16.07.2019

Ein Trip nach Korea

Südkoreas Aufstieg in die Riege der größten Weltwirtschaftsmächte verlief rasant. Das spüren auch Friseure.

In nur 50 Jahren wandelte sich Südkorea vom Agrarstaat zum Exportstar. Treibende Kraft dahinter war schon immer der Staat, der Firmen wie Samsung, Hyundai und LG Unterstützung in jeder Form zukommen ließ.

Als die großen Konzerne im Zuge der asiatischen Finanzkrise der 90er-Jahre in Schwierigkeiten gerieten und mit milliardenschweren Hilfsprogrammen gerettet werden mussten, reagierte die Politik mit einer Diversifzierung der Wirtschaft. Unter anderem wurden nun auch Medien und Entertainment gefördert, was die Phänomene K(orean)-Pop und K-Drama (koreanische Seifenopern) ermöglichte, die ihrerseits die Basis für den bis heute anhaltenden Hype um K-Beauty bildeten.

Populär: Farben und Dauerwellen

Weil die Mitglieder der Boy- und Girl-Groups Schönheitsstandards setzen und in den TV-Serien Beautythemen mitunter essenzieller Teil der Handlung sind, ist der Druck auf modebewusste Verbraucher, von denen es gerade in Südkorea besonders viele gibt, enorm hoch. Ungeschminkt und unfrisiert geht hier niemand aus dem Haus! Doch beim reinen Stylen bleibt es nicht. Schon ein kurzer Spaziergang durch eine beliebige Einkaufsstraße zeigt, dass so gut wie jeder, Frauen wie auch Männer beinahe jeder Altersklasse, mindestens eine, meist sogar zwei sichtbare Friseurdienstleistungen in Anspruch nimmt. Haarfarben und Dauerwellen sind extrem populär und sorgen in den 120.000 Salons des Landes für den Löwenanteil der Umsätze. Und das ist auch nötig, weil die Salondichte viel höher ist als in Deutschland. Während hierzulande auf 1.000 Einwohner durchschnittlich ein Salon kommt, fallen jedem koreanischen Friseurladen rein rechnerisch nur 425 potenzielle Kunden zu.

Extreme Gegensätze

Ungeachtet dessen zählt die Branche 300.000 Beschäftige, deren Gehalt meist leicht oberhalb des landesweit durchschnittlichen Monatseinkommens von 1.900 Euro liegt. In Salons mittlerer Größe erwirtschaftet jeder Mitarbeiter einen jährlichen Durchschnittsumsatz von 90.000 Euro und der Gesamtumsatz der Branche ist mit umgerechnet knapp sechs Milliarden Euro ähnlich hoch wie der in Deutschland. Aber lassen Sie sich nicht täuschen – auch wenn in den letzten Zeilen das Wort „Durchschnitt“ überdurchschnittlich häufig vorkam, ist die koreanische Friseurszene alles andere als das, sondern, im Gegenteil, extrem gegensätzlich. Auf der einen Seite mit Salons im unteren Segment, die in Deutschland längst nicht mehr vorstellbar oder existenzfähig wären, und wohl auch für die vielen explodierten Dauerwellen auf den Köpfen der älteren Damen (und Herren!) verantwortlich gemacht werden müssen.

Im oberen Segment hingegen fnden sich Erfolgskonzepte, die beispiellos sind. Da gibt es Salons, die 24 Stunden geöffnet haben und das an 360 Tagen im Jahr; es gibt den Vorzeigesalon einer Friseurkette, der sich über 2.000 Quadratmeter Geschäftsfläche ausbreitet, und überhaupt und generell einen extrem ausgeprägten Hang zu Wachstum und Größe. Das hängt vermutlich mit dem koreanischen Jaebeol ( wörtliche Übersetzung: „reiche Sippe“) System zusammen, welches die gesamte Wirtschaft des Landes bestimmt und nach dessen Denkweise kleinen gewerblichen Einheiten wenig Bedeutung zugemessen wird.

Friseure als Spitzenverdiener

Aus der Menge der erfolgreichen und im gesamten Stadtbild vertretenen Franchises ragt insbesondere die unvergleichliche Erfolgsgeschichte von Juno Hair hervor. Von Inhaberin Kang Yunseon im Jahr 1982 gegründet, zählt das Unternehmen mittlerweile 148 Salons und beschäftigt rund 3.000 Mitarbeiter. Nach Angaben der Firmenleitung gibt es darunter mehr als 200 Friseure, die über 100.000 Euro im Jahr verdienen, die Spitzenperformer sogar noch deutlich mehr. In der kürzlich errichteten FirmenAcademy gibt es eine Wall of Fame, an der die Top-Verdiener in Bild und Zahl verewigt werden. Hier hängt das Foto des ganz sicher bestverdienenden angestellten Friseurs der Welt: In seinem bisher erfolgreichsten Monat erreichte er einen Umsatz von 130.000 Euro! Eine Leistung, die dem Porsche- und Mercedesfahrer natürlich nur mithilfe einer ganzen Reihe von Assistenten und sehr preisintensiven Dauerwellbehandlungen gelingt. Dass sich solche Erfolge auch für die Inhaberin lohnen, sieht man daran, dass die beiden firmeneigenen Gebäude, ein fünfstöckiger Edelsalon und die Academy, einen Immobilienwert von jeweils 50 Millionen Dollar haben.

Einfache Botschaft, die überzeugt

Auch wenn das Streben nach solchen Dimensionen in Deutschland unvorstellbar ist, kann ein bestimmtes Detail doch als Vorbild dienen: Storytelling als Motivations- und Kundenbindungswerkzeug spielt in koreanischen Spitzensalons immer eine große Rolle. So auch bei Juno Hair, wo der Gründungs- Mythos – Frau Kang Yun-seon machte sich nur deshalb selbstständig, weil ihr damaliger Chef eine Kundin unfreundlich behandelte und sie das nicht mittragen, sondern besser machen wollte – in Stein gemeißelt und für alle und immer sichtbar aufgehängt wurde. Das mag sich nach einer banalen Geschichte anhören, doch gerade diese einfachen Botschaften bleiben hängen und tragen dazu bei, das Unternehmen mit der Bedeutung aufzuladen, die es nach innen, wie auch nach außen stärkt und zu etwas Besonderem macht.

Zum Schluss noch eine Warnung an reisefreudige Kollegen, die sich unterwegs immer mal gerne die Haare schneiden lassen: Nicht alles, was in Korea nach Friseursalon aussieht, ist auch einer! Vor allem wenn sich zwei nebeneinander angeordnete Barbersäulen vor dem Laden drehen, wird drinnen, ungeachtet der vollmundigen Versprechungen auf „Beauty Hair“, weder Schnitt noch Styling angeboten, sondern: schnöde Sexarbeit.

Autor: Thomas Kühn