmen würden 12 % mehr Gewinne haben.

Das würde den Friseurunternehmen Luft verschaffen …

… und man kann den Endverbraucher, der gerade unter der Inflation leidet und den Weg Richtung Schwarzarbeit beschreitet, behalten. Wenn ich für eine Dienstleistung 70 Euro verlange und statt 19 nur 7 % abführen muss, erlöse ich statt 59 Euro etwa 65 Euro. Ich könnte den Preis also halten. Aber meinem Unternehmen ginge es besser, meine Mitarbeiter verdienen mehr, es wird mehr Einkommens- und Lohnsteuer bezahlt und mehr in die Sozialkassen gezahlt. Mein Unternehmen hat wieder eine Zukunft und ich schaue wieder mit Freude und Investitionsbereitschaft nach vorn, so dass ich auch wieder ausbilden möchte. Das ist ein unglaublicher Schub. Das muss ich dagegen rechnen. Da ist „Wir haben kein Geld dafür“ eine banale Ausrede.

Oft kommt dann auch das Argument: Dann kommen auch noch andere Branchen …

Ja, natürlich gibt es weitere Berufe, die ihre Leistungen nicht automatisieren können, etwa die Kosmetikerinnen. Wobei das dort oft schon Ein-Personen-Betriebe sind, die zu einem hohen Anteil ohnehin keine Umsatzsteuer abführen. Abgesehen davon: Was wäre denn daran verkehrt, wenn es strukturell und ordnungspolitisch richtig und notwendig ist, arbeitsintensive Leistungen steuerlich nicht zu hoch zu belasten, damit sie erschwinglich bleiben? Warum ist das dann verkehrt, das etwa für die Schneider*innen nicht ebenfalls vorzusehen? Die menschliche Arbeit wird für Menschen nicht mehr bezahlbar, wenn ich da 19 % draufpacke.

Gibt es konkret etwas, was ich jetzt als Friseurunternehmer*in tun könnte, um der Forderung nach 7 % noch mal Nachdruck zu verleihen?

Ja, auf der Seite „Friseure brauchen Zukunft“ gibt es eine Vorlage zum Download und die kann man an die Lokalpolitiker geben. Das muss jetzt aus allen Ecken kommen, wie ein Schwarm, möglichst zeitgleich. Dann tut sich was. So hat der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern schon vor Monaten gesagt, sollten sie zusammen mit der CSU die Wahl gewinnen, werde er die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Friseurbetriebe von 19 auf 7 % in den Koalitionsvertrag schreiben lassen. Markus Söder als Bayerischer Ministerpräsident hat das neulich aufgenommen und bekundet, die Forderung nach einem Mehrwertsteuersatz von 7 % für Friseurbetriebe im Bundesrat einbringen zu wollen. Das ist schon mal ein schönes Zeichen!

Auch andere werden da die Öffentlichkeit nicht mehr mit solchen Allerwelts-Argumenten abspeisen können, sondern müssen sich in der Tiefe mit dem Thema auseinandersetzen. Ich glaube, jetzt muss es der Schwarm machen: Aus der Lokalpolitik muss es in die Regional- und die Landespolitik. Es ist zwar eine bundespolitische Sache, aber wenn die Forderung das erste Mal im Bundesrat diskutiert wird, wäre das schon mal ein Schritt. Immerhin arbeiten immer noch 230.000 Menschen in unserer Branche.

Wie geht es jetzt mit der Initiative weiter?

Die Initiative möchte jetzt als nächsten Schritt diese Schwarm-Information forcieren, das soll mit Kampagnen in den Social Networks begleitet werden, damit dieses Thema überall bekannt wird.

Sie sagten eingangs, es werde kein Sprint. Was glauben Sie, von welchem zeitlichen Horizont wir hier sprechen?

Dieses Jahr wird die Entscheidung bringen. Das Thema gärt jetzt ausreichend und wir müssen ihm zum Durchbruch verhelfen. Arbeitsminister Hubertus Heil muss ein Interesse am Erhalt sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung haben. Und der Weg in der Branche geht genau in die andere Richtung. Und das Finanzministerium muss an der Gesunderhaltung der Branchenstruktur ein gewichtiges Interesse haben. Unternehmen, die keine Möglichkeit mehr haben auszubilden, sorgen auch für den Tod unseres dualen Systems.

Interview: Yvonne Rieken