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07.07.2022

Was ist eine „Berufskrankheit“?

Ob eine Erkrankung auf die Arbeit beziehungsweise den Arbeitsplatz zurückzuführen ist, darüber wird immer wieder vor Gericht verhandelt. Der Gesetzgeber hat eine Liste von anerkannten Berufskrankheiten erstellt, die Orientierung geben soll. Dennoch gibt es Fälle, die umstritten sind, weiß Maik Heitmann.

Die Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) des Gesetzgebers bestimmt, was eine anerkannte Berufskrankheit ist. Jede Krankheit hat in dieser Liste eine Nummer. Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule zum Beispiel die „BK-Nr. 2108“. Die „BK-Nr. 2301“ gehört der Lärmschwerhörigkeit. Die in dieser Verordnung zu findende Liste ist „abschließend“. Das bedeutet: Selbst, wenn andere als die bezeichneten Erkrankungen auf eine berufliche Belastung zurückzuführen sind, können sie nicht als „Berufskrankheit“ von der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannt werden.

Um eine Krankheit in die Liste aufzunehmen, muss der Gesetzgeber die Entscheidung dazu per Gesetzesänderung treffen. Ein solches Verfahren wird veranlasst, wenn der Gesetzgeber nach eingehenden (medizinischen) Beratungen davon überzeugt ist, dass eine bestimmte Personengruppe durch ihre berufliche Tätigkeit einem besonderen Risiko ausgesetzt ist, sich eine solche Krankheit zuzuziehen. Dabei ist insbesondere wichtig, dass das Risiko, daran zu erkranken, für die Beschäftigten weit größer sein muss als für die Allgemeinbevölkerung. Nicht jedes Krankheitsbild erfüllt die für die Berufskrankheiten festgesetzten rechtlich Voraussetzungen. Typische Berufskrankheiten sind Allergien der Haut oder der Atemwege durch Berufsstoffe, Lungenerkrankungen durch Asbest, Schwerhörigkeit durch Lärm am Arbeitsplatz oder eine Silikose (eine Vernarbung der Lunge) infolge eingeatmeten Quarzstaubs.

Ausnahmen von der Regel 

In manchen Fällen kann auch eine Krankheit, die nicht in der Berufskrankheiten-Liste steht oder bei der die in der Verordnung genannten Voraussetzungen nicht vorliegen, „wie eine Berufskrankheit“ anerkannt werden. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Krankheit nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht ist, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt ist.

Diesen Nachweis zu führen, ist nicht einfach – und auch immer wieder ein Thema für die Sozialgerichte. So kämpfte zum Beispiel ein Forstwirt vergeblich darum, die bei ihm diagnostizierte Borreliose als Berufskrankheit anerkannt zu bekommen. Er konnte nicht endgültig darlegen, einen Beruf auszuüben, in dem ein „erhöhtes Risiko für die Infektion mit Borreliose“ bestehe. Das gelte auch dann, wenn er unstreitig viel in Wald und Wiesen unterwegs ist und somit eine größere Nähe zu den – die Bakterien übertragenen – Zecken hat. Es bedürfe eines „Vollbeweises“, so das Bundessozialgericht in Kassel, den er nicht geliefert habe. Dass er vor Jahren „eine Zecke hatte“, ändere nichts daran. (AZ: B 2 U 17/15 R)

Auch der Fall zweier Streicher eines Orchesters zeigt, wie mühsam die Beweisführung ist. Das BSG unterstrich zwar, dass Arbeitnehmer auch für ein nicht offiziell als Berufskrankheit anerkanntes Leiden Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung erhalten können, wenn sie „infolge einer versicherten Tätigkeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine bestimmte Krankheit hervorrufen“ (= „Wie-Berufskrankheit“).

Dennoch reichten die vorgelegten medizinischen Gutachten über die von den Musikern angeführten besonderen Einwirkungen durch die „Schulter-Kinn-Zange“, denen sie in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt seien, nicht. Es ging um bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen auf der Mehrheit der Sachverständigen beruhen, „die auf dem jeweils in Betracht kommenden Fachgebiet über besondere Erkenntnisse und Erfahrungen verfügen – und zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangen“. Dies war hier aber nicht der Fall, weil es für diesen Problemkreis nur einzelne Mediziner gebe, die die Verursachung von Halswirbelsäulenbeschwerden durch eine Fehlbelastung der Streicher für wahrscheinlich hielten. (AZ: B 2 U 3/12 R u. a.)

Was können Erkrankte tun?

Wird der Berufsgenossenschaft ein Verdacht auf eine Berufskrankheit gemeldet, so ermittelt diese den gesamten Sachverhalt. Wichtig ist dabei sowohl, dass die Krankheitsgeschichte geklärt wird als auch die Sondierung der Arbeitsvorgeschichte. Der Präventionsdienst ermittelt alle im Arbeitsplatz und der dadurch verursachten Gefährdung zusammenhängenden Umstände. Er muss herausfinden, ob vom Arbeitsplatz, der unter Umständen ja auch schon gar nicht mehr existiert, eine krankheits­spe­zifische Gefährdung ausgegangen ist. Außerdem ist fast immer ein medizinisches Gutachten erforderlich, um die Frage zu klären, ob die Erkrankung durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden ist. Beteiligt am Verfahren werden Fachärzte für Arbeitsmedizin, die die Aufgabe haben, den medizinischen Arbeitsschutz in den Betrieben des jeweiligen Aufsichtsbereichs zu beraten und zu überwachen. Die Liste der Berufskrankheiten gibt es unter: www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Praxis-kompakt/F3.html

Quelle: Maik Heitmann, Redaktionsbüro Büser