30.08.2018

Flüchtlinge als Figaro

Flüchtlingen eine Chance geben und sie im Salon einstellen oder ausbilden, kann für beide Seiten bereichernd sein.

Rund 11.000 Flüchtlinge aus einem der acht Asylzugangsländer außerhalb Europas absolvieren in Deutschland eine Ausbildung im Handwerk. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks verbucht das als Erfolg. Doch die Integration von Menschen aus Afrika oder dem arabischen Sprachraum in den Salonalltag verlangt von den Beteiligten Geduld und Durchhaltevermögen, damit das Ergebnis stimmt.
Der erste Kunde, den Naser Kassem in Deutschland unter die Rasierklinge bekam, war Heiko Schneider. Der Inhaber des SalonsHaarSchneider in Hoyerswerda wollte sehen, was der Mann konnte, der mit Frau und Kindern 2013 aus dem Libanon floh. Der mit seinem Betreuer im Laden stand und erklärte, er sei Friseur und wolle bei ihm ein Praktikum machen. Schneider war schnell überzeugt von den Qualitäten des inzwischen 41-Jährigen, sah die Chance etwas Neues zu bieten. Denn Kassem beherrscht perfekt, was in Ländern des arabischen Sprachraums zur Männerpflege gehört: Nassrasur sowie Faden- und Wachstechnik.
Aus dem Praktikum wurde eine sechsmonatige Qualifizierungsmaßnahme. Im Februar 2015 schlossen beide einen regulären Arbeitsvertrag für eine Vollzeitstelle ab. Seither arbeitet Kassem zum Mindestlohn im  Männerbereich bei Schneider und ist so etwas wie ein Musterbeispiel für gelingende Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt.
Kassems Barbier-Qualitäten haben sich herumgesprochen. „Naser wird bei uns nachgefragt und hat sich durch seinen Fleiß einen eigenen Kundenstamm aufgebaut“, erzählt Saloninhaber Schneider. Auf seinem Stuhl sitzen Männer aus einem Umkreis von 40 Kilometern. „Er bietet einfach ein Alleinstellungsmerkmal.“ Auch Frauen buchen inzwischen Termine, um sich störende Haare im Gesicht entfernen zu lassen.  Seit 18 Monaten arbeitet er sogar als Trainer für Bartpflege im orientalischen Stil. Doch Schneider kann sich auch an die Hürden der ersten Monate erinnern. „Anfangs konnten weder Krankenkasse noch Finanzamt sagen, wie alles läuft. In unserer Region war Naser der erste angestellte Flüchtling“, blickt Schneider zurück. Ohne Unterstützung in Verwaltungsdingen sowie im sprachlichen Bereich könne das ein Flüchtling kaum schaffen. Auch die Anpassung an die Gepflogenheiten in Deutschland sei für Kassem schwer gewesen. „In seiner Kultur ist der Friseur der Chef, hier der Kunde. Das zu lernen, war ein Prozess.“ Kassem hat dazugelernt, beherrscht heute auch Haarschnitte, die im Libanon nicht gefragt sind. Und er ist schneller geworden, hält Termine ein, hat aber seine akkurate Arbeitsweise beibehalten. Schneider schätzt sich glücklich, Kassem im Team zu haben. „Er würde eine Lücke ins Team reißen, wenn er gehen müsste.“ Das Risiko besteht: Kassem ist mit seiner Familie von der Abschiebung bedroht, die Zukunft ist ungewiss.

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Simone und Markus Herrmann mit Azubi Ahmed Karimi (Mitte). >< Foto: Privat

Nationalität ist egal

Was Schneider sich nicht so recht vorstellen kann, nämlich einen Flüchtling auszubilden, ist bei Simone Herrmann im Ravensburger Salon Haare seit zwei Jahren Alltag. Kennengelernt hatte die engagierte Friseurmeisterin Ahmed Karimi bei einer öffentlichen Aktion im Zentrum der oberschwäbischen Stadt. Dabei schnitten Friseure, darunter auch Flüchtlinge, Passanten die Haare. Karimi hatte sich beim Casting im Vorfeld geschickt angestellt und äußerte den Wunsch, in Deutschland eine Ausbildung zum Friseur zu machen. Herrmann hat Erfahrung mit Mitarbeiterinnen aus anderen Ländern. „Bei mir stehen fachliche und soziale Kompetenz im Vordergrund, Nationalität und Hautfarbe sind für mich gleichgültig.“ Und so gab sie dem Flüchtling aus Afghanistan die Chance, einen deutschen Gesellenbrief zu erwerben. „Klar ist, der 22-Jährige braucht mehr Aufmerksamkeit, zumal sein Deutsch noch nicht so flüssig ist.“ Auch an Pünktlichkeit müsse man ihn immer wieder erinnern. Doch was zählt: „Karimi ist fleißig, aktiv, schaut zu, probiert aus. Da ist einfach Biss dahinter, ein wahnsinniges Durchhaltevermögen.“ Aber auch für Karimi ist die Zukunft in Deutschland ungewiss. Der Abschiebungsbescheid liegt bereits vor. „Momentan sind wir froh, dass er noch da ist“, sagt Herrmann. Sie hofft auf die 3+2-Regelung. Dann könnte Karimi die Ausbildung fertig machen und zumindest noch zwei Jahre bei ihnen arbeiten. 

Negative Erfahrungen

Nicht so positiv sind dagegen die Erfahrungen von  Laura Ferlmann, die ein paar Straßen weiter in Ravensburg den Salon Haarbasis mitbetreibt. Ein syrischer Flüchtling, der seinen Ausbildungsvertrag ab September 2017 bereits in der Tasche hatte, sagte ein paar Tage vor Arbeitsbeginn ab. „Das war für uns eine große Enttäuschung“, blickt die Friseurmeisterin zurück. Auch mit dem zweiten Flüchtling im Betrieb läuft es nicht rund. Er absolviert bereits zum zweiten Mal ein Einstiegsqualifizierungsjahr, sein Deutsch aber bleibt holperig. Ferlmann hat Zweifel daran, dass der Gambier, der sein Alter momentan mit 26 angibt, die Wiederholungsprüfung zum B1-Niveau schaffen wird. Doch ohne das Sprachzertifikat endet die Anstellung bei Haarbasis, bekommt er keinen Lehrvertrag. „Unsere Geduld ist langsam am Ende.“ Zumal er wenig Entwicklung im Fachlichen zeigt. „Er ist kein Typ, der Modelle bringt, dazu fehlt die Initiative.“ Engagement und Offenheit, das ist es, was sich Ferlmann wünscht.
Dennoch bereut sie ihre Entscheidung nicht, Flüchtlingen eine Chance zu geben: „Wir würden das wieder machen“, sagt sie, „wären aber zurückhaltender mit der finanziellen und betrieblichen Förderung.“

Vom Flüchtling zum Arbeitgeber

Ganz anders liegen die Dinge bei Hassan Abdallah, der seit vier Jahren als Flüchtling anerkannt ist. Ohne Papiere, Deutschkenntnisse und Geld gelangte er mit seiner Frau und drei Kindern im Mai 2013 ins süddeutsche Rottweil. Seinen Salon mit 13 Mitarbeitern im nordsyrischen Ras-Al-Ain hat der gelernte Friseur zurückgelassen. Doch Abdallah ist eine Kämpfernatur. Mit den ersten Deutschkenntnissen im Gepäck ging er auf Stellensuche, jobbte in Imbissbetrieben und als Friseur, knüpfte Kontakte und arbeitete seinem Ziel entgegen: sich selbstständig zu machen. Im Juli 2017 war es dann soweit. Mit finanzieller Unterstützung aus Syrien und viel Eigenleistung eröffnete Abdallah im Rottweiler Stadtzentrum seinen H&R Barbershop, stellte eine Meisterin sowie zwei Friseure ein und bietet auf 55 Quadratmetern vor allem Männern Haar- und Bartpflege wie in der Heimat. Abdallahs Fähigkeiten sind gefragt. Seine Kunden nehmen auch längere Wartezeiten in Kauf für eine akribische Bartpflege vom Chef. Nun hofft der 38-Jährige, dass seine Berufserfahrung soweit anerkannt wird, dass er in Deutschland den Meister machen kann. Dann sieht er weiter.

Rechtliche Grundlagen:

Flüchtlinge mit Aufenthaltserlaubnis dürfen grundsätzlich eine staatlich anerkannte Ausbildung in einem Unternehmen absolvieren. Bei Geduldeten und Asylbewerbern entscheidet die Ausländerbehörde, ob sie arbeiten dürfen. Ist ein Flüchtling nur geduldet, kann er unter Umständen auch während der Ausbildung ausgewiesen werden. Für die Einstellung ist kein Zeugnis über Schul- oder Berufsabschlüsse nötig. Die Anerkennung von im Ausland erworbenen
Berufsabschlüssen regelt das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz (BQFG). Interessant kann das für eine eventuelle Lehrzeitverkürzung sein. Erste Anlaufstelle ist die Handwerkskammer.
Praktika oder Einstiegsqualifizierungen (EQ) bieten Flüchtlingen die Möglichkeit, in Betriebe hineinzuschnuppern und eine Brücke zur betrieblichen Ausbildung schlagen. Ein Einstiegsqualifizierungsjahr (EQJ) dauert in der Regel sechs Monate bis ein Jahr und kann auf das erste Lehrjahr angerechnet werden. Bei der Einstiegsqualifizierung Sprache (EQS) liegt der Schwerpunkt auf dem Spracherwerb. Der Flüchtling ist drei Tage im Betrieb, zwei Tage im Sprachkurs. Die Zeit kann nicht auf eine Ausbildung angerechnet werden. Während der EQ wird der Arbeitgeber von der Agentur für Arbeit finanziell unterstützt. Die Teilnahme an einer EQ schützt den Flüchtling in der Regel nicht vor einer möglichen Ausweisung.
Sprachkenntnisse sind für einen Friseur im Umgang mit Kunden und Kollegen unerlässlich. Wer in Beruf und Berufsschule mitkommen will, sollte zumindest die B1-Qualifikation besitzen. Hat ein Flüchtling das Bleiberecht, kann der Ausbildungsbetrieb ausbildungsbegleitende Hilfen oder assistierte Ausbildung beantragen. Diese wird über die Agentur für Arbeit finanziert.
Erste Beratung zur Beschäftigung von Flüchtlingen bieten Helferkreise oder Flüchtlingsbetreuer vor Ort. Fachspezifische Beratung bekommen Betriebe wie Flüchtlinge zudem bei den Handwerkskammern, die bundesweit speziell geschulte Berater stellen.

Weiterführende Links:

Anerkennung von ausländischen Berufsqualifikationen:
www.anerkennung-in-deutschland.de

Bundesministerium für Bildung und Forschung:
www.bmbf.de

Agentur für Arbeit:
www.arbeitsagentur.de

Zentralverband des Deutschen Handwerks:
www.zdh.de

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge:
www.bamf.de

 

Text: Elke Reichenbach