In sechs Musterverfahren hat der 14. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in Mannheim über die Rückzahlung von Corona-Soforthilfen entschieden. In fünf Fällen sind die Widerrufs- und Erstattungsbescheide der L-Bank rechtswidrig. Damit bestätigt der VGH die Urteile der Verwaltungsgerichte.
Inhaltsübersicht
- Soforthilfen im ersten Lockdown
- Verwaltungsgerichte geben Unternehmern Recht
- Rechtsvertreter spricht von Meilenstein
- Die Bedeutung über Baden-Württemberg hinaus
- „VGH spricht außergewöhnlich klar“
- Was heißt das für Betroffene?
- Klagen lagen bislang auf Eis
Friseurunternehmer Holger Schier aus Heidenheim, der hinter einem der sechs Musterverfahren steht, ist erleichtert, fühlt sich bestätigt in seinem Weg, den er beschritten hat und berichtet im Telefonat mit TOP HAIR: „Meine Kundinnen und Kunden haben applaudiert, als ich es hier im Salon erfahren habe!“
Soforthilfen im ersten Lockdown
Konkret ging es um die Rückzahlung der Corona-Soforthilfen, die während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 beantragt werden konnten. Die L-Bank Baden-Württemberg entschied über diese Anträge. Für das Stellen der Anträge mussten Formulare verwendet werden, in denen die Antragssteller eine Prognose ihres erwarteten sogenannten Liquiditätsengpasses für die folgenden drei Monate abgeben mussten. Die Antragsformulare bis einschließlich 7. April 2020 und ab dem 8. April 2020 andererseits seien in dieser Hinsicht im Einzelnen unterschiedlich formuliert gewesen, schreibt der VGH in einer Pressemeldung.
Verwaltungsgerichte geben Unternehmern Recht
Im Herbst 2021 mussten die Empfänger der Corona-Soforthilfen an einem Rückmeldeverfahren teilnehmen, um den tatsächlichen Liquiditätsengpass im Jahr zuvor zu verifizieren. Die Kläger der sechs Musterverfahren nahmen daran teil und erhielten im Sommer 2022 von der L-Bank einen Bescheid, der die Corona-Soforthilfen ganz oder teilweise zurückforderte. Die Unternehmer, neben Friseur Holger Schier auch ein Hotelbetrieb, ein IT-Unternehmen, ein Hersteller von Pflegeprodukte (Fallgruppe 1) zogen dagegen vor Gericht und erhielten beim jeweils zuständigen Verwaltungsgericht im vergangenen Jahr Recht. Die L-Bank legte daraufhin Berufung ein.
In der zweiten Fallgruppe, die vor dem VGH verhandelt wurde, handelte es sich um zwei Fälle (Winzer und Fahrschulbetreiber), deren Anträge ab dem 8. April 2020 gestellt wurden und in denen die L-Bank die zweite Fassung des Bewilligungsbescheids verwendet hatte. Diese Klagen blieben vor den Verwaltungsgerichten erfolglos und die Kläger erhoben Berufung. Im Falle des Fahrschulbetreibers wiesen die VGH-Richter jetzt allerdings auch diese Klage ab.
Rechtsvertreter spricht von Meilenstein
Für die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer, die auch Friseurunternehmer Holger Schier vertrat, ist das Urteil ein Meilenstein: Der Verwaltungsgerichtshof folge in zentralen Punkten ihrer Argumentation – insbesondere zur „fehlenden Bestimmtheit der Bewilligungsbedingungen und zum Vertrauensschutz der Antragsteller“, heißt es in einer Pressemeldung der Kanzlei. Insbesondere ließen die Rückzahlungsbescheide nicht in ausreichendem Maße erkennen, dass von den Antragstellern eine Gegenüberstellung ihrer Einnahmen und Ausgaben (im Sinne einer Saldierung) für die auf die Antragstellung folgenden drei Monate vorgenommen und der L-Bank mitgeteilt werden sollte.
Die Bedeutung über Baden-Württemberg hinaus
Die Urteile haben aus Sicht der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer weitreichende Bedeutung über Baden-Württemberg hinaus: Der VGH stellte klar, dass eine Bewilligung von Soforthilfen eine rechtlich verbindliche Zuwendung war. Eine spätere Korrektur dürfe nur erfolgen, wenn nachweislich falsche Angaben gemacht wurden – was in den verhandelten Verfahren nicht der Fall war.
„VGH spricht außergewöhnlich klar„
„Der VGH hat in außergewöhnlicher Klarheit ausgesprochen, dass die Soforthilfen keine Darlehen sind“, betonte Fachanwalt Marc Malleis von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer, der zwei der fünf Musterverfahren führte. „Unsere Mandanten konnten sich auf die Zusagen des Staates verlassen. Dieses Urteil stärkt nicht nur Unternehmer, sondern auch das Vertrauen in die Verlässlichkeit öffentlicher Verwaltung.“
Mit der jüngsten Entscheidung habe der VGH Baden-Württemberg die erste obergerichtliche Leitlinie im bundesweiten Streit um Corona-Soforthilfen geschaffen, ordnet die Kanzlei das Urteil ein. Viele Verwaltungsgerichte hatten zuvor ähnlich entschieden, doch eine klare Linie der Obergerichte fehlte bislang.
Was heißt das für Betroffene?
Für Betroffene, bedeutet das, dass die Rückforderungsbescheide jetzt schlechte Erfolgsaussichten haben, und dass Unternehmer, die gegen die L-Bank geklagt haben, auf positive Entscheidungen hoffen können, erläutert ein Sprecher der Kanzlei. Wer bisher gezahlt oder keinen Widerspruch eingelegt habe, sollte prüfen, ob eine Rückforderung noch angegriffen werden könne.
Klagen lagen bislang auf Eis
Der VGH führte die Verfahren als Musterverfahren. Bei den Verwaltungsgerichten sind derzeit noch rund 1.400 Klagen und bei der L-Bank rund 5.500 Klagen bzgl. der Erstattung von Corona-Soforthilfen anhängig, heißt es in der Pressemeldung des VGH. Diese ruhten bis zur Entscheidung in den Musterverfahren.
Der VGH lässt keine Revision zu.
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