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15.03.2022

Friseur-Aktionen für die Ukraine

Es ist eine Herzensangelegenheit für viele Friseur*innen, sich seit Beginn des Krieges in der Ukraine zu engagieren, um den Menschen im Kriegsgebiet zu helfen. So wurden innerhalb kurzer Zeit tolle Hilfs- und Spendenaktionen auf die Beine gestellt.

„Leute, ich muss was tun“, entschied Michele Terlizzi, als er mit seiner Familie am Frühstückstisch saß. Sein Mann ermutigte ihn, sagte, „starte einen kleinen Spendenaufruf, mach den Bus voll, fahr runter und nimm sechs Leute mit.“ Das war zu Beginn des Krieges. Aus den sechs Menschen sind 121 geworden, die er in seiner Heimatstadt Kempten und Umgebung untergebracht und über 250 Tonnen an Hilfsgütern, die er gemeinsam mit vielen weiteren Helfern in die Ukraine gebracht hat. „Das hat so überhandgenommen, dass ich für zwei Wochen meinen Salon geschlossen habe“, erzählt der Friseurmeister. Privat habe ihn das 40.000 Euro gekostet, aber das sei es ihm wert gewesen. „In dem Moment denkst du: Geld ist nicht alles! Wenn man die Kinder dort sieht, das ist einfach schrecklich, man kann sich das gar nicht vorstellen, man muss da live dabei gewesen sein.“ Mittlerweile ist Michele so gut aufgestellt, dass sich sogar das Rote Kreuz gemeldet hat, um sein Netzwerk mitzubenutzen. Er müsse sich aber nun langsam wieder zurückziehen, sagt er. „Wir haben den Ball ins Rollen gebracht, aber das müssen wir jetzt den Städten überlassen.“ Ein Problem sei mittlerweile auch, weitere Geflüchtete privat unterzubekommen. Ganz aufhören zu helfen möchte Michele aber nicht. "Wir sammeln weiterhin Medikamente, die wir dann runterbringen." Ein Sprinter mit Medikamenten sei nun auf dem Weg in die Nähe der Entbindungsklinik, die kürzlich bombadiert wurde, erzählt er. „Wir haben unser Bestes getan und unterstützen weiter – und ich bin froh, dass es so gelaufen ist.“ „Glauben Sie mir, dass, was ich jetzt gesehen habe, hat mir gezeigt, dass mein Leben ein Sechser im Lotto ist.“

„Nachdem wir sehr schnell erkannt haben, welche schreckliche Entwicklung der Krieg in der Ukraine nimmt und wie sehr die Menschen dort von all dem Leid betroffen sind, haben wir uns dazu entschlossen, eine große Spendenaktion ins Leben zu rufen“, so Maik Gildhorn von Gildhorn Intercoiffure in Lübeck. Er und sein Team spendeten einen kompletten Netto-Tagesumsatz inklusive Kundenspenden und Trinkgeldern in Höhe von 4.699 Euro an „Ärzte ohne Grenzen“. „Dass wir uns im Team einmal Gedanken machen würden, Menschen in Europa, die sich im Krieg befinden, durch eine Spendenaktion zu unterstützen, hätten wir uns selbst niemals vorstellen können. Und wir hoffen, dass sich noch viele Unternehmen dazu entschließen werden, ebenfalls zu spenden. Uns geht es in Deutschland sehr gut und es ist unsere Aufgabe und Mission, nun auch Menschen in akuter Not zu helfen.“

„Bei Kriegsbeginn habe ich direkt alle meine Kumpels angeschrieben sowie einen Bekannten, der bei der Zeitung arbeitet", sagt Alexander Messerschmid. Den Journalisten bestellte der Friseurmeister direkt für den kommenden Tag in seinen Salon in Günzburg - ein Artikel in der Lokalzeitung sollte auf seine geplante Spendenaktion aufmerksam machen. Mittlerweile ist daraus ein gigantisches Netzwerk mit über 400 Helfern geworden, die momentan, so wie Alexander Messerschmid selbst, jede Minute ihrer Freizeit damit verbringen, um Spenden zu sammeln, zu sortieren und Fahrten in die Ukraine zu organisieren. „Es ist schon krass, wie viele Spenden wir bekommen haben“, erzählt der Friseurmeister, der nicht nur in Günzburg, sondern auch in München einen Salon führt und dort ebenfalls gut vernetzt ist. „Mit der ersten Fahrt haben wir 50 Waisenkinder gemeinsam mit ihren Betreuern nach Augsburg in das dortige Kinderheim gebracht, mit meiner Münchner Clique 780 Menschen mit dem Zug. Dort gab es ganze Abteilungen nur mit Essen und Getränken, in einem anderen Abteil konnten die Flüchtlinge medizinisch versorgt werden. „Schon ein Akt, aber es geht alles“, so Messerschmid. „Das Gute ist: Friseure kennen ja gefühlt jeden. Und so habe ich auch einen Bekannten bei der Bahn, der das alles geregelt hat“, erzählt er. Wer helfen möchte, könne auch helfen, „da findet man immer eine Lösung“. Für viele der Flüchtlinge werden noch Wohnungen gesucht, 150 von ihnen wurden zunächst in Wohncontainern untergebracht. Sein Tatendrang ist trotz Dauerbelastung ungebrochen. „Ich denke, das wird auch noch eine Weile weitergehen – selbst der Aufbau der Ukraine, wenn der Krieg vorbei ist, wird seine Zeit brauchen. Und deshalb müssen wir schauen, dass die Menschen gut unterkommen.“

Die Hilfsbereitschaft ist riesengroß

Stefanie Kritsch, Friseurmeisterin aus Wemdingen, schrieb zunächst die Innung an, mit der Frage, wie man helfen könne. So wurde dann der Kontakt zu einer ukrainischen Kollegin hergestellt, es folgte ein Spendenaufruf in den Sozialen Medien. Mit großem Erfolg: Innerhalb kürzester Zeit stapelten sich in einem Wemdinger Unternehmen Hygiene-Artikel, Medikamente und haltbare Lebensmittel. „Es ist unglaublich, wie groß die Hilfsbereitschaft ist“, freut sich die Friseurmeisterin. „Sogar Rollstühle und Gehhilfen wurden gespendet.“ Die erste Fahrt mit zwei Sprintern und einem LKW startete letzten Samstag, von dort wurden Sachen an die polnische Grenze gebracht und an die Bedürftigen verteilt. „Auch zu mir in den Salon wurde Babynahrung sowie Medizin gebracht, es ist überwältigend!"
Gesammelt wird zunächst noch bis zum 18. März. "Wir werden die Lage aber weiter beobachten und schauen, ob wir dann noch gebraucht werden."

"Was geht denn hier ab?"

„Die Bilder aus dem Kriegsgebiet haben mich brutal mitgenommen“, erzählt Barber Burak Onur aus Saarbrücken. Er war gerade unterwegs, als ihn jemand kontaktierte, den er bisher nur aus vorherigen Geschäftsbeziehungen kannte, jedoch noch nie persönlich gesehen hatte. „Ich wusste bis dahin gar nicht, wo er wohnt“, erzählt er. „Er hat mich gefragt, ob wir in Deutschland Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen“, so Onur, der in Saarbrücken "The Barbershop" führt. „Ich habe gedacht, was geht denn jetzt hier ab?“ Wie sich herausstellte, handelte es sich bei den Flüchtlingen um die Frau des Geschäftskollegen sowie seine zehnjährige Tochter. "Ich habe ihm gesagt, ich kümmere mich. Und da ich hier in Saarbrücken ein gutes Netzwerk habe, hatte ich innerhalb von fünf Minuten eine Wohnung organisiert“, berichtet Burak. Mutter und Tochter sollten zunächst in Berlin ankommen, dann nach Saarbrücken weiterfahren. „Und das ohne Hilfe? Das ist doch Wahnsinn", fand Burak und mobilisierte einen Freund aus Kindertagen, der in Berlin als Techno-DJ arbeitet. "Den habe ich angerufen und gebeten, die Beiden in Berlin in Empfang zu nehmen.“ Dieser habe ohne zu überlegen zugesagt, eine sim-Karte, Essen und Trinken sowie Ukraine-Helptickets für die Weiterfahrt nach Frankfurt besorgt. „Dort haben meine Frau und ich die Zwei abgeholt. Die Frau war sehr verschreckt und zurückhaltend, die Tochter auch. Es ist entsetzlich - was müssen sie gerade erleben?“ Für Burak war klar, dass dies noch nicht das Ende seiner Hilfe war. Kaum in Saarbrücken angekommen, startete er eine Spendenaktion, mit dem Ziel, vom dem Spendengeld Dinge zu kaufen, die gerade in der Ukraine am meisten gebraucht werden. „Wir haben zwei Tage in meinem Barbershop Haare geschnitten, ein Kollege aus Köln ist extra gekommen, um uns zu unterstützen." Gespendete Kuchen sowie Kaffee und andere Getränke brachten schließlich gemeinsam mit den Haarschnitten stolze 4137 Euro ein. Von dem Geld wurden acht Aggregate, 200 Taschenlampen, 100 Powerbanks und Müsliriegel gekauft. „Das war ein ganzer LKW voll!“ Über seine Beweggründe sagt Burak: „Jeder hat mal einem Menschen mit Kleinigkeiten geholfen. Das hier ist aber noch mal etwas anderes. Wenn man jetzt in dieser Situation hilft – da geht es einem selbst richtig gut mit!“

Ablenkung für ein paar Stunden

Auch Friseurmeister Marcel Schneider aus Nürnberg haben die Geschehnisse in der Ukraine tief erschüttert. Er bietet geflüchteten Familien an, sich in seinem Salon „Coiffeur by Marcel“ verschönern zu lassen. „Ich möchte,  dass sich die Familien bei mir im Salon wohlfühlen", sagt der Friseurmeister. Natürlich wisse er, dass Haareschneiden in diesen Zeiten nicht das Wichtigste sei, aber er hoffe, die Familien so ein bis zwei Stunden ablenken zu können. Marcel Schneiders Familie erlebte am eigenen Leib, was es bedeutet, alles zu verlieren. „Meine Mutter und Großeltern wurden aus dem damaligen Sudetenland (heute Tschechien) zwangsenteignet und mussten fliehen. Bis heute hat uns das in der Familie nicht losgelassen“, erzählt Marcel.

Mit Glitzertattoos und Waffeln

„Wir haben mit etwas Glitzerstaub einem guten Zweck gedient“, freut sich Patricia Klawitter-Floer vom gleichnamigen Salon in Sölderholz. Die Friseurmeisterin hatte gemeinsam mit ihrem Team und der Kita „Zappelbande“ mit Glitzertattoos und Waffeln Geld für medizinische Produkte gesammelt, die in die Ukraine geschickt werden. „Während die Erzieher den Ukraine-Krieg kindgerecht aufarbeiteten, kam die Idee auf, eine Spendenaktion zu organisieren“, sagt Steffi Christaldi, erste Vorsitzende der Elterninitiative Zappelbande. 561 Euro kamen so zusammen, die an einen ukrainischen Urologen in Herdecke gehen, der momentan Geld sogenannte Fixateure sammelt. Fixateure sind an der Haut zu befestigende Haltesysteme bei Knochenbrüchen.

"Gib was du kannst - wir spenden!"

Nach dem Motto „Jeder zahlt was er kann“, schnitt das Team der „Hairlounge-Rangsdorf“ mit Inhaberin Karina Guddat einen ganzen Tag lang die Haare, mit dem Ziel, den Erlös an eine Ukraine-Hilfsorganisation zu spenden. Doch die Friseurmeisterin dachte vor der Charity Cut-Aktion nicht nur an die Betroffenen des Ukraine-Krieges: „Das soll auch Menschen einen Haarschnitt ermöglichen, die durch Corona oder andere Gründe in eine finanzielle Schieflage geraten sind“, so Karina Guddat. Trotzdem freute sie sich am Ende des Tages natürlich sehr über die stolze Summe von 1400 Euro, die nun der Ukraine-Hilfe zugutekommt.