09.07.2020

Kräfte bündeln!

Als Paar aus den Einkünften eines Handwerksbetriebs zu leben, birgt Chancen, aber auch Risiken.

Das zeigt nicht zuletzt die Corona-Pandemie. Von heute auf morgen mussten alle Salons in Deutschland ihre Türen schließen, auch in Bad Schwartau, Rellingen, Reutlingen und Pforzheim. In allen Städten führen Ehepaare gemeinsam einen Salon – sie am Stuhl, er hinter dem Schreibtisch.

Im Duett

„Ich mache alles außer Haare schneiden“, sagt Ralf Steinhoff. Selbstbewusst beschreibt der Mittfünfziger seinen Werdegang vom Betriebswirtschaftsstudenten zum Geschäftsführer eines Friseursalons. Als Steinhoff seine Frau in den Achtzigerjahren kennenlernte und ihr schon damals im kleinen Bonner Salon bei der Büroarbeit unter die Arme griff, belächelten ihn seine Studienkollegen wegen seines Engagements in einem Friseurbetrieb. „Arrogant war das“, sagt Steinhoff rückblickend. Heute sind Ralf und Astrid Steinhoff erfolgreiche Unternehmer: 14 Mitarbeiter, 250 Quadratmeter Fläche und schnelles Wachstum kennzeichnen den La Biosthétique-Salon Steinhoff Haardesign in Reutlingen.

An einem Strang

Für Steinhoffs war schon in jungen Jahren klar: Zwei Selbstständigkeiten parallel zu führen, ist für sie nicht gut. Das Ehepaar bündelte seine Kräfte, arbeitete über Jahre hinweg gemeinsam an der Vision eines „großen, mondänen Wellness-Salons“. Fehlschläge inklusive: Als „schmerzvollen Prozess des Wandels“ bezeichnet Steinhoff den Weg. 2001 wagten beide den Sprung vom Rheinland nach Süddeutschland, merkten dort, dass der Salon nicht zu ihnen passte, tauschten erst Team, dann Kundschaft aus, erlebten schwere gesundheitliche Rückschläge. Zehn Jahre danach ergriffen sie die Gelegenheit, in der „Alten Feuerwache“ Reutlingens ein maßgeschneidertes Refugium aufzubauen. Ralf Steinhoff bezeichnet das gemeinsame Einkommen aus dem Salon als „Fluch und Segen“ zugleich: Finanzielles Risiko und gemeinsames Arbeiten an einer Vision halten sich die Waage. Zweifel an der Entscheidung für die Doppelspitze gibt es für ihn dennoch nicht. „Zwei Kräfte geben etwas
Großartiges“, ist er sicher.

Perfekte Ergänzung

Wo er das Unternehmen risikobewusst strategisch vorantreibt, ist seine Frau der ruhende Pol. „Sicherheitsbewusst und brillant in der Salonorganisation. Zusammen sind wir fast symbiotisch“, fasst er zusammen. Auch wenn er niemandem pauschal raten könne, den gleichen Weg einzuschlagen, gilt für ihn: „Ich bin stolz darauf, was wir zusammen geschafft haben und kann mir kein anderes Leben vorstellen.“

Foto: Thomas Lüttig

Karriere als Friseurunternehmer

Tim Mehlfeld aus Bad Schwartau fährt ein ähnliches
Modell.
Der studierte Betriebswirt mit sieben Jahren Erfahrung als Unternehmensberater entschloss sich vor gut zwei Jahren, mit seiner Frau gemeinsam den Salon Mehlfeld zu führen. Der Wendepunkt kam während der Schwangerschaft Jacqueline Mehlfelds. Als sie drei Monate ausfiel, fehlte dem La Biosthétique-Salon mit neun Mitarbeitern die Führung. Schnell gerieten Mehlfelds an die Grenzen ihrer Kräfte. Beiden wurde klar: „Wir brauchen eine neue Lösung.“

Neustart

Tim Mehlfeld entschloss sich von heute auf morgen, seinen Job an den Nagel zu hängen und eine Karriere als Friseurunternehmer zu starten. Eine Entscheidung, die er nicht bereut, die beiden Zeit lässt für ein Familienleben mit Kleinkind. „Ich würde das definitiv wieder so machen“, sagt der 31-Jährige. „Ich habe schätzen gelernt, mit jemandem ein Unternehmen zu führen, dem ich absolut vertrauen kann.“ Tim Mehlfeld hat genau nachgerechnet, ob der Betrieb die ganze Familie wirtschaftlich trägt, bevor er und seine Frau dem Salon in ihrem Leben einen völlig neuen Stellenwert verliehen. Der Kassensturz nach einem Jahr ergab: „Wir machen definitiv
gemeinsam weiter.“

Das junge Paar will sein Unternehmen in den kommenden Jahren voranbringen und vom „local hero mit sehr, sehr gutem Ruf“ zum Top-Arbeitgeber auf hohem Niveau und mit regionaler Ausstrahlung bis nach Lübeck hinein
avancieren. Dafür sind Engagement und Unternehmensgeist gefragt.

Vertrauen als Basis

Vertrauen ist auch für Marion und Stefan Brühl die Grundlage ihrer Arbeit im gemeinsamen Unternehmen in Rellingen. Und eine klare Aufgabenteilung. Stefan Brühl, der als studierter Wirtschaf tsingenieur viele Jahre ein IT- Systemhaus leitete, stieg vor sechs Jahren bei seiner Frau als Geschäf tsführer im gleichnamigen Salon ein. Bereits zuvor lagen Buchhaltung, Controlling und Personal wesen in seiner Hand. Doch das kostete im stetig wachsenden Geschäft zu viel Kraft: „Ich hatte eine hektische Zeit und habe unendlich viel gearbeitet“, sagt Stefan Brühl von sich selbst.

Schere und Rechenschieber

Nun führt das Mittfünfziger-Paar zwei Salons mit knapp 20 Mitarbeitern in der Kleinstadt vor den Toren Hamburgs gemeinsam – und legt dennoch Wert auf räumliche Trennung. Während sie am Stuhl die Schere klappern lässt, macht er im Büro oder von zu Hause aus die Buchhaltung, wertet Umsatzzahlen aus, erstellt Arbeitsverträge, entwickelt Stellenbeschreibungen. Personalgespräche führen beide zusammen, und auch sonst ist er für Fragen der Mitarbeiter da. „Die betrachten ihn genauso als Chef wie mich“, sagt Marion Brühl.

Die Entscheidung, seinen Betrieb zugunsten des Salons zu verkaufen, würde Stefan Brühl heute wieder treffen, auch wenn er Risikoverteilung nicht für verkehrt hält. Am Anfang habe er die Leitung eines Friseurunternehmens unterschätzt, gesteht er. Da sei ein breites Spektrum von Qualifikationen gefragt: „Ein Hobby ist das nicht.“ Doch das Menschliche in der Branche gefällt ihm, man treffe durchweg nette Menschen. Marion Brühl ist derweil froh über die Entlastung in der Unternehmensverwaltung. Das gibt ihr Zeit für das, was ihr am wichtigsten ist: „Ich habe zu viel Spaß daran, Haare zu machen, um darauf zu verzichten.“

Foto: La Biosthétique

Zweigleisig erfolgreich

In Pforzheim gibt Regina Happel-Reiling dem Beauty-Park mit 170 Quadratmetern Fläche seit 1997 ihren Namen. Bereits 1983 gründete sie ihr Beauty-Center in Pforzheims Stadtmitte, bevor sie 1997 in das Parkhotel umzog. Der 2017 von TOP HAIR als „Salon des Jahres“ (Kategorie „Best Practice“) ausgezeichnete Salon hat mehr als 20 Mitarbeiter und zwölf Bedienplätze im Friseurbereich. „Vier Wellnessräume im Beauty-Spa-Bereich sorgen für mehr als ein Fünf tel Verkaufsanteil“, so Happel-Reiling. Bei Marketing, Recruiting, Rechnungswesen, Technik und Controlling unterstützte sie von Anfang an Ehemann Andreas – der sich auch nicht zu schade ist, mal Kaffee zu kaufen oder eine Glühbirne auszuwechseln.

Doppelte Kraft

Für Regina Happel-Reiling ist klar: „Ein Geschäft dieser Größe ist nur erfolgreich, wenn es auf vier Schultern ruht.“ Ihr Mann, da ist sich die 63-Jährige sicher, hat zudem viel gelernt, für sich und sein eigenes Unternehmen. Denn anders als Brühl, Mehlfeld und Steinhoff kümmert sich Andreas Reiling nicht nur um den Salon. 50 Mitarbeiter zählt die 1996 gegründete Softwareschmiede des Diplom-Mathematikers, die Produkte zur Optimierung und Effizienzsteigerung für Produktionsmaschinen anbietet. Der Salon ist dennoch der Lebensmittelpunkt des Paares. In den 43 Jahren ihrer Partnerschaft und Ehe war das noch nie anders: „Unser Leben war sehr arbeitsintensiv“, sagt die Unternehmerin. Einen Nachteil sieht sie darin nicht: „Die finanzielle Sicherheit hat mir immer Kraft gegeben.“

STARKE PAARE  

Rund drei Viertel aller Handwerksbetriebe werden inzwischen laut Zentralverband des Handwerks von Unternehmerpaaren geleitet. Allerdings sind nur zehn Prozent der mitarbeitenden Lebenspartner Männer, ansonsten ist der Mann der Chef. Das belegt eine Studie des Deutschen Handwerksinstituts.

Im Friseurhandwerk dominieren die Frauen schon seit Langem, besetzen rund 90 Prozent der Arbeitsplätze, stellen fast drei Viertel der Saloninhaber. Doppelspitzen von (Ehe-)Paaren wie in anderen Gewerken sind allerdings selten.