Lars Nicolaisen >< Foto: Wella Professionals

19.07.2021

Kolumne: Schnittig & mutig

Das macht Mut! Die Erfolgsgeschichte eines Hamburger Kollegen hat Lars Nicolaisen nachhaltig beeindruckt.

Seit 15 Jahren erfreue ich mich an meinem Büro, welches in einem Loft in einer alten Schokoladenfabrik beheimatet ist. Die Gegend ist ziemlich lieblos, grau und alt. Die Räume, in denen ich mich aufhalten darf, sind umso schöner. Auf meinem Weg ins Büro muss ich immer an einer ganz bestimmten Kreuzung halten. Die Ampelführung lässt nichts anderes zu. Diese Kreuzung ist furchtbar. Es gibt zwar eine Ladenzeile mit ein paar Geschäften, die Kreuzung ist jedoch genau so lieblos und grau wie oben beschrieben. Hinzu kommt, dass es dort auch sehr laut ist, weil von allen Seiten mehrspurige Straßen auf diese Kreuzung treffen. Es gibt keine Parkplätze, kein Grün, keine Bäume. Nur Beton, Straßenlärm und Trostlosigkeit. In einem dieser eher tristen und langweiligen Ladenlokale ist seitdem ich da längs fahre immer auch ein Friseursalon beheimatet. Mehr oder weniger jedes Jahr wechselte der Besitzer. Das war eigentlich immer nur an einem neuen Namensschild zu erkennen, da der kleine Eingang und das nicht viel größere Schaufenster immer gleich und wenig einladend aussahen. Jeden Tag, wenn ich da an der Ampel stand, blickte ich zu diesem Salon und fühlte eine Mischung aus Mitleid und Ratlosigkeit. Wie konnte man nur auf die Idee kommen, sich dort selbstständig zu machen?

Vor einigen Jahren stand ich wieder an der Kreuzung und blickte überrascht zum Salon. „Einfach schnittig“ stand da jetzt über der Tür. Ein neuer Name, welchen ich als ein wenig „unglücklich“ empfinde, weil ich persönlich keine Wortspiele als Salonname mag. Aber (und das war der große Unterschied zu all den Jahren zuvor) der Salon strahlte plötzlich eine unglaubliche Wärme aus. Irgendetwas war anders – und es war deutlich besser und einladender als alles andere zuvor. Gerade in den ersten Monaten verging kaum eine Woche, in der der Eingangsbereich nicht weiter optimiert wurde. Pflanzen wurden aufgestellt und gepflegt, eine Wassersäule mit blauem Wasser diente als Hingucker. Auch ein Laie konnte sofort erkennen, dass sich hier jemand mit ganz viel Herzblut und tatsächlich gelebter Leidenschaft selbstständig gemacht hatte. Da man jetzt auch besser in den Salon blicken konnte, war schnell zu erkennen, dass da von Monat zu Monat auch immer mehr Kunden bedient wurden. Hatte ich zunächst immer nur einen Mann dort arbeiten sehen (ich gehe davon aus, es war der Inhaber), standen da plötzlich mehrere Personen im Salon und arbeiteten. Die Öffnungszeiten wurden verlängert, das Angebot vergrößert. Man sah ganz deutlich, hier ist jemand gekommen, um zu bleiben!Fortan freute ich mich immer, wenn ich an der Kreuzung stand. Ich fand es super zu erleben, wie sich hier ein Kollege anscheinend seinen Traum erfüllt hat und mit sehr viel Fleiß und Kreativität einen besonderen Raum schuf. Ganz oft dachte ich in meinem Auto sitzend, dass ich den Kollegen mal besuchen und ihm meinen Respekt aussprechen sollte. Hatte ich beim ersten Anblick von „Einfach schnittig“ nur lächelnd mit dem Kopf geschüttelt, so wurde „Einfach schnittig“ selbst für mich als Autofahrer zu einem echten Qualitätssignet. Der Typ musste mutig sein und sowohl unternehmerisch als auch fachlich einiges auf dem Kasten haben. Also warum nicht einfach mal in den Salon gehen und loben? Vorgenommen hatte ich es mir oft, aber da es dort ja keine Parkplätze gab, konnte ich nie spontan halten und fuhr somit immer weiter Richtung Büro, sobald die Ampel grün zeigte. So ging das mehrere Jahre.

Jetzt im April 2021 fuhr ich wie jeden Werktag wieder an die Kreuzung, erblickte schon von Weitem die mir bekannte Wassersäule und erschrak, als mein Auto zum Stillstand kam. Das Salonschild war abmontiert, stattdessen stand da jetzt irgendein anderer Name. Meine gute Laune war sofort verpufft. Ich konnte es nicht glauben. Ein lautes Hupen hinter mir signalisierte, dass die Ampel längst grün war und ich dennoch regungslos auf der Straße stand. Ich rief meine Frau an und sagte „Einfach schnittig ist nicht mehr da.“ Auf der anderen Seite der Leitung hört ich nur ein lautes „Waaaas?“. Wir beide waren traurig und schockiert. Ist dem Besitzer etwas zugestoßen? Hat er die Corona- Pandemie finanziell nicht überlebt? Wir machten uns ernsthafte Sorgen und Gedanken – und natürlich auch Vorwürfe. Wieso haben wir nicht schon längst Kontakt aufgenommen? Wieso haben wir ihm nie gesagt, welche Hochachtung und Respekt wir vor seiner Leistung haben? Wieso bin ich nicht einfach mal auf den Bürgersteig gefahren, habe angehalten, bin reingegangen und habe kurz ein Lebenszeichen ausgesendet? Mensch Lars …

Im Büro angekommen, startete ich meinen Rechner und erblickte Google. Sofort gab ich den Salonnamen ein … und staunte nicht schlecht. Nein, weder ist dem Inhaber etwas zugestoßen noch hat die Corona-Pandemie ein Opfer gefordert. Ganz im Gegenteil! Der Salon ist umgezogen – und zwar direkt in die Hamburger Innenstadt in die schönste Einkaufspassage der Stadt! In Zeiten, in denen viele von uns schon froh sind, irgendwie finanziell durchzuhalten, ist hier jemand, der mit viel Mut und Optimismus den nächsten Schritt seines Berufslebens geht. In Zeiten, wo viele Salons ums Überleben kämpfen, wechselt er den Standort von einer lauten und trostlosen Straßenkreuzung hin zu einer eleganten Passage mit höchsten Ansprüchen. Das ist nicht nur „einfach schnittig“, sondern das ist auch „einfach mutig“. Ich finde das sehr cool, und ich bin mir ganz sicher, dass sich dieser Mut am Ende auch auszahlen wird. Ich drücke dafür beide Daumen!

Warum habe ich Ihnen dieses Erlebnis heute erzählt? Das hat zwei Gründe: Zum einen soll es Mut machen! Stehen Sie ein für Ihre Träume und geben Sie immer 100 Prozent, um diese auch zu verwirklichen. Dann kann man es überall schaffen, selbst an grauen, trostlosen Kreuzungen! Und zum anderen soll es Sie und mich mahnen. Lassen Sie uns nicht zu lange mit Lob und Anerkennung für unsere Mitmenschen warten. Wir alle sollten uns gegenseitig viel mehr loben und motivieren. Das Positive sollte immer gewinnen. Dafür sind wir alle selbst verantwortlich.