Ronia Schiftan, Foto: www.clausgeiss.com

22.06.2021

Die Psyche leidet in der Pandemie - auch im Salon

Die Corona-Pandemie verlangt uns einiges an Durchhaltevermögen ab. Das zehrt auch an der psychischen Gesundheit. Wie man diese pflegt, weiß die Schweizer Psychologin Ronia Schiftan.

Händewaschen, Abstand halten, Maske tragen. Seit über einem Jahr beherrscht dieser Dreiklang unser Leben. Ganz zu schweigen von den gesundheitlichen, finanziellen oder unternehmerischen Sorgen - sowie Corona als immerwährendes Gesprächsthema im Salon. Kein Wunder, dass man irgendwann die Nase voll hat. Wir sprachen mit der Psychologin Ronia Schiftan, die in der Schweiz www.dureschnufe.ch ins Leben gerufen hat, eine Plattform mit praktischen Tipps und Links, um psychisch gesund durch die Krise zu kommen.

TOP HAIR Suisse: Inwiefern ist die Corona-Krise Neuland?
Ronia Schiftan:
Wir stehen als Gesellschaft vor einer Situation, die wir nie üben konnten. Das macht uns unsicher und es ist normal, dass wir darauf mit Ängsten und Sorgen reagieren. Der Verlust von Kontrolle über unseren Alltag kann uns aus dem Gleichgewicht bringen. Deshalb sollte man beim Thema Gesundheit ebenfalls an die psychische Gesundheit denken. Die Krise hat ermöglicht, dass man jetzt offener über psychische Belastungen, Therapiemöglichkeiten und Hilfsangebote spricht. Bisher war dies ein Tabu.

Was versteht man unter psychischer Gesundheit?
Auf der eine Seite gibt es die sogenannten Energieräuber. Das sind Belastungsfaktoren wie Geldnöte, Angst um die Gesundheit, den Arbeitsplatz etc. Auf der anderen Seite befinden sich die Energiequellen, wie z.B. Spass an der Arbeit, ein tolles Team, viel Gestaltungsfreiraum. Wenn sich beide Seiten die Waage halten, geht es mir gut. Wichtig ist es, mein Gleichgewicht zu verstehen und zu wissen, dass ich aktiv etwas dafür tun kann. Ich kann neue Ressourcen entdecken und das stärken, was mir Freude bereitet und guttut. Auf der anderen Seite gilt es, die Belastungsfaktoren zu identifizieren und zu reduzieren.

Sagen wir mal, mich belasten die fortwährenden Kundengespräche über Corona?
Zuerst finden Sie heraus, was Sie wirklich nervt: Das Thema Corona an sich (A) oder dass Sie sich die Sorgen Ihrer Kund*innen so zu Herzen nehmen, dass Sie nach Geschäftsschluss noch darüber nachdenken, wie sie helfen könnten (B).
Im Fall A hilft ein geschmeidiges Umlenken auf eine positive Kommunikation: „Auf was freust Du Dich am meisten nach Corona?“ oder „Was ist Dein nächstes Reiseziel?“ Und schon ist man bei einem erfreulichen Thema.
Im Fall B geht es um Abgrenzung und Weiterleiten. Sie schätzen es, dass sich Ihre Kunden Ihnen anvertrauen. Doch seien Sie sich Ihrer Rolle bewusst: Mit dem Zuhören übernehmen Sie nicht automatisch die Verantwortung. Motivieren Sie Ihre Gäste, mit anderen darüber zu sprechen, sich Hilfe zu holen, im Freundeskreis oder bei einer Fachperson. Eine belastende Situation kann man übrigens abschütteln.

„Abschütteln“? Wie ein Hund im Regen?
Genau, eine sehr befreiende Übung! Stellen Sie sich Probleme als kleine Klämmerchen vor, die sich überall an Ihnen festtackern. Suchen Sie sich einen Rückzugsort, schütteln Sie die imaginären Klammern kräftig ab und machen sich dabei bewusst: Das sind Geschichten anderer! Hilfreich ist auch die Progressive Muskelentspannung. Spannen Sie dazu alle Muskeln fest an, halten die Spannung kurz und lassen dann mit einem Mal los. Oder beide Füsse fest auf dem Boden spüren und ein paar tiefe, bewusste Atemzüge nehmen. Diese kleinen Übungen lassen sich in den Salonalltag einbauen, helfen beim Loslassen und dass Sie sich auf den nächsten Gast einstellen können.

Wie kann ich meiner Psyche Sorge tragen?
Entwickeln Sie Ihr persönliches Abschaltritual, um einen bewussten Übergang zwischen Arbeit und Privatleben zu schaffen. Das können kleine Dinge sein: Eine Bushaltestelle früher aussteigen und zu Fuß gehen, andere Kleidung anziehen oder auf dem Lieblingsplatz einen Tee geniessen. Sollten Sie belastende Geschichten doch mit nach Hause nehmen, dann hilft es, mit jemandem darüber zu reden. Sind weder Partner, Freundin, Familie etc. zur Hand, dann kann dies eine Fachperson sein. Bei „Die Dargebotene Hand“ (in der Schweiz) hört einem immer jemand zu. Entdecken Sie, was Ihnen guttut und stärken Sie diese Ressourcen. Funktionieren Sie nicht nur, sondern bringen Sie Frische in Ihren Alltagstrott. Sorgen Sie für Ablenkung, bleiben Sie neugierig.

Was können wir im Team tun?
Fragen zu Gesundheit und emotionaler Belastung sollten fester Bestandteil der Teamsitzung sein: „Wie geht es uns?“ „Können wir mit der aktuellen Situation umgehen oder brauchen wir Unterstützung?“ „Wie können wir unsere Arbeitssituation gestalten, damit wir gesund bleiben?“ Manchmal sind es kleine Veränderungen, die einen grossen Unterschied machen. Sind Arbeitsmittel so platziert, dass jeder bequem drankommt? Reicht die Pause für ein gesunde Mahlzeit? Braucht es einen Puffer, um den Zeitdruck zu minimieren? Wer alleine arbeitet und kein Team für den Austausch hat, sollte sich Strukturen schaffen, um über die Arbeit zu sprechen. Das kann ein Stammtisch mit Selbstständigen anderer Branchen sein; Gleichgesinnte, die ähnliche Herausforderungen haben etc. Wichtig ist: Darüber reden – und sich nicht scheuen, Hilfe zu holen.

Ronia Schiftan hat einen Master in Angewandter Psychologie, ist Mit-Inhaberin der Externas GmbH und im Bereich Gesundheitsförderung tätig. www.roniaschiftan.ch

Hier gibt’s Hilfe:

 

Weitere Angaben
Text:Sabine Klopfer, TOP HAIR Suisse